Fall Pelicot
Justiz verfolgt Vergewaltiger-Chatroom
Über eine Web-Plattform kam Dominique Pelicot mit den späteren Vergewaltigern seiner Frau Gisèle in Kontakt. Auch zahlreiche weitere Straftäter sollen die Seite genutzt haben.
Von Stefan Brändle
Es hat etwas gedauert. Drei Wochen nach dem Urteil gegen 51 Männer leitete Frankreichs Justiz jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber der Online-Plattform ein, die im Missbrauchsprozess von Avignon eine zentrale Rolle gespielt hat. Der Prozess drehte sich um Dominique Pelicot, der seine damalige Frau Gisèle über knapp zehn Jahre immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und Fremden zur Vergewaltigung angeboten hat. Kontakt zu diesen Männern hatte er über die Webseite Coco aufgenommen.
Betreiber stellt sich der Polizei
Das Strafverfahren wurde gegen den 45-jährigen Gründer der bereits im vergangenen Juni geschlossenen Kontaktwebseite eröffnet. Der südfranzösische Informatiker Isaac Steidl (45) soll die Organisation der Gewaltorgien laut einem Communiqué der Staatsanwaltschaft erleichtert haben. Nicht weniger als acht Tatbestände werden dem Selfmademann aus Südfrankreich vorgehalten, darunter Beihilfe zur Zuhälterei und Pädophilie, aber auch zu Drogenhandel und Geldwäsche. Steidl hatte sich der Polizei selber gestellt und wurde in Untersuchungshaft genommen. Er verweigert allerdings jede Aussage. Erfolg hatte Coco.fr unter anderem wohl auch, weil keinerlei Registrierung verlangt war und die Dialoge auch nicht gespeichert wurden.
Mit gutem Grund: Die Namen von Chatrooms wie „Stell deine Frau aus“ oder „Mit Gewalt genommen“ sprechen für sich; Dominique Pelicot, der Ex-Mann von Gisèle Pelicot, der im Dezember zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden ist, kontaktierte seine Gehilfen unter dem Dossier „Gegen ihren Willen“. Dass sich die Teilnehmer in einem rechtsfreien Raum wähnten, zeigt die offenen Diskussionen, so etwa über die beste Art, seine Frau zu betäuben.
Der Betreiber von Coco musste geahnt haben, dass die Webseite in Konflikt zum französischen Strafrecht stand: Er verlagerte sie unter dem neuen Namen coco.gg auf die britische Kanalinsel Guernesey. Steidl selbst setzte sich ins Ausland ab und lebte zwischen Bulgarien und Italien. Seine Webseiten brachten ihm offenbar Millionen ein, die er in Immobilien investierte. Die französische Staatsbürgerschaft hatte er aufgegeben, nachdem er Italiener geworden war.
Täglich 26 000 User der Seite
Angesichts des expliziten und strafrechtlich relevanten Inhalts von Coco fragt man sich, warum die Justiz die Webseite und ihren Betreiber nicht früher verfolgt hatte. Täglich besuchten sie 26 000 vorwiegend männliche User, wie die Zeitung Le Parisien eruierte. 480 Opfer der Webseite sollen Anzeige erstattet haben. In einem Fall ermittelt die Polizei wegen der Ermordung eines jungen Mannes, dem die Täter via Coco einen Hinterhalt gelegt haben sollen.
Dass Coco jahrelang ihr Unwesen trieb, ruft in Frankreich geharnischte Reaktionen hervor. Nachdem diese Woche Facebook und X angekündigt haben, sexistische Inhalte nicht mehr zu moderieren, sind viele Kommentare zu lesen, der Fall sollte eigentlich als abschreckendes Beispiel dienen. Andere halten den Vergleich für unzulässig. Die strafrechtliche Frage, wie weit Webseiten-Betreiber haftbar sind für Delikte ihrer User, bleibt weitgehend offen.