Kein Recht des Stärkeren

Der Regelbruch wird zum Normalfall. Die Folge könnte grenzenloses Chaos sein.

Von Eidos Import

Darf man das sagen, dass Friedrich Merz, Donald Trump und Wladimir Putin eine Gemeinsamkeit haben? Wird da nicht in einen Topf geworfen, was nicht in einen Topf gehört? Schließlich ist Putin ein Kriegsverbrecher, Trump ein Möchtegern-Autokrat und Friedrich Merz sicher weder das eine noch das andere.

Doch, ja, man darf das sagen. Man stellt den Kanzlerkandidaten der Union auch nicht auf eine Stufe mit dem russischen und dem amerikanischen Präsidenten, wenn man darauf hinweist, dass alle drei Politiker eine sehr eigene Auffassung davon haben, wie mit Regeln umgegangen werden soll. Es ist die Sympathie für das Recht des Stärkeren, die die einigende Klammer zwischen den Männern bildet, auch wenn diese Sympathie in ganz unterschiedlichen Ausprägungen gelebt wird. Gemeinsam aber ist der Wunsch, sich über Regeln hinwegsetzen zu können, wenn diese als nicht passend erscheinen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Putin führt Krieg. Nicht weil er es darf, sondern weil er es kann. Zumindest hat ihm niemand Einhalt gebieten können. Trump fordert die Welt heraus, diktiert Feind und zunehmend auch Freund das Geschehen. Er missachtet Vereinbarungen und Verträge, wissend, dass derzeit nur wenige wagen, sich ihm in den Weg zu stellen. Friedrich Merz möchte die Regeln zum Asylrecht ändern. Nicht im dafür vorgesehenen Format, sondern ganz bewusst entgegen bestehenden Rechts. Mit der Begründung, dass eben dieses Recht gerade nicht recht ist.

Das mag in der Analyse sogar richtig sein. Die Regeln, die sich Europa im Umgang mit Flüchtlingen gegeben hat, werden täglich massenhaft missachtet. Sie zuerst einmal einzuhalten wäre das Mindeste, sie dann zu ändern dringend nötig. Das passiert nicht. Aber kann man darauf damit reagieren, ebenfalls aus dem Regelwerk auszubrechen? Ist es legitim, der in diesem Punkt nicht funktionsfähigen Europäischen Union einen weiteren Regelverstoß entgegen zu setzen? Kurzfristig mag das vielleicht zu dem angestrebten Erfolg führen. Nachhaltig ist es ganz sicher nicht.

Regeln können unsagbar nervtötend sein. Aber sie sind im Zusammenspiel der Staaten und Völker ein Schutz für die Schwächeren. Es ist eine der wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte, dass sich die Staaten Regeln gegeben haben, besonders nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Nun ist es beileibe nicht so, dass diese Regeln immer und überall eingehalten wurden. Deutschland etwa hat in den vergangenen Jahren mehr Vertragsverletzungsverfahren in der EU ausgelöst als Frankreich, Tschechien oder die Niederlande, weil es gegen EU-Recht verstoßen hat. Aber das geschah meist leise und verschämt. Dass der Rechtsbruch offensiv angekündigt wird, ist neu. Das passt in das internationale Bild: Der Stärkere diktiert die Regeln, deutet sie um oder handelt gegen sie. Das ist kein erstrebenswerter Zustand.

Deutschland täte gut daran, nicht auf Stärke, sondern auf Regeln zu setzen. Die regelbasierte Welt ist die einzige Chance, um Chaos und Willkür wenigstens etwas im Zaum zu halten. Und: Stärke ist relativ. Gegen Österreich oder die Niederlande kann man die Muskeln vielleicht noch spielen lassen. Gegenüber den USA, China oder auch Russland funktioniert das nicht. Es ist pures Eigeninteresse, in Bündnisse eingebettet zu sein – und die Regeln darin zu beachten.

Das bedeutet nicht, dass es sich nicht lohnt, darum zu kämpfen, sie zu verändern. Das muss allerdings im Rahmen der Mechanismen geschehen, die dafür vorgesehen sind. Auch wenn das langwierig und nervtötend sein kann. Und das gilt natürlich nicht nur für Deutschland.

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Erstellt:
2. Februar 2025, 22:12 Uhr
Aktualisiert:
3. Februar 2025, 21:58 Uhr

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