Jugendliche schreiben AfD-Chefin

Keine Macht den Fake News

Falschbehauptungen, die unwidersprochen blieben – das Gespräch zwischen Tech-Milliardär Elon Musk und AfD-Chefin Alice Weidel auf X hat kürzlich Aufsehen erregt. Ein Geschichtsleistungskurs will Weidels Aussagen so nicht stehen lassen.

Tech-Milliardär Elon Musk und AfD-Chefin Alice Weidel

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Tech-Milliardär Elon Musk und AfD-Chefin Alice Weidel

Von Kathrin Zinser

Meta-Chef Mark Zuckerberg schafft die Faktenchecker auf Facebook und Instagram in den USA ab, Tech-Milliardär Elon Musk bietet AfD-Chefin Alice Weidel auf seiner Plattform X eine Bühne und lässt Fake News unwidersprochen. Versinkt die Welt in Unwahrheiten? Nur dann, wenn niemand mehr widerspricht.

Das wiederum haben jüngst die Geschichtsleistungskurse des Gymnasiums Karlsbad getan. Der 17-jährige Kai Pietzcker sprach den Austausch zwischen Weidel und Musk in seinem Kurs an, schnell entstand die Idee zu einem offenen Brief, den Pietzcker zusammen mit einer Mitschülerin verfasste: „Sehr geehrte Frau Dr. Weidel, Ihr Gespräch mit Herrn Musk hat uns, die Leistungskurse Geschichte des Gymnasiums Karlsbad, beschäftigt. Hierbei sind wir besonders über eine Ihrer Aussagen gestolpert. Diese wollen wir nicht unkommentiert stehen lassen und erheben folgende Einwände“, heißt es da.

Sachliche Auseinandersetzung

Die Resonanz der Klasse sei positiv gewesen, erzählt Kai Pietzcker. Auch Lehrerin Petra Duttlinger, die den Text am Ende auf sprachliche und inhaltliche Richtigkeit prüfte, zeigt sich beeindruckt: „Der freundlich-konstruktive Ton und die rein sachliche und höfliche Auseinandersetzung sind bemerkenswert.“ Dadurch hätten sich alle schnell hinter den Brief stellen können, meint sie. Kai Pietzcker betont, ihm sei eine „rein faktenbasierte Richtigstellung“ wichtig gewesen – „gerade jetzt in dieser Wahlkampfsituation, wo man wichtige Entscheidungen trifft“, erklärt er. Das Wissen aus dem Geschichtsunterricht habe ihm dabei geholfen.

Warum Hitler kein Kommunist war

So stellen die Jugendlichen Weidels Behauptung, Hitler sei Kommunist gewesen, systematisch die Fakten gegenüber – etwa: „Die Ziele eines Kommunisten sind es, die besitzende Klasse zu entmachten und deren Besitz unter dem Proletariat gerecht (jedem nach seinen Bedürfnissen) zu verteilen. Dies war aber keines der Ziele der nationalsozialistischen Regierung. Stattdessen waren sie erklärte Feinde des Kommunismus. So stellte Hitler bereits im Februar 1933 in einer Rede vor den Kommandeuren der Reichswehr klar, dass sein Ziel die Zerschlagung des Marxismus im Inneren von Deutschland war, gefolgt von einem Vernichtungskrieg gegen den Osten. Damit erklärt er die Kommunisten offen zu Feinden des deutschen ‚Volkskörpers’ und bereitet den Weg für die Ermordung von mehreren zehntausend Kommunisten in den zwölf Jahren der Nazidiktatur.“

Bitte an die AfD-Chefin

Der Brief endet mit der Bitte an Alice Weidel, sie möge ihre „Fehleinschätzung einsehen und idealerweise dies öffentlich mitteilen“, da sie „einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf eine nicht unbedeutende Gruppe an Menschen“ habe. Gehört haben die Schülerinnen und Schüler bisher nichts von der AfD-Chefin. Das entmutigt sie jedoch nicht. „Ich würde es noch mal so machen“, erklärt Pietzcker. „Man muss an irgendeiner Stelle anfangen“, sagt er über den Kampf gegen Fake News. Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende.

