„Kåsch du Schwäbisch schwätze?“
Die ehemalige VHS-Lehrerin Susanne Fuchs vermittelt Zugezogenen in einem Online-Kurs grundlegende Schwäbischkenntnisse. Dabei lernen die Teilnehmer Grammatikregeln und Vokabeln und üben die Aussprache. Im April soll ein Präsenzkurs in Backnang stattfinden.

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Witze auf Schwäbisch? Nicht immer so einfach zu verstehen wie der vom Äffle und Pferdle, findet der Syrer Hussein Al Bakri. Foto: A. Becher
Von Melanie Maier
BACKNANG. Nabil liest vor: „I kå – du kåsch – er kå.“ Unregelmäßige Verben stehen an diesem Abend auf dem Programm des Schwäbischkurses: kenna, vrschdanda, dirfa – können, verstehen, dürfen. Für Menschen, die nicht im Südwesten aufgewachsen sind, gar nicht so einfach zu übersetzen. An sie richtet sich der siebenwöchige Schwäbischkurs, der von dem Verein Kubus organisiert wird und – wie die meisten Kurse momentan – online stattfindet.
Es ist schon der dritte Schwäbischkurs, den der Verein anbietet. Die Reihe ist Teil des Projekts „Schwäbisch für Reingeschmeckte – die kleine Kunst der großen Vielfalt“. Das zweijährige Projekt wird gefördert durch die Aktion Mensch, umfasst verschiedene Veranstaltungen und ein schwäbisches Theaterstück.
Die Idee, Schwäbischkurse anzubieten, wurde der Projektleiterin Anja Wilhelm quasi zugetragen. Immer wieder seien junge Menschen mit Fluchthintergrund auf sie zugekommen, berichtet sie. „Einige waren schon zwei Jahre in Deutschland und konnten eigentlich gut Deutsch“, sagt sie. „Aber wenn sie im Vorstellungsgespräch einem Urschwaben gegenübersaßen, haben sie auf einmal nichts mehr verstanden.“ Wilhelm weiß, mit wie viel Frust solche Erfahrungen verbunden sind. „Deshalb haben wir im Verein gesagt: Da müssen wir was machen!“
Es musste erst einmal jemand gefunden werden, der den Dialekt unterrichten kann.
Einfach war es allerdings nicht, den ersten Schwäbischkurs zu organisieren. Denn es musste erst einmal jemand gefunden werden, der den Dialekt nicht nur sprechen, sondern auch unterrichten kann. „Ich stamme aus dem Hohenlohekreis“, sagt Wilhelm, „ich hätte das nicht machen können.“
Über eine Internetsuche wurde sie auf Susanne Fuchs aufmerksam, die zu dem Zeitpunkt jedoch schon im Ruhestand war. Die Pädagogin wurde in Stuttgart geboren und ist in der Nähe aufgewachsen. Bis September 2019 war sie die Abteilungsleiterin für Sprachen an der Volkshochschule (VHS) in Reutlingen. Während ihrer letzten Arbeitsmonate setzte Fuchs noch eine weitere Sprache auf die Agenda: Schwäbisch.
Auch bei ihr entstand die Idee aus einem konkreten Bedarf heraus. „Der Hausmeister an der VHS kam aus Syrien“, erzählt sie. „Er konnte gut Deutsch, aber irgendwann hat er mich gefragt, was eigentlich dieses ‚rå‘ heißt, das alle ständig zu ihm sagen.“
Kurze Zeit später fand der erste Schwäbischkurs an der Volkshochschule statt. Schwäbisch zu unterrichten habe ihr von Anfang an „mordsmäßig Spaß gemacht“, sagt Fuchs. Auch wenn es „null Lehrmaterial“ auf dem Markt gab.
Neben ihrer eigentlichen Arbeitszeit erstellte sie Übungsblätter für die Kurse. Um die Aussprache richtig abzubilden, musste Susanne Fuchs sogar einige neue Buchstaben einführen. Zum Beispiel das å, ein Nasallaut, der häufig vorkommt im Schwäbischen: åkomma (ankommen), Må (Mann), håd (hat), amål (einmal). Bei der Zusammenstellung beschränkte Fuchs sich auf das sogenannte Mittelschwäbisch aus dem Großraum Stuttgart, das sich beispielsweise von dem Dialekt der Schwäbischen Alb etwas unterscheidet. Die Grammatik zusammenzutragen und zu verschriftlichen, sei eine Mammutaufgabe gewesen, sagt Fuchs.
Mittlerweile hat die Pädagogin einen großen Fundus an Arbeitsmaterial erstellt, auf den sie zurückgreifen kann. Im aktuellen Schwäbischkurs arbeitet sie etwa mit animierten Powerpoint-Folien, die sie bei der Videokonferenz direkt auf ihrem Bildschirm einblenden kann.
