Neues Zentrum in Leonberg
KI-Software für Fahrzeuge – Wayve testet und entwickelt in der Region
Die Londoner Firma will ihre KI-Technologie für automatisiertes Fahren weiter voranbringen. Warum das neue Zentrum im Raum Stuttgart liegt und worauf Wayve hinarbeitet.
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© Simon Granville
Kaity Fischer ist Vice President of Commercial and Fleet Management (Leiterin Geschäftsentwicklung und Flottenmanagement) von Wayve. Der Softwareentwickler feilt an seiner KI-Technologie.
Von Rouven Spindler
Das britische Unternehmen Wayve hat die Eröffnung eines Test- und Entwicklungszentrums in Leonberg (Kreis Böblingen) bekannt gegeben. Es will seine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Technologie für automatisiertes Fahren nun auch im Raum Stuttgart weiter voranbringen.
„Wir fangen mit einer kleinen Flotte an, aber wir sind optimistisch und freuen uns darauf, unsere Präsenz hier in Leonberg mit der Zeit auszubauen“, sagt Kaity Fischer, Vice President of Commercial and Fleet Management (Leiterin Geschäftsentwicklung und Flottenmanagement) von Wayve, bei ihrem Besuch des neuen Standorts im Gespräch mit unserer Zeitung. Eine einstelligen Anzahl an Autos, die für die Tests mit einem Aufsatz über der Windschutzscheibe ausgestattet sind, sei seit Februar vor Ort. Das dortige Team arbeite an der Fahrzeugintelligenz und an der Software.
Microsoft investiert in Wayve
Was Wayve, einem der führenden Entwickler auf dem Gebiet, zugetraut wird, zeigt die Summe der dritten Finanzierungsrunde im Mai 2024: 1,05 Milliarden US-Dollar kamen zusammen. Kein KI-Start-up in Europa wird Medienberichten zufolge besser finanziert. Zu den Investoren zählen unter anderem das Softwareunternehmen Microsoft und der Chipkonzern Nvidia.
Der Wayve-Hauptsitz befindet sich in London. Weitere Standorte liegen in Vancouver (Kanada), San Francisco (USA) und – neu dabei – Leonberg. In Großbritannien testet die Firma seit 2018 im öffentlichen Straßenverkehr, in den USA seit 2024. Unter anderem im dortigen San Francisco befördert in Waymo ein Schwesterunternehmen von Google Passagiere mit fahrerlosen Robotaxis. Zurück zu Wayve: Dass das 2017 gegründete Start-up seit der Testerlaubnis auch in Deutschland an seinem KI-basierten System feilt, hat seine Gründe.
Gründe für ein Zentrum in Deutschland
Laut Kaity Fischer ist dafür neben der Bedeutung des deutschen Automobilmarkts das Verkehrsumfeld ein wichtiger Faktor. „Die Region hat eine großartige Mischung aus Städten, Vorstädten und Autobahnen. Auch die Wetterbedingungen, einschließlich Schnee, sind gut für Tests geeignet. So lernt unsere KI-Software die Fahrkultur der Region kennen“, sagt sie.
„Eine so vielfältige Umgebung ist wichtig, um sicherzustellen, dass sich unsere KI sicher an jedes Umfeld, Wetter und jede Straßenstruktur anpassen kann“, fasst die Amerikanerin zusammen, die die Infrastruktur vor Ort lobt.
Sie ist sich sicher: „Die Flotte hilft uns, unsere KI-Software und damit die Intelligenz unserer Fahrsysteme weiter zu verbessern.“ Die Stadt im Kreis Böblingen sei „ein optimaler Standort“. Modelle des Ford Mustang Mach-E – ein SUV – sind dort im Einsatz.
