Treffen in Brüssel
Keine greifbaren Ergebnisse beim EU-Westbalkan-Gipfel
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Balkan eine wichtige Region für Europa. Doch der Beitrittsprozess der sechs EU-Anwärter wird dadurch nicht wesentlich beschleunigt.
Von Knut Krohn
Die Westbalkanländer bleiben weiter im Wartesaal der EU. Die Staats- und Regierungschefs der Union fanden während eines Gipfels am Mittwoch zwar viele aufmunternde Worte, wirklich konkrete Schritte in Richtung Aufnahme in den exklusiven Klub wurden mit den sechs Staaten aber nicht vereinbart. Dabei nannte der neue EU-Ratspräsident António Costa die Erweiterung „die wichtigste geopolitische Investition in Frieden, Sicherheit und Wohlstand“.
Ein vielsagender Auftritt von Kanzler Scholz
Spätestens aber nach einem Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor den wartenden Journalisten am Rande des Treffens waren für alle deutlich erkennbar die wirklichen Schwerpunkte gesetzt. Über die Länder des Westbalkans formulierte Scholz einige wenige vorgefertigte Standardsätze. Die EU müsse den seit gut 20 Jahren dauernden Prozess „mit ganz neuem Tempo zu einem Ende führen, sodass die Beitrittsperspektive sich in einen realen Beitritt verwandelt“, forderte der Kanzler knapp. Danach redete der Scholz sehr lange über die Lage in der Ukraine und betonte mehrere Male, dass Deutschland der größte Geldgeber in der Union sei und Kiew weiter unterstützen werde.
Dabei waren nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine auch auf dem Balkan die Karten neu gemischt worden. Brüssel hat erkannt, dass die sechs Staaten eine geostrategisch wichtige Rolle einnehmen. Ziel der EU ist es nun, den Einfluss Chinas und Russlands zurückzudrängen. Aus diesem Grund stand bei dem Treffen in Brüssel nicht nur der komplizierte Erweiterungsprozess auf dem Programm. Gesprochen wurde auch über das „strategische Engagement“ der Europäischen Union auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik.
Serbiens schwierige Haltung zu Moskau
Vor allem Serbiens Haltung zu Moskau ist der EU ein Dorn im Auge. Seit Monaten verlangt Brüssel erfolglos von Belgrad, die gegen Moskau verhängten Sanktionen umzusetzen. Präsident Aleksandar Vucic scheint sich allerdings einen Spaß daraus zu machen, Brüssel zu reizen. Er versicherte Kreml-Chef Wladimir Putin erst Ende Oktober telefonisch, dass er dem Druck der EU nicht nachgeben und die Sanktionen nicht umsetzten werde. Er dankte Putin zugleich für die anhaltenden Erdgas-Lieferungen an Serbien.
Auch im Konflikt mit dem Kosovo spielt Aleksandar Vucic eine Hauptrolle. Das kleine Land, das mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnt wird, hat sich 2008 von Serbien abgespalten und ist seitdem ein ständiger Unruheherd. Zuletzt kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen nach den Kommunalwahlen im Nordkosovo. Die EU hatte daraufhin die Finanz-Zusammenarbeit und hochrangige Kontakte zum Kosovo auf Eis gelegt. Die Präsidentin des Landes, Vjosa Osmani, zeigte sich am Mittwoch in Brüssel „absolut enttäuscht“, dass die EU auf Druck einiger Mitgliedsländer weiter politische und wirtschaftliche Sanktionen gegen ihr Land aufrecht erhält. Wegen des Konflikts mit Serbien gilt das Kosovo nur als „potenzieller“ EU-Beitrittskandidat und ist damit Schlusslicht unter den sechs Westbalkanländern.
Unzufriedenheit bei der Präsidentin des Kosovo
Als am weitesten im Beitrittsprozess wird in Brüssel derzeit Montenegro gesehen. Mit einer EU-Erweiterung wird allerdings derzeit frühestens in einigen Jahren gerechnet. Der Präsident Montenegros, Jakov Milatovic, bekräftigte in Brüssel die Absicht seines Landes, bis 2028 das 28. EU-Mitglied zu werden. Dieses Ziel sei zwar „ehrgeizig, aber erreichbar“, betonte er. Auch mit Albanien und Nordmazedonien wurde der Verhandlungsprozess inzwischen gestartet. Bosnien-Herzegowina hat den Status eines Beitrittskandidaten, ist aber bislang noch nicht in Verhandlungen.
Der Beitritt der Westbalkanländer hängt allerdings nicht nur vom Reformwillen der Regierungen in der Region ab. Vor einer neuen Erweiterungsrunde hat sich die Europäische Union selbst einige innere Reformen verschrieben, um weiter handlungsfähig zu bleiben. Diese Absicht gibt es seit Jahren, ebenso liegen genügend Ideen auf dem Tisch, doch noch immer fehlt ein verbindlicher Zeitplan. Mehrere Anläufe etwa, endlich Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik zu beschließen, sind gescheitert.