An dem Abend mit den unregelmäßigen Verben stehen Sätze wie „Kåsch heid Obed komme?“ oder „Derf i draußa schbiela?“ darauf. Fuchs liest vor, ohne die Sätze zu zeigen. Die Kursteilnehmer aus Afghanistan, Syrien und Indien sollen übersetzen. Und später auch selbst schwäbische Sätze mit den neu gelernten Verben bilden: „I kå koi Englisch“, sagt Kanagaraj, der als Einziger nicht in der Region Stuttgart, sondern in Ulm lebt, „du kåsch koi Schwäbisch“, sagt Nahida.
Schwäbisch sprechen zu können, sei gar nicht das Ziel des Kurses, erklärt Fuchs im Vorfeld. In erster Linie gehe es darum, dass die Teilnehmer lernen, Schwäbisch zu verstehen. Elf Frauen und Männer haben sich zu dem Online-Kurs angemeldet. Viel mehr Teilnehmer wären auch gar nicht möglich, sagt Fuchs. Bisher haben vor allem Geflüchtete die kostenlosen Kurse genutzt, um ihre Schwäbischkenntnisse zu verbessern, doch grundsätzlich stehen sie allen „Reingeschmeckten“ offen. „Die Zugezogenen aus Norddeutschland verstehen ja oft genauso wenig Dialekt wie jemand aus dem Ausland“, sagt Fuchs.
Ein Teilnehmer ist Hussein Al Bakri. Der 27-Jährige studiert Soziale Arbeit an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, wohnt wegen der Coronapandemie aber bei seinem Bruder in Heiningen. Von dem Schwäbischkurs erfahren hat er durch seine ehrenamtliche Arbeit beim Verein Kubus. Der Kurs ist schon der zweite, an dem er teilnimmt. Al Bakri hätte lieber einen Fortgeschrittenenkurs belegt, aber ein höheres Sprachniveau wurde bisher noch nicht angeboten. „Ich möchte mich aber verbessern“, sagt er, „deshalb wiederhole ich den Kurs jetzt einfach.“
„Viele Ältere, die in Backnang leben, sprechen nur Schwäbisch.“
Dem jungen Mann ist es wichtig, den Dialekt der Region zu verstehen, in der er lebt. Zum einen, um seinen Beruf später gut ausüben zu können, zum anderen, weil er sich in Deutschland integrieren möchte. „Viele Ältere, die in Backnang leben, sprechen nur Schwäbisch“, weiß er.
Vor etwas mehr als sechs Jahren, Ende 2014, ist Al Bakri aus Syrien geflüchtet. Vor rund drei Jahren nahm ihn eine Bekannte zu einem Treffen mit. Hochdeutsch habe er da eigentlich schon gut verstanden, sagt er, aber als eine Frau ihn „Wia goht’s?“ fragte, wusste er nicht, was er antworten sollte. „Am Anfang hatte ich Probleme mit Schwäbisch“, erinnert sich Al Bakri. Heute versteht er das meiste. Das Sprechen sei schwieriger, sagt er, „das kann ich noch nicht so gut“. Noch schwieriger findet er, Schwäbisch zu lesen. Zum Beispiel die Witze, die seine schwäbischen Freunde ihm ab und zu aufs Handy schicken. „Die meisten kann ich nicht verstehen“, gibt er zu. Deshalb möchte Al Bakri auf jeden Fall noch an einem Aufbaukurs teilnehmen.
Sollte alles nach den Plänen von Anja Wilhelm und Susanne Fuchs klappen, muss er nicht mehr lange warten. Nach einem weiteren Grundlagenkurs im April möchten sie im Mai einen Aufbaukurs in Backnang anbieten (siehe Infokasten).
Im April soll ein weiterer Grundlagenkurs angeboten werden (16., 17., 23. und 24. April), voraussichtlich im Mai ein Aufbaukurs. Beide Kurse sind als Präsenzkurse in Backnang geplant, vorausgesetzt, die Coronaverordnung lässt es zu. Für den Aufbaukurs stehen noch keine Termine fest.
Die Kurse richten sich an zugereiste Menschen bis 27 Jahre aus dem In- und Ausland. Grundkenntnisse der deutschen Sprache (mindestens A 2) sind Voraussetzung. Die Termine der kostenfreien Kurse können jeweils nur zusammen gebucht werden.
Weitere Infos findet man im Internet unter www.kubusev.org. Offene Fragen beantwortet Anja Wilhelm. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer 0711/88899938, per WhatsApp an 0157/32628980 sowie per E-Mail an anja.wilhelm@kubusev.org.