Früheste Besiedlung Europas

Kamen die ersten Menschen schon vor zwei Millionen Jahren nach Europa?

Die ersten Frühmenschen könnten Europa früher erreicht haben als bisher angenommen. Mögliche Belege dafür liefern 1,92 Millionen Jahre Schnittspuren auf Tierknochen, die in der rumänischen Fundstätte Grăunceanu entdeckt wurden.

1,5 Millionen Jahre alte Schädel aus der Fundstätte Dmanissi in Georgien.

© Imago/UIG

1,5 Millionen Jahre alte Schädel aus der Fundstätte Dmanissi in Georgien.

Von Markus Brauer

Afrika ist die Wiege der Menschheit. Die „Out-of-Africa“-Hypothese, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammen, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Hominini beschäftigt.

Doch wann die ersten Vertreter der Gattung Homo Afrika verließen und Asien und Europa erreichten, ist unklar. Diese Frage lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beantworten. Die ältesten zuverlässig datierten Fundstücke am Übergang zwischen Asien und Europa stammen aus Dmanissi in Georgien und sind rund 1,85 Millionen Jahre alt.

Älteste Funde in Eurasien

Die ältesten Steinwerkzeuge Europas stammen aus der Ukraine und sind rund 1,4 Millionen Jahre alt. In Südwesteuropa wurden die ältesten Artefakte in Spanien und Südfrankreich gefunden und auf ein Alter von rund 1,2 Millionen Jahren datiert.

Doch es mehren sich Hinweise darauf, dass Frühmenschen den eurasischen Kontinent womöglich noch früher erreichten. Darauf weisen 2,12 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge aus China hin.

Die Fundstätte Grăunceanu in Rumänien könnte neue Hinweise liefern. Dort haben Paläontologen schon in den 1960er und 1980er Jahren tausende Knochen von Eiszeittieren entdeckt, darunter Mammuts, Hirsche und Auerochsen, Urpferde und Säbelzahnkatzen.

Die Tierknochen stammen größtenteils aus der Zeit vor rund 1,95 Millionen Jahren. Für ihre Studie haben Sabrina Curran von der Ohio University und ihre Kollegen jetzt rund 4500 dieser Knochen noch einmal genauer untersucht.

Die Studie ist im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienen.

Des fossiles humains découverts en Roumanie, vieux de 1,95 million d'années, montrent que les hominines étaient déjà présents en Europe bien plus tôt qu’on ne le croyait. Cela pourrait bouleverser notre compréhension des premières interactions humaines et de leur adaptabilité ⤵️ pic.twitter.com/7U5VysCs3e — Histoire & Odyssée (@HistoireOdyssee) January 24, 2025

Dutzende Tierknochen mit spezifischen Kerben entdeckt

Die Forscher wollten mögliche Bearbeitungsspuren durch frühe Menschen an den Knochen feststellen. „Wir haben allerdings nicht viel erwartet“, sagt Curran. „Aber dann fanden wir doch mehrere Knochen mit Schnittspuren.“

Insgesamt identifizierte das Team 20 Tierknochen mit markanten Einkerbungen. Sieben davon, meist Beinknochen, zeigen mehrere Schnittmarken nebeneinander und an Stellen, die für das Entbeinen von Jagdbeute typisch sind, wie die Forscher schreiben. Sie stufen diese Funde daher als „High Confidence“ – also mit hoher Zuverlässigkeit – ein.

Weitere 13 Tierknochen zeigen nur eine Schnittkerbe oder aber Kratzer an weniger eindeutig mit dem Schlachten assoziierten Stellen. Diese stuft das Team daher nur als „wahrscheinliche Schnittspuren“ ein.

Waren Frühmenschen die Verursacher?

Die Analysen legen nahe, dass zumindest einige dieser Schnittspuren von Frühmenschen stammen. „Auch wenn keine Steinwerkzeuge oder Fossilien in Grăunceanu gefunden wurden, enthüllt unsere detaillierte Analyse klare Belege für die Präsenz von Homininen an diesem Ort“, erläutern die Archäologen.

Der Anteil der Knochen mit solchen Bearbeitungsspuren sei in Grăunceanu vergleichbar mit denen aus anderen Fundstätten, in denen Homininen-Fossilien oder Werkzeuge entdeckt wurden.

