Wahl in Kanada
Kanada rechnet mit Trump ab
Der US-Präsident will das Nachbarland Kanada als 51. Bundesstaat eingemeinden. Der frisch gewählte Premier Mark Carney hält hart dagegen. Donald Trump lobt derweil die ersten hundert Tage seiner zweiten Amtszeit als vollen Erfolg.

© DAVE CHAN/AFP
Die Abgrenzung zu den USA hat Mark Carney den Wahlsieg gebracht.„Wir werden diesen Handelskrieg gewinnen“, sagt der 60-jährige Wirtschaftsexperte vor jubelnden Anhängern.
Von Gerd Baume Thomas Spang
In Kanada bleiben die Liberalen unter Premierminister Mark Carney an der Macht. Ihr Erfolg bei Kanadas Parlamentswahl ist ein Ergebnis, das noch vor vier Monaten unmöglich schien. Die Annexionsfantasien und Feindseligkeiten von US-Präsident Donald Trump gaben Kanadas Liberalen einen unerwarteten Schub. Als stärkste Partei haben sie zum vierten Mal in Folge den Regierungsauftrag erhalten, auch wenn sie vermutlich knapp die absolute Mehrheit der Sitze verpasst haben. Die Konservativen von Pierre Poilievre verfehlten ihr Ziel, die nahezu zehnjährige Amtszeit der Liberalen zu beenden.
Carney machte in den frühen Morgenstunden deutlich, worin er seine Hauptaufgaben sieht: Trump und den USA Paroli zu bieten und Kanada als geeintes Land zu stärken. Kanada habe den „Verrat Amerikas“ überwunden, werde aber nie die Lektionen daraus vergessen. „Amerika will unser Land, unsere Ressourcen, unser Wasser“. Das seien keine leeren Drohungen von Präsident Trump. Er wolle Kanada „brechen“, sodass die USA Kanada übernehmen könnten. „Das wird niemals passieren“, sagte Carney unter dem Jubel seiner Anhänger. „Die alten Beziehungen zu den USA sind vorbei, Beziehungen, die auf ständig wachsender Verflechtung beruhten.“ Kanada müsse nun stärker werden. Dazu gehöre die Stärkung seiner Wirtschaft und der Beziehungen zu „verlässlichen Partnern“ in Europa und Asien.
Die Nahtoderfahrung der Liberalen
Als „historisch“ war die Wahl bereits im Vorfeld beschrieben worden. Das Land erlebe wohl die größte Umkehr politischer Entwicklungen in der modernen Geschichte Kanadas, hatte am Tag vor der Wahl Eric Grenier formuliert, der für den kanadischen Rundfunk CBC Umfragen auswertet. Die Turbulenzen, die sie begleiteten, waren außergewöhnlich: Zur Jahreswende drohte den Liberalen bei den damals schon für das Frühjahr erwarteten vorgezogenen Neuwahlen – regulär hätte Kanada erst im Oktober gewählt – eine vernichtende Niederlage. Sie hatten, wie es jetzt in der Wahlnacht hieß, eine „near death experience“, eine „Nahtoderfahrung“. Dann wurde der seit geraumer Zeit unpopuläre Premierminister Justin Trudeau von seiner eigenen Partei zum Rücktritt gezwungen. Dies und die Entscheidung des ehemaligen Notenbankgouverneurs Mark Carney, in die kanadische Politik zu gehen, änderten die Stimmung. Im März wurde Carney als Nachfolger Trudeaus Vorsitzender der Liberalen und Premierminister.
Vor allem aber wirkten Donald Trumps Attacken auf Kanada, seine Gier, Kanada als 51. Bundesstaat zu annektieren, und die Herabwürdigung Trudeaus, den er verächtlich „Gouverneur“ nannte. Das erzeugte einen Nationalstolz, der den Liberalen zu Gute kam. Carney wurde aufgrund seiner Erfahrung als Finanzmanager – er war zwischen 2008 und 2020 zunächst Chef der kanadischen Notenbank, dann der Bank of England – und wegen seines ruhigen Auftretens als geeigneter Gegenspieler zum erratischen Trump gesehen.
Innenpolitische Themen wie die hohen Lebenshaltungskosten und der Mangel an Wohnraum gerieten in den Hintergrund.
Nun können die Liberalen wieder die Regierung bilden. Während des nur fünfwöchigen Wahlkampfs hatten Meinungsumfragen sogar eine absolute Mehrheit der Liberalen nicht ausgeschlossen. Dazu kam es nach den am Dienstagmorgen vorliegenden Ergebnissen nicht. Demnach werden die Liberalen im 343 Mitglieder zählenden Parlament 168 Abgeordnete stellen. Die absolute Mehrheit liegt bei 172 Abgeordneten. Allerdings sind einige Wahlkreise noch nicht vollständig ausgezählt. Es könnte zwar noch für eine absolute Mehrheit reichen, ist aber unwahrscheinlich. Carney bewarb er sich erstmals um einen Parlamentssitz und gewann überzeugend einen Wahlkreis in der Hauptstadt Ottawa. Üblicherweise wird der Vorsitzende der stärksten Fraktion Premierminister und mit der Regierungsbildung beauftragt.
