Was geschah am . . . 21. Februar 1848?
Karl Marx veröffentlicht das „Manifest der Kommunistischen Partei“
Eine neue politische Zeitrechnung beginnt: Marx und Friedrich Engels veröffentlichen im Auftrag des Bundes der Kommunisten "Das Manifest der Kommunistischen Partei", in dem sie bereits Leitlinien der später als Marxismus bezeichneten Gesellschaftstheorie entwickeln.
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Ist deshalb alles falsch, was der Philosoph mit dem Prophetenbart auf Tausenden von Seiten ausgebreitet hat? „Mitnichten“, sagt der langjährige Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München, Hans-Werner Sinn. Vor allem Marx’ Krisentheorien seien heute wieder „hochaktuell“.
Von Markus Brauer
„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Mit diesen programmatischen Worten beginnt ein schmales Werk, bestehend aus einer Einleitung und vier Kapiteln. Der Titel: „Das Manifest der Kommunistischen Partei“ – auch „Das Kommunistische Manifest“ genannt. Der programmatische Text wird am 21. Februar 1848 veröffentlicht – von Karl Marx und Friedrich Engels.
„Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“
Nach 23 Seiten endet das Pamphlet mit dem Aufruf: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“
Das Manifest fand mehr als 70 Jahre später als Wahlspruch der Sowjetunion seinen Weg auf die Wappen sozialistischer und kommunistischer Staaten in ihrem Einflussbereich sowie 1923 auf das Wappen der UdSSR selbst.
Mittlerweile zählt das "Manifest der Kommunistischen Partei" mit weit mehr als 500 Millionen verkauften Exemplaren zu den am meisten verkauften Büchern der Welt.
Wer hat Recht: Hegel oder Marx?
Die entscheidenden Fragen, die sich in dieser Programmschrift des Begründers des Marxismus, andeuten und später in seinem dreibändigen Hauptwerk „Das Kapital“ bis ins kleinste Detail ausgefaltet wird, lauten:
- Ist der Mensch von Natur aus Kapitalist oder Marxist, konservativ oder progressiv?
- Wird man als Linker oder Rechter geboren oder dazu gemacht?
- Bestimmt das Sein oder das Bewusstsein den Menschen?
- Wer also hat Recht: Hegel oder Marx?
Utopie und Realität
Der Mensch hegt und pflegt seine Traditionen und strebt zugleich nach revolutionären Umwälzungen. Sein Leben entfaltet sich im Spannungsfeld von Kontinuität und Fortschritt, Identität und Bilderstürmerei.
- Konservative haben sich die Bewahrung bestehender Ordnungen zum Ziel gesetzt.
- Sozialisten propagieren den permanenten Fortschritt, Utopisten glauben an die Vision einer perfekten Gesellschaft.
Das Tragische ist, dass Utopien sich in ihr Gegenteil verkehren, sobald man versucht sie zu verwirklichen.
Das kommunistische Paradies, von dem Karl Marx (1818-1883) einst träumte, ist hierfür das beste Beispiel. Da sich die Utopie der klassenlosen Gesellschaft in Russland nicht auf friedlichem Wege verwirklichen ließ, griffen die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924) zur Gewalt.
Das führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebensverhältnisse und zu noch mehr Gewalt, um den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen. Aus Revolutionären wurden linke Reaktionäre, die mit allen Mitteln versuchten das Eroberte zu bewahren und gegen jede Veränderung zu verteidigen.
Zivilisation und Urzustand
Die Frage, ob der Mensch von Natur aus konservativ ist, setzt voraus, dass es einen Naturzustand gibt. In der Philosophiegeschichte hat man darüber immer wieder nachgedacht. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) sprach vom „Krieg aller gegen alle“. Kultur, Tradition und Zivilisation sind ihm zufolge aus der Notwendigkeit entstanden, dem Menschen das Überleben zu sichern.
Für den französischen Denker Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) ist der Naturzustand, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur lebte, das Ideal, zu dem die Gesellschaft zurückkehren muss.
Sein bestimmt Bewusstsein: Der Dialektische Materialismus
Und nun zu Karl Marx: Sein gesamtes opulentes Werk lässt sich in zwei Wörtern zusammenfassen, die sich schon im Manifest von 1848n ankündigen:
Dialektischer Materialismus
- Der Dialektische Materialismus ist die philosophische Weltanschauung des Marxismus. Aufbauend auf der Methode der Dialektik – des Denkens in Widersprüchen – erklärt Marx die Welt auf materialistischer Grundlage.
„Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“
- Dieser Satz ist eine zentrale These der gesamten Marxschen Philosophie. Um diese Grundfrage aller Philosophie erschöpfend zu beantworten, wählt Karl Marx die zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) gegensätzliche Antwort.
Hegel vs. Marx
Hegel, der deutsche Philosoph des Idealismus, geht davon aus, dass die natürliche und gesellschaftliche Realität primär von einer absoluten Idee bestimmt ist und sich aufgrund dialektischer Widersprüche weiterentwickelt. Hegel zufolge gerät jede verwirklichte Form der Idee mit sich selbst in Widerspruch und erschafft so die immer komplexer werdende Realität.
Marx dreht die hegelsche Dialektik um. Oder wie er selbst sagt: Er (stellt sie „vom Kopf auf die Füße“. Denn er postuliert, dass sich die Welt – also die objektive Wirklichkeit – aus ihrer eigenen materiellen Existenz erklären lässt und keinesfalls die Verwirklichung einer göttlichen, absoluten Idee oder gar des menschlichen Denkens ist, wie Hegel und andere Philosophen des Idealismus mit ihm behaupten.
Leben und Lernen
Endziel der Geschichte ist nach Marx und Engels die klassenlose kommunistische Gesellschaft – das kommunistische Paradies. Der Haken an der Sache ist nur: Dieses endzeitliche Paradies ist genauso wie Rousseaus Zustand, der am Anfang der Menschheitsgeschichte steht, Fiktion. Und nicht minder utopisch-fiktiv ist eine lineare geschichtliche Entwicklung, von der der Marxismus stets träumte.
Die Zukunft ist keine verlängerte Gegenwart. Was geschehen wird, ist weder vorhersehbar oder logisch zu ergründen, noch kann es aus der Historie erschlossen werden.
Geschichte ist keine Zugfahrt, die man einfach beschleunigen (progressiv), anhalten (konservativ) oder umkehren (reaktionär) kann. Sie ist ein Prozess, in dem man das Zusammenleben mit anderen durch Interaktion mit seiner sozialen und natürlichen Umwelt erlernt.
Bewahren und Entdecken
Der Begriff konservativ kommt vom Lateinischen „conservare“ (erhalten, bewahren). Wäre der Mensch von Natur aus konservativ, würde ihn dies hindern, die Welt zu entdecken und von ihr zu lernen.
Ernst Bloch (1885–1977), der „Philosoph der Hoffnung“ und zugleich aufgeklärter Marxist, umschreibt den menschlichen Aggregatzustand so: „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ Der Mensch müsse erst lernen, wozu er auf der Welt ist. „Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“ Neugier und Hoffnung treiben den Menschen voran in eine Zukunft, die er selbst in der Hand hat.
Der Mensch ist von Natur aus beides: konservativer Rebell und revolutionärer Konservativer. Konservativ und progressiv, rechts und links sind reziproke Begriffe und bedingen sich wechselseitig. Der Mensch befindet sich in einem lebenslangen Lernprozess mit der ihn umgebenden Gesellschaft – von der er selbst ein Teil ist – , die ihn prägt und die er prägt.
Links und Rechts – konservativ vs. progressiv
Was Menschen voneinander unterscheidet, ist der Grad der Bereitschaft, sich auf Veränderungen einzulassen:
- Der Konservative duldet Fortschritt häppchenweise und nur dann, wenn Strukturen, Werte und Zustände sich vorsichtig und schrittweise verändern.
- Der Progressive drückt aufs Tempo und will den Lauf der Geschichte beschleunigen.
- Der Reaktionär will die Uhr zurückdrehen und den „Status quo ante“, einen idealisierten Zustand, wiederherstellen.
„Der radikalste Revolutionär wird ein Konservativer am Tag nach der Revolution“
Welcher Typ man ist, hängt ab von der genetischen Disposition und Persönlichkeitsentwicklung, dem sozialen Umfeld, Intelligenzgrad oder Bildungsniveau. Ob der Einzelne eine Abneigung gegenüber Revolutionen hegt oder alles radikal zum Besseren wenden will, wird ihm nicht in die Wiege gelegt.
Seine Haltung und Einstellung entwickeln und verändern sich, werden erlernt und erprobt, überprüft und verworfen. Sobald er seine Ziele erreicht hat, wird er versuchen das Erworbene abzusichern.
Egal, ob er sich das Etikett Linker oder Rechter zulegt. „Der radikalste Revolutionär“, sagt die Philosophin Hannah Arendt (1906–1975), „wird ein Konservativer am Tag nach der Revolution.“