Regierungsbildung
Juso-Führung sagt Nein zu Koalitionsvertrag
Sieben Ministerien, Mindestlohn von 15 Euro, Steuersenkung: Die SPD hat in den Verhandlungen mit der Union einiges herausgeholt. Das reicht aber nicht allen in der Partei.

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Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten (Jusos): Die Parteijugend positioniert sich klar gegen den Koalitionsvertrag (Archivfoto)
Von red/dpa
Unmittelbar vor Beginn des SPD-Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag mit der Union hat sich die Parteijugend klar dagegen positioniert. „Unser Votum lautet Ablehnung“, sagte der Vorsitzende der Jungsozialisten, Philipp Türmer, in der Sendung „Frühstart“ von RTL und ntv. „Für die Zustimmung der Jusos bräuchte es deutliche Nachbesserungen.“ Zu dieser Haltung sei der Bundesvorstand in enger Abstimmung mit den Landes- und Bezirksverbänden gekommen.
Jusos stellen ein Fünftel der SPD-Mitglieder
Die SPD stimmt von Dienstag bis zum 29. April über den Koalitionsvertrag ab. Die Jusos haben 70.000 Mitglieder zwischen 14 und 35 Jahren, stellen also etwa ein Fünftel aller rund 358.000 SPD-Mitglieder. Für die Annahme des Koalitionsvertrags ist nicht nur die Mehrheit der Stimmen, sondern auch eine Beteiligung von mindestens 20 Prozent notwendig.
Union und SPD hatten sich in der vergangenen Woche auf den 144-seitigen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ verständigt. Er sieht unter anderem sieben von 16 Ministerien für die Sozialdemokraten vor – überproportional viel für ein historisch schlechtes Wahlergebnis von 16,4 Prozent.
Außerdem sind in dem Vertrag einige Wahlkampfversprechen der SPD erfüllt wie 15 Euro Mindestlohn und Steuersenkungen für kleinere und mittlere Einkommen. Allerdings steht alles unter einem Finanzierungsvorbehalt.
Türmer: „Für uns reicht es nicht“
Die Jusos kritisieren vor allem die Beschlüsse zur Sozial- und Migrationspolitik, wie zum Beispiel die Zurückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen. Maßgeblich sei die Frage: „Reicht das, was in diesem Koalitionsvertrag drinsteht, inhaltlich für eine wirklich andere Politik?“, sagte Türmer. „Und wir müssen leider sagen: Für uns reicht es nicht.“
Der im Vertrag festgeschriebene Finanzierungsvorbehalt sei eine „tickende Zeitbombe“, monierte der Juso-Chef. „Für die Zustimmung der Jusos bräuchte es deutliche Nachbesserungen.“ Türmer sagte aber auch, dass alle Mitglieder frei in ihrer Entscheidung seien. Bereits am Wochenende hatten mehrere Landesverbände der Jusos Kritik an den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag geübt und sich gegen eine Zustimmung ausgesprochen, zu Wochenbeginn folgten weitere.
Klingbeil weist auf Alternativen hin
Parteichef Lars Klingbeil sagte dazu in der ARD: „Jeder hat das Recht, jetzt bei dem Mitgliedervotum abzustimmen, wie er oder sie will. Das ist eine demokratische Entscheidung.“ Jedem müsse aber klar sein, was die Alternative zum Scheitern einer Koalition der demokratischen Mitte sei. „Eine Alternative sind Neuwahlen, eine Alternative ist vielleicht eine Minderheitsregierung“, sagte Klingbeil. Aber bei allem, was weltpolitisch los sei, müsse Deutschland ein Ort der Stabilität sein. Dafür brauche es eine stabile Regierung.
Vier Handlungsoptionen bei Nein der SPD
Sollte der Koalitionsvertrag am Votum der SPD scheitern, gibt es vier Handlungsoptionen, die aber alle schwer vorstellbar sind.
1. Es wird wie von den Jusos gefordert nachverhandelt: Die Bereitschaft, den Koalitionsvertrag noch einmal aufzuschnüren, dürfte bei CDU-Chef Friedrich Merz äußerst gering sein. Er hat selbst genug damit zu tun, seine eigene Partei von dem Ergebnis zu überzeugen. Viele in der Union glauben, der designierte Kanzler habe sich von der SPD über den Tisch ziehen lassen.
2. Die Union schmiedet ein Bündnis mit der AfD: Das wäre die einzige Koalition, die neben Schwarz-Rot eine Mehrheit hätte. Die Union hat eine Zusammenarbeit mit der Rechtsaußen-Partei aber bereits kategorisch ausgeschlossen.
3. Die Union regiert allein: Minderheitsregierungen, die mit wechselnden Mehrheiten arbeiten, gelten in Deutschland nur als Notlösung für Übergangsphasen, weil sie als instabil gelten. Das beste Beispiel ist die derzeitige rot-grüne Minderheitsregierung, die seit dem Bruch der Ampel-Koalition regiert.
4. Es wird neu gewählt: Das würde eine weitere Verlängerung der Hängepartie bedeuten, die es seit dem Bruch der Ampel-Koalition vor einem halben Jahr gibt – und das in einer äußerst unsicheren Weltlage. Die nur noch geschäftsführende Minderheitsregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) würde über Monate weiterregieren, ohne voll handlungsfähig zu sein. Und am Ende könnte ein Wahlergebnis stehen, das die Regierungsbildung noch komplizierter macht. Die AfD schnitt in der vergangenen Woche erstmals in einer Umfrage zur Bundestagswahl als stärkste Partei ab.
CDU stimmt bei kleinem Parteitag über Koalitionsvertrag ab
Bisher hat nur die CSU den Koalitionsvertrag mit einem Vorstandsbeschluss angenommen. Auch die Zustimmung der CDU fehlt noch. Die Partei von Merz entscheidet am 28. April auf einem Kleinen Parteitag. Die Kanzlerwahl im Bundestag und die Vereidigung des gesamten Kabinetts ist für den 6. Mai geplant.