Die Konservativen von Pierre Poilievre kommen auf 144 Parlamentsabgeordnete. Bemerkenswert ist, dass Poilievre seinen Wahlkreis in Ottawa, den er seit 2004 hält, offenbar verloren hat. Er versprach in der Wahlnacht, weiter für die konservative Partei zu kämpfen. Um einen Sitz im Parlament zu haben, wird er sich voraussichtlich einer Nachwahl stellen müssen. Der Erfolg der Liberalen geht zum Teil zu Lasten der sozialdemokratisch orientierten New Democratic Party (NDP) von Jagmeet Singh. Sie verlor zwei Drittel ihrer Abgeordneten. Offenbar ging ein erheblicher Teil ihrer Wähler zu den Liberalen, um durch eine strategische Wahlentscheidung den Erfolg des aggressiven populistischen Poilievre, dessen Auftreten manchmal mit dem von Donald Trump verglichen wurde, zu verhindern.
Das Wahlergebnis zeigt eine Spaltung des Landes. Beide großen Parteien haben zusammen rund 85 Prozent der Stimmen bekommen. Kleinere Parteien wie die NDP und die Grünen verloren an Stimmen, aber auch der nur in Quebec kandidierende Bloc Quebecois. Zwischen den beiden großen Blöcken verloren sie an Einfluss, auch wenn die Liberalen wie im bisherigen Parlament bei Gesetzesvorhaben auf Unterstützung der kleinen Oppositionsparteien angewiesen sein wird.
Nach dem erbitterten Wahlkampf appellierte Carney in der Wahlnacht an die Bevölkerung: „Lasst uns Spaltung und Verärgerung der Vergangenheit beenden.“ Er wolle für alle Kanadier regieren. Und dann kam noch mal ein Bezug auf Trump. Wenn er mit Trump zusammentreffen werde, dann werde es um die „zukünftigen ökonomischen und sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen zwei souveränen Nationen gehen“. Wenn Kanada bedroht werde, „dann wehren wir uns“. Kanada sei stark und frei. „Vive le Canada!“, beendete er seine Rede auf Französisch.
Politik mit der Abrissbirne
Auch der Widersacher im Nachbarland jubilierte – nicht über Carneys Sieg freilich, sondern, ganz trumpgemäß, über die eigene Großartigkeit: Trotz des politischen Aufruhrs bei Verbündeten und des von ihm verursachten wirtschaftlichen Chaos’ weltweit lobte Trump die ersten 100 Tage seiner Amtszeit als vollen Erfolg. Er regiere nun „das Land und die ganze Welt“, sagte der US-Präsident in einem am Montag veröffentlichten Interview mit dem US-Magazin „The Atlantic“. Er habe „viel Spaß“ dabei.
In seiner ersten Amtszeit (2017-2021) sei er von „all diesen korrupten Typen“ umgeben gewesen. Er meinte seine damaligen Berater und Kabinettsmitglieder, die er als unloyal empfand. In seiner zweiten Amtszeit nun umgibt sich Trump ausschließlich mit getreuen Gefolgsleuten. Er weitet die Grenzen seiner präsidialen Macht aus und hat seit seinem Amtsantritt im Januar mehr als 140 Dekrete unterzeichnet. Harte Einwanderungspolitik, Einschnitte bei der Bildung, umstrittene Begnadigungen: Viele Vorhaben wurden von der Justiz blockiert.
Nach Außen setzte Trump nicht weniger radikale Signale. Traumatisch für Europa war die Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office. Dies warf die Frage auf, ob auf den Nato-Beistand der USA noch Verlass ist. Der nächste Schock folgte am 2. April, als Trump universale Zölle gegen mehr als 70 Länder verhängte. Das war nichts weniger als ein protektionistischer Anschlag auf den Welthandel, den Trump als „Tag der Befreiung“ feierte.
Derweil zeigen Umfragen, dass immer weniger US-Bürger dieser Politik vertrauen. Auch führende Präsidentschaftshistoriker wie Douglas Brinkley von der Rice University sehen Trumps ersten 100 Tage äußerst kritisch: „Trump kommt nicht als Reformer, sondern als Abrissbirne. Dies waren die seltsamsten 100 Tage eines Präsidenten in der amerikanischen Geschichte, weil es im Kern pathologischer Narzissmus ist.“