Jungwähler stehen erstmals vor der Wahl
Bundestagswahl 2021: Fünf Gymnasiasten des Abi-Jahrgangs vom Max-Born-Gymnasium erklären, warum sie unbedingt wählen werden, woher sie ihre Informationen über Kandidaten und Parteien beziehen und warum sie sich bereits entschieden haben oder eben noch nicht.
Von Florian Muhl
Backnang. Alle fünf sind bereits 18 Jahre alt, Evelyn und Paul aus Backnang sowie Sofia aus Waldrems und Emilia aus Spiegelberg. Nur Nick noch nicht ganz. Aber fast. Er wird am Donnerstag 18 und hat damit alle Voraussetzungen, die notwendig sind, am kommenden Sonntag bei der Bundestagswahl teilzunehmen. Wählen darf, wer am Wahltag mindestens 18 Jahre alt ist, die deutsche Staatsbürgerschaft hat, seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnt und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. Die fünf MBG-Schüler, die entweder das Fach Wirtschaft oder Gemeinschaftskunde als Leistungskurs haben, meldeten sich, um zum Thema „Jungwähler/ Erstwähler“ Auskunft zu geben.
Wer hat schon den Wahl-O-Mat ausprobiert und mit welchen Erfahrungen? „Der Wahl-O-Mat kann schon weiterhelfen. Aber es ist eher was, um mit den eigenen Ergebnissen mit anderen ins Gespräch zu kommen“ meint Paul. „Also bei mir war’s anders“, meldet sich Evelyn zu Wort, „ich hab den zusammen mit meinem Freund gemacht, weil wir beide sehr verzweifelt darüber waren, wen wir wählen sollen, weil wir nicht wirklich überzeugt waren von den Spitzenkandidaten und den großen Parteien.“ Die Schülerin hatte sich vom Wahl-O-Mat-Ergebnis erhofft, ein bisschen mehr Klarheit zu gewinnen. Aber das Ergebnis hatte sie total überrascht. Bei fast allen etablierten Parteien lag sie um die 50 Prozent, nur bei einer kleinen Gruppierung tauchte plötzlich 82 Prozent auf. „Das hat mich in meiner Wahl schon sehr beeinflusst“, sagt die 18-Jährige, die bereits per Briefwahl ihre Stimme(n) abgegeben hat.
Emilias Erfahrungen mit der Wahlentscheidungshilfe, die im Internet seit 2002 von der Bundeszentrale für politische Bildung betrieben wird, liegen bereits einige Monate zurück. Kurz vor der Landtagswahl im März hatte sie ihre Antworten eingegeben, obwohl sie schon wusste, was sie wählen wird. „Ich fand’s ganz überraschend, weil bei mir eine völlig andere Partei herauskam als die, die ich erwartet hätte.“ Aus dieser Erfahrung heraus will sie dem Wahl-O-Mat die Seriosität nicht absprechen, aber er habe sie in ihrer Meinungsbildung nicht beeinflussen können. Auch Sofia hatte den Wahl-O-Mat eher aus Spaß bedient, weil sie ihre politische Meinung vorab schon gebildet hatte. „Interessant war’s trotzdem, weil auch Parteien herausgekommen sind, die ich jetzt nicht so auf dem Schirm hatte.“ Für sie die Initialzündung, künftig auch diese kleinen Parteien zu beobachten, auch wenn sich an ihrer grundsätzlichen Meinung nichts geändert hat.
Woher kommen die Informationen über Parteien und Kandidaten? „Mit den Kandidaten dieser Wahl bin ich nicht besonders zufrieden, aber ich habe mir vor der Wahl meine Meinung darüber gebildet, was ich möchte und was ich von der Politik erwarte“, sagt Sofia. Sie habe viel in der Schule erfahren und insbesondere in den vergangenen Wochen viel gelesen, beispielsweise in der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung – über Handy –, habe Nachrichten gesehen, Talkshows angeschaut und sich so von den Politikern ein Bild gemacht.
Emilia schaut sich Livestreams über Youtube an und folgt einem Kanzlerkandidaten auf den sozialen Netzwerken. Dass sie alle drei Trielle im Fernsehen mitverfolgt hat, war eine Ausnahme. „Sonst schaue ich kein Fernsehen“, bekennt die junge Spiegelbergerin. Das erste Triell sei noch interessant gewesen, aus den beiden folgenden habe sie dann aber keine neuen Erkenntnisse gewinnen können.
„Grundsätzlich macht es schon Sinn, sich die grundlegenden Prinzipien der Parteien anzuschauen, ist die Partei links oder rechts eingestellt und welche Ziele verfolgt sie. Wenn mir Klimaschutz voll wichtig ist, achte ich natürlich darauf, was bei jeder Partei zum Klimaschutz steht, wenn ich Landwirt bin, möchte ich sehen, was macht die Partei für die Landwirtschaft“, sagt Evelyn. Die 18-Jährige profitiert zudem noch von ihren Erfahrungen, die sie im Juni bei einem Praktikum im Bundestag gemacht hat. „Da weiß ich ein bisschen, wie die Parteien intern so sind, was da gesprochen wird und wer da wie Entscheidungen trifft. Und ich glaube, das beeinflusst mich in meiner Entscheidungsfindung auch sehr.“ Schwierig und bedenklich findet die Gymnasiastin, dass „ein Kanzlerkandidat ständig irgendwelche Korruptionsgeschichten hat und der andere immer wieder falsche Aussagen im Interview macht und die Bevölkerung anlügt und die dritte Kanzlerkandidatin ihren Lebenslauf fälscht, da, finde ich, muss man sich weiter informieren“.