Hier der offene Brief des Geschichtskurses in voller Länge:

„Sehr geehrte Frau Dr. Weidel,

Ihr Gespräch mit Herrn Musk hat uns, die Leistungskurse Geschichte des Gymnasiums Karlsbad, beschäftigt. Hierbei sind wir besonders über eine Ihrer Aussagen gestolpert. Diese wollen wir nicht unkommentiert stehen lassen und erheben folgende Einwände:

Sie sagten an einer Stelle, dass Hitler eigentlich ein Kommunist gewesen sei und dass ihn nur die moderne Geschichtsschreibung zu einem Rechten und Konservativen gemacht habe. Als Argumente dafür führen Sie an, dass es zur damaligen Zeit hohe Steuern gab und dass unter der nationalsozialistischen Regierung Privateigentum verstaatlicht wurde. Tatsächlich ist Zweiteres nicht passiert: Es wurden nicht grundsätzlich Privateigentum, Firmen oder Immobilien enteignet, sondern gezielt das Eigentum von Juden. Aber selbst dieser enteignete Besitz blieb nicht in der Hand des Staates, sondern wurde nutzbringend weiterverkauft oder sich von ranghohen Nazis angeeignet. Außerdem sind hohe Steuern kein eindeutiges Zeichen für ein kommunistisches Regime. So hatte nicht die tatsächlich kommunistische Sowjetunion die höchsten Einkommenssteuern der Zeit, sondern das imperialistische monarchistische Japan.

Trotzdem ließe sich beides durch den von Hitler geplanten Krieg erklären. Zum einen brauchte die NS-Regierung die Steuergelder zur Aufrüstung des durch den Versailler Vertrag stark reduzierten Heeres. Ebenfalls in Vorbereitung auf den bevorstehenden Krieg wurde das deutsche Wirtschaftssystem in ein System der Kriegswirtschaft umgebaut. Bei diesem Wirtschaftssystem kommt es zu einer Zentralverwaltungswirtschaft, bei der der Staat den Markt in Kriegszeiten reguliert und so zum Beispiel das System von Angebot und Nachfrage außer Kraft setzt. Dies wird zwar ebenfalls in kommunistischen Diktaturen so gehandhabt, kann aber nicht als hinreichende Bedingung gewertet werden, die Hitlers Politik zu einer kommunistischen Politik macht.

Die Ziele eines Kommunisten sind es, die besitzende Klasse zu entmachten und deren Besitz unter dem Proletariat gerecht (jedem nach seinen Bedürfnissen) zu verteilen. Dies war aber keines der Ziele der nationalsozialistischen Regierung. Stattdessen waren sie erklärte Feinde des Kommunismus. So stellte Hitler bereits im Februar 1933 in einer Rede vor den Kommandeuren der Reichswehr klar, dass sein Ziel die Zerschlagung des Marxismus im Inneren von Deutschland war, gefolgt von einem Vernichtungskrieg gegen den Osten. Damit erklärt er die Kommunisten offen zu Feinden des deutschen „Volkskörpers“ und bereitet den Weg für die Ermordung von mehreren zehntausend Kommunisten in den zwölf Jahren der Nazidiktatur. Hierbei sind nicht die Todesopfer mitgerechnet, die durch den Russlandfeldzug starben. Diese systematische Verfolgung und Tötung ergibt keinen Sinn, wenn Hitler Pläne hatte, einen kommunistischen Staat aufzubauen. Ganz im Gegenteil, seine Ansichten und die Grundlagen der Naziideologie waren konservativ. So verweigerte Hitler selbst bei massiven Arbeitskräftemangel den Einsatz von Frauen in der Rüstungsindustrie, stattdessen propagierte er die klassische Familie, mit einem erwerbstätigen Mann und einer Frau, die zu Hause als Mutter agierte.

Auch sah sich das Dritte Reich als Nachfahre früherer deutscher “Reiche”, wie dem deutschen Kaiserreich und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Dieses Propagandieren von alten Zeiten, geleitet von dem Gedanken “früher war alles besser”, ist eine sehr konservative Einstellung. Aufgrund dieser Faktenlage, welche auf Reden und Zahlen aus dieser Zeit basiert, lässt sich klar erkennen, dass Hitler offensichtlich kein Kommunist, sondern ein konservativer Politiker war.

Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesem Exkurs in die Geschichte helfen konnten, und bitten Sie darum, dass Sie Ihre Fehleinschätzung einsehen und idealerweise dies öffentlich mitteilen, da Sie als Person des öffentlichen Lebens einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf eine nicht unbedeutende Gruppe an Menschen haben. Mit dieser Verantwortung sollten Sie behutsam umgehen und besonders solche faktisch inkorrekten Aussagen so schnell wie möglich revidieren.

Mit freundlichen Grüßen

Die Leistungskurse Geschichte des Gymnasiums Karlsbad“

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Erstellt:
29. Januar 2025, 17:42 Uhr

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