Welche Frühmenschen diese Spuren ihrer Jagd und Schlachtungen hinterließen, ist nicht nachzuvollziehen. „Wir vermeiden es bewusst, über die Homininen-Spezies zu spekulieren“, betonen die Forscher. „Denn dies war eine Zeit, in der mehrere Homininenarten in Ost- und Südafrika koexistierten.“

Frühestes Indiz für Homininen in Europa

Nach Ansicht von Curran und ihrem Team beweisen ihre Funde, dass erste Menschen schon vor 1,95 Millionen Jahre in Südosteuropa präsent waren. Und das bedeutet rund 200.00 Jahre früher als es die Fundstätte Dmanissi bisher nahelegte.

„Das ist bedeutsam, weil es die Frühmenschen-Aktivität in Europa weiter in die Vergangenheit verschiebt“, erläutert Curran. Die ersten Gruppen von Homininen könnten den europäischen Kontinent sogar schon vor gut zwei Millionen Jahren erreicht haben.

Keine dauerhafte Besiedlung im kühlen Europa

„Die Grăunceanu-Fundstätte demonstriert, dass Frühmenschen schon damals begannen, Gebiete in Eurasien zu erkunden und zu besiedeln“, so Curran. Allerdings blieben diese ersten Vertreter unserer Gattung wahrscheinlich noch nicht dauerhaft im eher kühlen Europa.

Stattdessen könnten sich diese noch an das afrikanische Klima angepassten Frühmenschen immer dann weiter nach Norden vorgewagt haben, wenn das Klima vorübergehend milder wurde. Auch vor 1,95 Millionen Jahren war dies der Fall, wie die Fossilien der damals üppigen Flora und Fauna in Grăunceanu nahelegen.

„Diese frühen Menschen waren vermutlich anpassungsfähiger als wir zuvor dachten. Sie konnten in einer Vielzahl verschiedener Umwelten überleben und gedeihen“, sagt Curran.

Warum verliert sich die Spur unserer Vorfahren im Nirgendwo?

Vor rund 1,1 Millionen Jahren verliert sich die Spur der frühesten Homininen im Nirgendwo. Was war geschehen? Was waren die Gründe für den Kollaps der ersten frühzeitlichen Populationen auf dem europäischen Kontinent?

Damals brach eine Kälteperiode über Europa herein, die 31.000 Jahre andauerte und den Großteil der Frühmenschen erfrieren ließ. Wer überlebte, zog zurück nach Afrika. Der Mittelmeerraum kühlte so stark ab, dass die eiszeitlichen Kältesteppen für Zehntausende Jahre unbewohnbar wurden. Auch deshalb, weil die Frühmenschen noch kein Feuer, keine warme Kleidung und Unterkünfte kannten.

Welchen Folgen hatte die Kälteperiode?

Durch das eiszeitliche Klima veränderte sich die Vegetation radikal. An die Stelle der Urwälder trat eine karge Steppe. „Der nordatlantische Kälteeinbruch verwandelte die Vegetation Westeuropas in eine unwirtliche Halbwüsten-Landschaft“, erklärt der Archäologe Vasiliki Margari. Gletschersedimente im Bohrkern deuteten zudem auf eine zunehmende Vereisung des Kontinents hin.

„Die anhaltende Klima-Instabilität war für die damalige Homininen-Population eine erhebliche Belastung“, resümieren Margari und andere Forscher des Institute of Basic Science des University College London und des Natural History Museum in London in einer Studie im Fachmagazin „Science“ erschienen ist. Der Kälteeinbruch machte selbst Südeuropa für die frühen Menschen unbewohnbar.

Wann wurde Europa zum zweiten Mal besiedelt?

„Unsere Entdeckung einer extremen eiszeitlichen Kaltphase vor rund 1,1 Millionen Jahren widerspricht damit der Annahme einer kontinuierlichen Besiedlung Europas schon durch diese frühen Menschen“, betont Chronis Tzedakis vom University College London.

Für einige hunderttausend Jahre war Europa wahrscheinlich weitgehend menschenleer und wurde „erst vor rund 900.000 Jahren wieder rekolonisiert“, erläutert Chris Stringer. Die Frühmenschen der Spezies Homo antecessor seien resilienterer gewesen und verfügten über Fähigkeiten, die ihnen das Überleben in den folgenden Kaltzeiten ermöglichten.

Homo antecessor wusste, das Feuer zu beherrschen, warme Kleidung anzufertigen und schützende Unterkünfte zu errichten. Die Besiedlung Europas durch die Vorfahren der Neandertaler erfolgte danach in einem zweiten evolutionären Anlauf.

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Erstellt:
28. Januar 2025, 12:06 Uhr

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