Volker Gmeiners Traditions-Konditorei in Appenweier

Karriere mit Zuckerguss

Oma Wilhelmine rettete die familieneigene Konditorei im Badischen damals über den Krieg. Heute führt Volker Gmeiner seine Confiserie schon in der vierten Generation.

Volker Gmeiner zwischen handgegossener Schokolade und Petits Fours

© Gottfried Stoppel

Volker Gmeiner zwischen handgegossener Schokolade und Petits Fours

Von Johannes Schweikle

Es riecht nach dem Glück der Kindheit. Wie beim Plätzchenbacken mit Tante Hilde. Der Duft von Mürbteig liegt in der Luft. Aus dem Backofen kommt gerade ein Blech mit ein paar Dutzend süßen Brezelchen. Eine Frau und ein Mann nehmen jedes einzelne Gebäckteilchen in die Hand und tauchen es in Zitronenglasur.

Im Gegensatz zu Tante Hilde tragen die beiden schwarze Gummihandschuhe und blütenweiße Poloshirts. Damit kein Haar in die Glasur fällt, haben sie weiße Baseballkappen auf dem Kopf. Die Backstube ist fast so groß wie eine Turnhalle und mit weißen Kacheln gefliest. An einer Wand: drei Öfen, die bis zur Decke reichen.

Hinten wird Hefeteig zu Croissants verarbeitet. Ein paar Tische weiter belegt eine Frau salzige Quiches mit halbierten Cocktailtomaten. Erstaunlicherweise mischt sich ihre Arbeit olfaktorisch nicht in den süßen Duft der Zuckerbäckerei. Zehn Meter weiter nimmt ihre Kollegin einen Spritzbeutel zur Hand und schreibt mit geschwungenen Buchstaben das Wort „Sacher“ auf den glänzenden Schokoladenguss fertiger Torten. Einen halben Arbeitstag lang immer nur dieses eine Wort: Sacher.

Die Confiserie in vierter Generation

„Gell, das sieht chaotisch aus“, sagt Volker Gmeiner, „aber es hat System.“ Wenn einer den Überblick behält, dann er. In vierter Generation führt er die „Confiserie Gmeiner“ als Familienbetrieb. Ein freundlicher Badener, 53 Jahre alt. Er trägt ein weißes Hemd und Retro-Turnschuhe, seine Locken sind am Grauwerden. Er wuchs in Oberkirch auf, wo der Schwarzwald in die Rheinebene übergeht. Dort betrieb Familie Gmeiner seit 1898 eine Bäckerei und Konditorei. Oma Wilhelmine rettete das Unternehmen über den Krieg. Ihr Enkel Volker machte eine Konditorenlehre. Seine Wanderjahre führten ihn zur renommierten „Kurkonditorei Oberlaa“ in Wien und in die Backstube von Harrods in London, die befand sich Keller des legendären Kaufhauses.

Als er schließlich zuhause den Traditionsbetrieb übernahm, musste er auf Veränderungen reagieren. Oberkirch bekam eine Fußgängerzone, Kunden von auswärts konnten die Konditorei nicht mehr mit dem Auto erreichen. Außerdem gingen viele Mitarbeiter auf die Rente zu. Da entschloss sich Volker Gmeiner zum radikalen Schnitt. Er gab das Stammhaus auf und baute im Nachbarort Appenweier eine moderne Backstube. Sie liegt in einem prosaischen Industriegebiet, neben dem Bauhof und einer Kfz-Werkstatt. Hier entstehen täglich frisch Schwarzwälder Kirschtorten und Baisers, Pralinen und handgegossene Schokolade.

Nach der handwerklichen Ausbildung hat Gmeiner Betriebswirtschaft studiert. „Ein Ruckzuck-Studium“, sagt er lässig, es soll nicht zu hochtrabend klingen. Schritt für Schritt baute er seinen Betrieb aus. In Baden-Baden übernahm er das Traditionscafé „König“. In Stuttgart ging er in die Markthalle, in Baden-Württemberg kamen weitere Cafés und Konditoreien von Offenburg bis Konstanz dazu. Auf dem riesigen Markt der Süßwaren nimmt Gmeiner eine mittlere Position ein – viel größer als die Konditorei am Ort, viel kleiner als Industriebetriebe wie Lindt. Die Confiserie Gmeiner beschäftigt 280 Mitarbeiter, der Jahresumsatz liegt bei 20 Millionen Euro.

„Meine Frau ist irgendwann in den Betrieb gerutscht und nicht mehr rausgekommen“, sagt Volker Gmeiner. Im kleinen Büro vor der großen Backstube sitzt sie ihm gegenüber. Christine Gmeiner ist so alt wie ihr Mann. Sie hat Sprachheilpädagogik studiert und als Lehrerin gearbeitet, im Unternehmen leitet sie die Personalabteilung. „Und sie hat den Blick von außen auf das Handwerk, also den Blick der Kunden“, sagt ihr Mann. Sie legt ihr Augenmerk auf die Verpackung. Die darf nicht nach industrieller Massenproduktion aussehen. Die Butterkekse bekommen ein Schwarz-Weiß-Foto von Oma Wilhelmine. Jede Zellophanpackung mit Fruchtgelee wird von Hand mit einer Schleife abgebunden. „Was handgemacht ist, muss auch nach handgemacht aussehen“, sagt Christine Gmeiner.

