Auf der Suche nach den leisesten Orten der Welt

Kein Lärm um nichts

Vom hohen Norden Finnlands über die Vulkane Hawaiis bis in amerikanische Labore: Ein Streifzug um den Globus auf der Suche nach den leisesten Orten der Welt.

Vulkanasche und löchrige Gesteinslava absorbieren Geräusche extrem. Daher ist es  auf dem  Haleakala-Vulkan auf der  Insel Maui, Hawaii, ganz besonders leise.

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Vulkanasche und löchrige Gesteinslava absorbieren Geräusche extrem. Daher ist es auf dem Haleakala-Vulkan auf der Insel Maui, Hawaii, ganz besonders leise.

Von Christian Satorius

Auf den Namen „Guovssahasat“ hört das Nordlicht bei den Samen im Norden Skandinaviens. Sie nennen es „das Licht, das man hören kann“. Was lange als Mythos abgetan wurde, konnten Wissenschaftler um Unto Laine von der Aalto-Universität in Finnland mittels Audioaufnahmen Anfang des Jahrtausends tatsächlich nachweisen. „Die Geräusche sind normalerweise kurz und schwach, und sie treten auch nicht immer auf“, meint der heute emeritierte Akustikprofessor. „Vor allem aber erfordern sie ein sehr genaues Hinhören.“ Es gibt den Forschern nach eine Voraussetzung, um die Geräusche der Aurora borealis überhaupt wahrnehmen zu können: „Störende Hintergrundgeräusche müssen auf ein Minimum reduziert sein“, weiß Laine.

Hätten die Samen unseren Stadtverkehr, so könnten sie ihr „Guovssahasat“ wohl niemals hören. Aber hoch oben im Norden Skandinaviens, wo es menschenleer und einsam ist, ist es leise, sehr leise sogar. Aber wie leise kann es eigentlich überhaupt werden? Die Suche nach den leisesten Orten der Welt könnte man in einer Bibliothek beginnen. 40 Dezibel herrschen dort im Schnitt, haben Akustiker festgestellt. Das ist in etwa das, was eine Klimaanlage verursacht. Interessanterweise kann es im heimischen Schlafzimmer noch deutlich leiser zugehen. 30 Dezibel sind durchaus drin. Das ist spürbar leiser, denn eine Abnahme um 10 Dezibel nehmen wir als eine Halbierung der Lautstärke wahr. Dennoch: Da unsere Hörschwelle bei 0 Dezibel verortet wird, bedeuten 30 Dezibel immerhin noch eine ganze Menge Hintergrundgeräusche. Auch wenn wir diese vielleicht schon gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Gibt es denn einen Ort, der noch leiser ist als das heimische Schlafzimmer?

In der Wüste oder im Regenwald – in den US-Nationalparks ist es ziemlich leise

Der US-amerikanische Akustiker Gordon Hempton kennt die Antwort, denn seit nunmehr 35 Jahren ist er auf der Suche nach wirklich richtig leisen Orten. Für ihn steht fest: Der leiseste Ort der USA befindet sich im Hoh-Regenwald im Washingtoner Olympic-Nationalpark. Im ebenfalls als sehr leise gehandelten Yellowstone-Nationalpark und Great-Sand-Dunes-Nationalpark in Colorado werde es schließlich kaum leiser als 20 Dezibel. Entlegene menschenleere Gebiete, möglichst weit abseits von Straßen, sowie Bahn- und Flugrouten, sind natürlich immer eine gute Adresse, wenn es um wirkliche Stille geht. Doch selbst in solch unzugänglichen Gegenden wie dem Grassland-National-Park in Kanada, laut Hempton dem „leisesten Gras-Ökosystem der Welt“, kann man oft noch Naturgeräusche vernehmen wie etwa den Wind oder das Prasseln des Regens.

Doch es gibt Orte, wo auch die noch verstummen. Trevor Cox, Akustikprofessor an der britischen Universität von Salford, Manchester, hat sich zu den Kelso-Dünen in der Mojave-Wüste aufgemacht und dort – wie nicht anders zu erwarten – kein Regenprasseln vernommen, ja nicht einmal Tierlaute gehört, dafür allerdings immer noch einige Windgeräusche registriert. Die gibt es auch in anderen Wüsten zu hören, wie etwa in Salzwüsten oder auch in der Antarktis, der größten Eiswüste der Welt. Dennoch: Schnee schluckt Schall. Selbst Schneefall ist lediglich 10 Dezibel leise. Nicht nur Schnee, auch Vulkanasche und zu löchrigem Gestein erstarrte Lava absorbieren Geräusche extrem. Das hat Gordon Hempton festgestellt, als er den Haleakala-Vulkan auf der zerklüfteten Insel Maui, Hawaii, genauer untersucht und sogar negative Dezibelwerte gemessen hat. Für ihn ist der 3000 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Vulkan, dessen Krater 800 Meter tief ist, aus diesem Grund auch „der letzte leise Ort auf der Erde“.

Menschengemacht geht es noch leiser

Doch es gibt Orte, da geht es noch leiser zu. In sogenannten „schalltoten Kammern“ ist es sehr, sehr leise. Typischerweise herrschen in diesen speziellen schallreflexionsarmen Laborräumen nur 20 bis 30 Dezibel, in einigen auch nur 10 Dezibel. Die Testkammer der Orfield-Laboratorien in Minneapolis stellte 2004 einen Weltrekord auf und zwar mit einem atemberaubenden negativen Dezibelwert von minus 9,4 Dezibel. Das ist schon derart leise, dass es manchen Menschen unangenehm ist. Man hört nichts, aber auch absolut gar nichts. Laborleiter Steven Orfield sagt so auch nicht ohne Stolz über seine schalltote Kammer: „Hier bist du das Geräusch!“ Das hat durchaus seinen Grund, denn im Orfield-Labor ist es so leise, dass man seinen eigenen Herzschlag hören kann. Auch Trevor Cox urteilt begeistert: „Man hört das Blut in den Adern rauschen.“

Wer nun meint: Leiser geht es nun wirklich nicht mehr, der irrt. Am 2. Oktober des Jahres 2015 musste Orfield seinen Weltrekord abgeben. Seitdem gilt die schalltote Kammer des Microsoft-Labors in Redmond, Washington, als „leisester Ort der Welt“, und zwar laut Guinnessbuch der Weltrekorde mit einem unvorstellbaren negativen Dezibelwert von minus 20,35 Dezibel.

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Erstellt:
28. Oktober 2024, 16:20 Uhr

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