Das Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz hat für Nick eine sehr große Bedeutung. „Deswegen war’s für mich von Anfang an klar, was ich wählen möchte.“ Der 17-Jährige, der übermorgen volljährig wird, hat sich im Netz informiert. Zudem hat er auch den im Internet angebotenen Test Politnavi gemacht, um seinen Standpunkt zu festigen. Paul informiert sich hauptsächlich über soziale Medien, auch bei Zeitungen und Tagesschau, meist über deren Instagram-Kanal. Und wie kommt er zu seiner Wahlentscheidung? „Ich habe ein gefestigtes politisches Weltbild und habe meine Position, die ich vertrete, und schaue, inwiefern welche Partei damit übereinstimmt. Wählen werde ich wahrscheinlich dann die Partei, die am meisten damit übereinstimmt.“ Er wird am Sonntag in die Wahlkabine gehen. „Noch bin ich etwas unentschieden, vor allem was die Erststimme angeht“, sagt der Backnanger.
Wahlprogramme der Parteien – wer hat sie sich schon welche vorgenommen? Bei dieser Frage gehen alle Hände hoch, wenn auch teilweise sehr zögerlich. „Die Länge ist schon abstoßend“, meint Paul. Einige Parteien hätten das erkannt und würden deswegen Inhalte auf anderen Wegen häppchenweise leichter zugänglich machen, beispielsweise über Instagram-Post oder über Tweets bei Twitter. „Ich habe in ein paar Wahlprogramme reingeschaut, habe aber keines annähernd ganz durchgelesen – und ich glaube, hier auch niemand, oder?“, fragt er in die Runde. Paul erntet Kopfschütteln. Bis auf Evelyn, die sagt lachend: „Doch, eines hab ich fast durchgelesen, das von der FDP, wegen meines Praktikums.“ Das, was Paul in den Programmen gelesen hat, war für ihn verständlich. Aber er gibt zu bedenken: „Aber ich glaube nicht, dass wir als Schüler vom Gymnasium das Maß aller Dinge sind. Nur weil ich das verstehe und mich damit auseinandersetze, muss das nicht heißen, dass es auch alle anderen verstehen.“ Aber er schränkt seine Aussage noch ein: „Wenn ich zu Themen was lese, wo ich mich auskenne, dann verstehe ich das natürlich, aber bei anderen Themen, wo ich halt keine Ahnung hab oder nur wenig, verstehe ich es nicht. Und das ist sicher ein großes Problem, dass Inhalte nicht verständlich rübergebracht werden oder nur zum Teil.“
Evelyn sieht ein anderes Problem: „Die Wahlprogramme sind schwarz auf weiß auf Papier geschrieben, aber das heißt noch gar nicht, dass es irgendwann mal wirklich so umgesetzt wird oder die Partei das wirklich so vorhat.“ Klar könne eine Partei etwas fordern, aber wenn sie nicht die Mehrheit im Bundestag habe, könne sie beispielsweise auch nicht ein entsprechendes Gesetz durchbringen, Ziele verfolgen oder eine Reform anstoßen. Ihr Eindruck: „Viele Parteien schreiben sich die Sachen auch schön.“ Paul hat auch ausgemacht, dass sich die Angaben eines Wahlprogramms mit den Aussagen eines Politikers der Partei auch mal widersprechen können.
Gespräche zu Hause mit Eltern oder Großeltern über Politik, gibt’s die? „Wir diskutieren schon zu Hause, mit Eltern und auch mit Großeltern, aber nur innerhalb der Familie“, sagt Nick. So ist es auch bei Emilia: „Ich bin eigentlich immer diejenige, die das anregt und ein bisschen provoziert, weil ich da eine ganz andere Meinung habe als einer meiner Elternteile.“ Da würde es auch schon mal zum Streit kommen, weil es zu keinem Kompromiss komme, weil jeder auf seinem Standpunkt beharre.
Politische Diskussion gibt es auch bei Sofia zu Hause. Sie findet es schön, dass jeder offen und ehrlich über alles reden könne, trotz unterschiedlicher Ansichten. „So kommen auch Diskussionen zustande, wo ich dann am Ende meine Meinung überdenke oder meine Eltern, und das finde ich eigentlich ganz toll.“ Und daheim würden auch alle damit offen umgehen, was jeder wählen wird. Allerdings sei die Politik bei ihren Großeltern ein eher kritisches Thema, was sie sehr schade findet.
Wählen ab 16 – ja oder nein? Alle sind sich einig, befürworten das Herabsenken des Wahlalters. Nick regt an, gleichzeitig die politische Schulbildung zu verstärken. Paul verweist in diesem Zusammenhang auf das demografische Ungleichgewicht: „Es gibt viel, viel mehr ältere Menschen. Aber die jungen Menschen müssen mit der Politik leben, die jetzt gemacht wird.“