Realistisches Projekt oder Milliardengrab?
Kernfusionsreaktor Iter soll frühestens 2034 starten
Kernfusion könnte viele Energieprobleme lösen – so lautet die Verheißung. Daran arbeiten neben Forschungsinstituten auch immer mehr Start-ups. Das größte Fusionsprojekt wird in Südfrankreich vorangetrieben. Doch der Betrieb wird immer weiter verschoben – nun auf das Jahr 2034.
Von Markus Brauer/dpa
Der internationale Kernfusionsreaktor Iter dürfte erst deutlich später in Betrieb gehen als bisher vorgesehen. Das Team plant nun, den Forschungsbetrieb frühestens im Jahr 2034 aufzunehmen, wie es von der im südfranzösischen Saint-Paul-lez-Durance sitzenden Organisation heißt.
Ursprünglich sollte das erste Plasma bereits im kommenden Jahr eingesetzt werden. Iter zufolge wäre dies aber ein kurzer, energiearmer Maschinentest gewesen. Der neue Zeitplan soll eine vollständigere Maschine an den Start bringen.
Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff-Atomen
Der Reaktor Iter soll Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff-Atomen erzeugen und damit die Funktionsweise der Sonne imitieren. Dazu wird ein Wasserstoffplasma auf 150 Millionen Grad Celsius erhitzt. Ziel ist es, mit der Experimentalanlage den Weg für künftige Fusionskraftwerke zur Stromerzeugung zu ebnen.
Die Kosten werden auf mehr als 20 Milliarden Euro geschätzt. An dem Projekt sind neben der EU die USA, Russland, China, Indien, Japan und Südkorea beteiligt. Die Arbeiten hatten 2010 begonnen.
Milliarden an Mehrkosten
Befürworter erhoffen sich von der Kernfusion eine klimafreundliche, nahezu unendlich verfügbare Energiequelle. Iter-Kritiker halten dagegen, dass die Technologie angesichts des Aufstiegs erneuerbarer Energien zu spät komme.
Bereits seit Längerem war laut Iter klar, dass der vorgesehene Zeitplan nicht einzuhalten war. Die Corona-Pandemie und Qualitätsprobleme bei Einzelteilen sorgten für Verzögerungen. Nicht alle benötigten Teile wären bis zum anvisierten Start 2025 verfügbar gewesen. Das neue Vorgehen, das der Vorstand noch prüft, dürfte mit Mehrkosten in Höhe von mehreren Milliarden Euro verbunden sein.
Verschmelzung statt Spaltung
Sowohl Kernkraft als auch Kernfusion gewinnen Energie aus den Bindungskräften von Atomkernen. Bei der Kernkraft werden jedoch große Atome gespalten. Es entsteht unter anderem radioaktiver Abfall und es drohen schwere Unfälle.
Bei der Kernfusion hingegen werden kleine Atomkerne zu größeren verschmolzen – fusioniert –, die Technologie gilt als sauber und sicher. Diese Form der Energiegewinnung ähnelt den Vorgängen in Sternen wie der Sonne.
Unerschöpfliche Energiequelle nach dem Vorbild der Sonne
Die Kernfusion gewinnt enorme Mengen Energie, indem sie leichte Atomkerne zu schwereren verschmilzt. Unsere Sonne leuchtet vor allem durch die Fusion von Wasserstoff, dem leichtesten chemischen Element, zum nächst schwereren, Helium. Nach diesem Vorbild sollen irdische Fusionsreaktoren die Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium zu Helium verschmelzen.
Deuterium, auch als schwerer Wasserstoff bezeichnet, lässt sich aus normalem Wasser gewinnen. Tritium, sogenannter superschwerer Wasserstoff, kann ein Reaktor aus dem Leichtmetall Lithium erbrüten, das sich in Gestein findet – Fusionsbrennstoff ist vergleichsweise billig und im Überfluss vorhanden.
Wohin mit dem radioaktiven Abfall?
Fusionsreaktoren erzeugen weniger und vor allem deutlich kurzlebigere Radioaktivität als die Kernspaltung. Ganz ohne Strahlenmüll kommen sie allerdings nicht aus. Für Tausende Jahre sichere Endlager wie für den radioaktiven Abfall der Spaltreaktoren sind jedoch nicht nötig, wie die Befürworter der Technik betonen. Nach 100 Jahren ist demnach die Radioaktivität auf ein Zehntausendstel abgeklungen.
Als weiteren wichtigen Vorteil führen Befürworter die Klimafreundlichkeit ins Feld, denn die Kernfusion produziert keine Treibhausgase. Nach ihrer Ansicht könnte die Fusion im Energiemix der Zukunft die Grundlast im Stromnetz übernehmen.