Wayve geht es zudem um potenzielle Kooperationen, nicht nur im Softwarebereich. „Ein weiterer wichtiger Grund dafür, in Deutschland und Leonberg zu sein, ist die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Automobilherstellern“, fügt Kaity Fischer hinzu. Eine solche hat Wayve bislang noch nicht bekannt gegeben, die Software ist bisher in keinen Serienfertigungen integriert. „Wir sind in Gesprächen mit mehreren führenden Automobilherstellern“, sagt Kaity Fischer. Namen möchte sie noch keine nennen.
Künftig solle eine Zusammenarbeit „der nächste Schritt“ sein. „Wir sind optimistisch, dass wir in den kommenden Monaten Produktionsverträge mit Automobilherstellern bekannt geben können“, blickt Kaity Fischer voraus.
Wie die KI-Software von Wayve funktioniert
Das Start-up, für das sie seit 2021 arbeitet, bezeichnet sich als Pionier im Bereich der Embodied AI – also der Verkörperten Künstlichen Intelligenz – für die Automobilbranche. „Wir integrieren unsere KI-Software in eine Maschine – darin liegt unsere Superpower. Wir statten sie mit Intelligenz aus“, erklärt Kaity Fischer. Sie glaubt, „dass KI hier den größten Nutzen bringen kann“.
Die sogenannte AV-2.0-Technologie basiert auf End-to-End-KI und funktioniert laut Kaity Fischer somit – im Gegensatz zum 1.0-Ansatz – ohne handcodierte, einzeln festgelegte Regeln. Sie lässt sich nach Angaben des Entwicklers fahrzeugunabhängig verbauen. Die Software funktioniert ohne Karten, lernt das Verhalten im Straßenverkehr auf Basis zahlreicher Fahrdaten. Und das nicht nur von den eigenen Modellen. Die werden laut Kaity Fischer aus Effizienzgründen sparsam eingesetzt. Wayve könne stattdessen auch Daten von Partnern – beispielsweise Dashcamvideos von einem Lieferunternehmen – nutzen, um die Fahrzeugintelligenz zu trainieren. Die Technologie lerne hauptsächlich durch Kameraaufnahmen, aber beispielsweise auch durch Texte.
Mit all diesen Erkenntnissen arbeitet Wayve auf das hin, was auch die Google-Schwester Waymo, Autobauer wie Mercedes und Tesla sowie weitere Unternehmen in dem Bereich anpeilen. „Vollautonomes Fahren, was auch Level 5 genannt wird, ist das Ziel“, sagt Kaity Fischer und ergänzt: „Wir glauben, dass wir es mit unserer Technologie erreichen können. Aber der effizienteste Weg dorthin startet bei teilautomatisierten und automatisierten Fahrsystemen, auch L2+ und L3 genannt.“
Schritt für Schritt soll die KI-Software sich also entwickeln – hin zu den höheren Leveln. „Wir glauben, dass autonomes Fahren das nächste Feld ist, in dem die KI die menschliche Intelligenz übertrifft“, sagt die Amerikanerin, die zuvor beim Automobilzulieferer Delphi (heute Aptiv) und bei Waymo tätig war.
Standort Leonberg kann wachsen
Das neue Wayve-Büro im Leonberger Gewerbegebiet Neue Ramtelstraße bietet bereits Platz für zahlreiche Schreibtische, viele sind aber noch unbesetzt. Das Start-up gibt an, dass das dortige Team – nach derzeitigen Plänen – in diesem Jahr auf rund 20 Personen erweitert wird. In der Hauptstadt Englands und Großbritanniens, im Silicon Valley sowie in Vancouver beschäftigt es nach eigenen Angaben rund 500 Mitarbeiter.
Kommt es zu Produktionsverträgen mit Automobilherstellern, wird das Wachstum des Zentrums im Kreis Böblingen und weiterer Standorte laut Kaity Fischer befördert. „Für Wayve ist 2025 ein Jahr der globalen Expansion. Wir freuen uns sehr, jetzt auch im Automobilland Deutschland mit der Arbeit anzufangen“, zitiert das Unternehmen seinen Mitgründer und Geschäftsführer Alex Kendall in der Mitteilung über die Eröffnung.