Klagen der AfD, Linke und BSW
Bundesverfassungsgericht könnte die Republik auf den Kopf stellen
AfD, Linkspartei und BSW klagen in Karlsruhe gegen den Umgang der anderen Parteien mit dem Bundestag in Sachen Schuldenpaket. Im Erfolgsfall würde das Land mächtig durchgewirbelt werden. Die Richter nehmen die Anträge äußerst ernst.

© dpa/Uwe Anspach
Das Bundesverfassungsgericht steht vor staatstragenden Entscheidungen.
Von Christian Gottschalk
Es kann schon mal vorkommen, dass Bundesverfassungsrichter auch tief in der Nacht an den Schreibtisch müssen. Bei Fragen des Versammlungsrechts oder natürlich bei Abschiebungen sind die Karlsruher immer wieder die letzte Hoffnung, dann zählt jede Sekunde. Doch das geschieht in kleiner Besetzung. Dass ein ganzer Senat Nachtschicht machen muss, ist eher ungewöhnlich. Für die vier Richterinnen und vier Richter des 2. Senats ist das gerade der Fall. Aus gutem Grund: So etwas wie in diesen Tagen hat es in den mehr als 75 Jahren des Gerichts noch nicht gegeben.
Die Richter müssen sich gleich mit zwei Anträgen beschäftigen, die einerseits kaum etwas miteinander zu tun haben. Andererseits aber wären beide dazu geeignet, im Erfolgsfall die Zukunft des Landes mächtig auf den Kopf zu stellen. Und in beiden Fällen gilt das, was Juristen am wenigsten mögen: es drängt die Zeit.
Milliardenschulden am Haushalt vorbei
Da ist zum einen die Klage von AfD, Linkspartei und anderen gegen die Einberufung des alten Bundestages, der schnell noch zwei so genannte Sondervermögen und Änderungen der Schuldenbremse beschließen soll. Das sind Milliardenschulden am regulären Haushalt vorbei, die das neu gewählte Plenum mangels Mehrheiten so nicht mehr hinbekommen wird. Und da ist die Klage des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Die Partei, die bei den Wahlen im Februar äußerst knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist, will eine Neuauszählung.
Das Problem: Die erste Lesung des Bundestages hat bereits an diesem Donnerstag stattgefunden, das offizielle Ergebnis der Bundestagswahl soll am Freitag verkündet werden. Viel Zeit zum Abwägen bleibt den Richtern nicht. Dabei ist die Sache kniffelig. Klagen wie diese hat es noch nicht gegeben, und somit gibt es auch keine Orientierung. Im Augenblick ist eigentlich nur eines sicher: als offensichtlichen Blödsinn stuft das Verfassungsgericht die Anträge nicht ein. Sonst würde nicht auch nachts darum gerungen, welche Rechtsansicht die richtige ist.
Rechtswissenschaftler sind unterschiedlicher Meinung
Im Falle der Bundestagseinberufung gilt der Grundsatz, dass der alte Bundestag so lange im Amt ist, bis sich der neue konstituiert. Letzteres muss spätestens am 25. März geschehen. Bis dahin agieren die ehemaligen Parlamentarier mit allen Rechten. Vor allem AfD und Linke haben nun ein ganzes Bündel an Punkten vorgetragen, warum das aktuelle Vorgehen verfassungswidrig sein könnte. Das reicht von sehr formellen Verfehlungen bis hin zur Größe der Angelegenheit, die beschlossen werden soll. Rechtswissenschaftler haben sich in Blitzanalysen dazu geäußert. Die Mehrheit hält das Vorgehen zwar für legal, aber bei weitem nicht alle.
Ob – und wenn Ja, wo – die Verfassungsrichter etwas zu kritisieren haben, ist noch deren Geheimnis. Dass Karlsruhe nicht schon die Erste Lesung des Gesetzes an diesem Donnerstag gestoppt hat, ist allerdings kein Indiz dafür, dass das Vorgehen bedenkenlos durchgewunken werden wird.
Eine erste Lesung im Bundestag entfaltet für sich alleine keine rechtliche Wirkung. Sie kann damit auch keine Auswirkungen haben, die unbedingt gestoppt werden müssten. Man werde „vor dem 18. März“ entscheiden, heißt es aus Karlsruhe offiziell – dann steht die entscheidende Lesung im Parlament an.
Dem BSW fehlen 13 400 Stimmen
Noch schneller erhofft sich das BSW eine Entscheidung, aber auch das ist nicht sicher. Das BSW will verhindern, dass die Bundeswahlleiterin am Freitag wie geplant das endgültige Endergebnis verkündet, und eine Neuauszählung erzwingen. Bisher fehlen der Partei 13 400 Stimmen zum Einzug in den Bundestag. Dass es bei der Auszählung zu Verwechslungen mit der Kleinstpartei „Bündnis Deutschland“ (BD) gekommen sein könnte, ist nicht auszuschließen. Es gibt einen Wahlkreis, in dem das BD acht Prozent erzielt hat, das BSW Null. Kann das sein?
Allerdings gibt es für die Wahlanfechtung ein gesetzliches Prozedere. Zunächst entscheidet der Bundestag, dann das Verfassungsgericht. Das passt nicht, argumentiert nun die Partei, weil die politischen Auswirkungen gewaltig wären, wenn deren Abgeordnete doch im Parlament wären. Eine Koalition aus CDU und SPD hätte dann keine Mehrheit. Ob das auch ein verfassungsrechtlich tragendes Argument ist, wird in Karlsruhe geprüft. Tag und Nacht. Bis wann, das ist offen.