Mit sinkenden Temperaturen wächst das Geschäft

Mit sinkenden Temperaturen wächst das Zuckerbäckergeschäft. Ab September geht es auf den Höhepunkt an Weihnachten zu. In dieser Phase wird neuneinhalb Stunden am Tag gearbeitet, die Belegschaft steigt von 280 auf 320 Mitarbeiter. Ostern läuft auch gut, der Muttertag ist ein letzter Höhepunkt in der Produktion. „Dann wird es ruhiger, weil alle mit ihrer Bikinifigur beschäftigt sind“, sagt Volker Gmeiner.

Von Juni an kümmert er sich um den Leitzordner mit den Klarsichtfolien. Dort sind Ideen für neue Produkte abgeheftet. Welche Süßigkeit soll neu ins Sortiment aufgenommen werden? „Wir sind klein genug, um schnell entscheiden zu können. Bei der industriellen Konkurrenz sind das manchmal langwierige Prozesse.“ Er überlegt gemeinsam mit seiner Frau und dem Produktionsleiter: Wollen wir im Herbst eine Panettone nach neuem Rezept anbieten? Oder handgefertigte Hundekuchen? „Die Idee stammt von einem Kollegen aus den Vereinigten Staaten“, erklärt Gmeiner, „bei dem laufen die Dog Bisquits wie verrückt. Die sind so gut, dass auch der Mensch sie bedenkenlos essen kann.“

Als Handwerksbetrieb muss Gmeiner überlegen, welche Vertriebswege er beschreitet. Er hat einen Onlineshop aufgebaut. Im Gegensatz zur Süßwarenindustrie verkauft er nicht über Supermärkte, nur für ein paar Edeka-Filialen in Baden macht er eine Ausnahme. Er beliefert exklusive Einzelhändler wie das KaDeWe in Berlin. Käfer in München bekommt auch Süßwaren aus Appenweier und vertreibt sie mit seinem eigenen Etikett. Der exotischste Kunde ist ein Franchisenehmer in Japan, der dort in 15 Niederlassungen Patisserie nach badischen Rezepten verkauft.

Von der Backstube sind es nur ein paar Kilometer nach Straßburg. Es gab schon Angebote, auch dort eine Confiserie zu eröffnen. Die Gmeiners haben sich dagegen entschieden. Straßburg soll für sie ein privates Refugium bleiben. Volker Gmeiner sagt: „Wenn ich mit meiner Frau über die Grenze fahre, wollen wir uns nicht ums Geschäft kümmern. Im Elsass kaufen wir Käse und genießen die französische Patisserie.“

Wilder Kakao aus Brasilien

Bislang widerstand er der Versuchung, Masse statt Klasse zu produzieren. 15 Fahrer liefern die tagesfrische Produktion aus. Sein Betrieb verwende keine Konservierungsstoffe, sagt der Chef. Orangeat wird nicht zugekauft, sondern ohne künstliche Aromen in Appenweier hergestellt. Der Rohstoff Schokolade kommt vom renommierten französischen Hersteller Valrhona. Noch exklusiver ist der Kakao, den Gmeiner aus Brasilien importiert. Der wächst wild am Amazonas, 300 Familien leben vom Pflücken der Bohnen, die im Gegensatz zum Plantagenanbau nur einmal im Jahr geerntet werden.

Gmeiners Amaretti-Spezialität vereint badische und italienische Zuckerbäckerkunst: saftig-lockere Makronen mit feinem Mandelgeschmack sind mit Schwarzwälder Kirschwasser getränkt und in dunkle Schokolade getaucht, die auf der Zunge zergeht. Das Sachertörtchen wird in einer Holzbox verschickt. „Aber unsere bestverkaufte Torte ist nach wie vor die Schwarzwälder Kirsch“, sagt Volker Gmeiner. In einer Ecke seiner Backstube steht die kleine Maschine eines badischen Tüftlers. Sie hobelt die Schokoladenspäne, mit denen dieser Klassiker verziert wird.

Und so dreht sich bei Gmeiner jeder Tag um süße Dinge. Am Abend will der Konditor dann am liebsten nichts mehr von Trüffeln oder Sachertörtchen oder Zitronenglasuren wissen. Dann schätzt er kräftige, salzige Speisen als Ausgleich. „Am liebsten Rindsrouladen.“

Handarbeit am Hasen

© Gottfried Stoppel

Handarbeit am Hasen

Torten täglich frisch

© Gottfried Stoppel

Torten täglich frisch

Die Öfen reichen bis zur Decke der Backstube.

© Gottfried Stoppel

Die Öfen reichen bis zur Decke der Backstube.

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Erstellt:
11. März 2025, 20:14 Uhr

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