„Kim muss die Spinnen wegmachen“

Die Leute von nebenan (4): Das Leben in einer Wohngemeinschaft folgt eigenen Gesetzen, aber nicht immer braucht es Regeln

Man nehme eine Wohnung in traumhafter Lage in der Stadtmitte, die aber für einen allein vielleicht einen Tick zu groß und etwas teuer ist, und zwei gleichaltrige Frauen, die sich seit der Schulzeit kennen und gut verstehen. So wie Alina Ostertag und Kim Höfer. Heraus kommt eine ganz eigene Wohngemeinschaft – und die ist mehr als ein bloßes Zweckbündnis auf begrenzte Zeit.

Ein Gläschen Sekt zum Wiedersehen: Alina Ostertag (rechts) stößt mit ihrer Mitbewohnerin Kim Höfer an, die zurzeit auf Reisen ist und gerade wieder Station in Backnang macht. In der schön sanierten Altbauwohnung fühlen sie sich voll und ganz zu Hause. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Ein Gläschen Sekt zum Wiedersehen: Alina Ostertag (rechts) stößt mit ihrer Mitbewohnerin Kim Höfer an, die zurzeit auf Reisen ist und gerade wieder Station in Backnang macht. In der schön sanierten Altbauwohnung fühlen sie sich voll und ganz zu Hause. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Aus Hochschulstädten ist das Phänomen bestens bekannt: Dort gibt es viele Studenten, die knapp bei Kasse sind, weil die Eltern sparen müssen und das Bafög enge Grenzen setzt, und es herrscht gleichzeitig ein eklatanter Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Dass sich da die künftigen Akademiker zusammentun, miteinander eine Wohnung mieten und sich die Kosten dafür teilen, ist quasi ein Gebot der Vernunft.

Jeder der Beteiligten soll dabei seine Privatsphäre haben. Dafür steht ihm – oder ihr – ein privates Gemach zur Verfügung, das nach Gutdünken mit Bett und Schrank und Schreibtisch eingerichtet werden kann. Und daneben gibt es Räume, die von allen genutzt werden können: Bad, Küche, meist auch ein Wohnzimmer, mitunter sogar ein Balkon. Und um das Zusammenleben innerhalb der gemeinsamen vier Wände zu strukturieren, werden Regeln aufgestellt: Wer saugt wann und wie oft Staub? Wer macht das Bad sauber? Wer putzt die Fenster? Und – ganz wichtig, wenn es um eine Wohnung im Ländle geht – wie hält man es mit der Kehrwoche?

Alles das hat es in der WG von Alina Ostertag und Kim Höfer nie gebraucht. Die beiden 32-Jährigen mussten weder ein Wohnungs-Abc noch eine Pflichten-Agenda aufsetzen, um in ihrem Zuhause in der Backnanger City klarzukommen. Was nötig ist, wird einfach gemacht: Müll runterbringen, aufräumen, sauber halten, Nachschub an Spülmittel besorgen – beide haben immer ein Auge darauf, dass alles läuft. „Da jede von uns vorher schon einen eigenen Haushalt hatte, brauchen wir keine Regeln“, sagt Kim Höfer, die ursprünglich aus Kleinaspach stammt.

Freilich, da kommt es schon auch mal vor, dass beide denselben Gedanken haben – dann stehen eben 20 Rollen Klopapier da. Eine Panne? Mitnichten. Eher ein Grund, herzhaft miteinander zu lachen. „Wir sind beide sehr unkompliziert“, erläutert die einstige Rietenauerin Alina Ostertag. Die beiden sind sich schon in jungen Jahren an der Schickhardt-Realschule über den Weg gelaufen, wo sie allerdings verschiedene Klassen besuchten, und hatten als junge Erwachsene einen gemeinsamen Freundeskreis.

Zwei Freundinnen teilen sich die 79-Quadratmeter-Wohnung

Aber wie kommt es dann überhaupt, dass zwei Frauen, die sich schon selbstständig eingerichtet und damit Freiheit und Unabhängigkeit gewonnen hatten, plötzlich eine WG bilden? Als Erste in die sanierte Altbauwohnung eingezogen war Alina Ostertag. Damals, 2008, zusammen mit ihrem Freund. Die Beziehung zwischen den jungen Leuten sollte jedoch nicht ewig halten. 2012 ging sie in die Brüche, der Freund zog aus. Die junge Mieterin stand nun vor der Wahl, die 79 Quadratmeter große Wohnung zu behalten oder ebenfalls wegzuziehen.

Die Suche nach einer anderen passenden Bleibe hatte jedoch keinen Erfolg. Also musste sie in den sauren Apfel beißen und die Miete allein tragen. Vorerst. Denn zwei Jahre später, es war am Weihnachtsmarkt-Wochenende 2014, klingelte es, und die Freundin stand an der Tür. Kim Höfer schüttete ihr Herz aus, denn auch sie und ihr Freund hatten sich getrennt. Und plötzlich war die Idee geboren. „Es ist ein Mädchentraum“, sagt Ostertag rückblickend, „mit der Freundin zusammen zu wohnen. Ich fand’s einfach nur cool. Ich hab mir vorgestellt, da ist die ganze Zeit was los.“ Und Höfer sagt: „Ich fand die Wohnung superschön, ich hab sie schon immer gemocht.“

Dass das Unternehmen aber dennoch ein Wagnis darstellte, war beiden bewusst. „Es war nicht klar, wie es wird“, sagt die eine, und die andere fügt an: „Ich hatte Respekt davor.“ Und weil beide schon von vielen anderen gehört hatten, die in kürzester Zeit im Streit wieder auseinandergegangen sind, sagen sie übereinstimmend über das gemeinsame Wohnprojekt: „Es hat sich nicht nachteilig auf unsere Freundschaft ausgewirkt.“ Im Gegenteil. Während in einer Zweck-WG jeder für sich allein bleibt, betonen die Freundinnen: „Wir leben hier zusammen.“ Klar, jede hat ihr Reich, in das sie sich zum Schlafen zurückzieht, und beide haben in diesen Jahren ihr Single-Dasein „in vollen Zügen gelebt“. Aber sie verbringen in der Wohnung auch viel Zeit miteinander, beispielsweise indem sie gemeinsam kochen oder sich einfach zusammen aufs Sofa pflanzen.

Oft sehen sie sich aber unter der Woche gar nicht, weil jede ihrem Beruf nachgeht. Umso mehr freuen sie sich dann, wenn die eine erst allein daheim ist und sich irgendwann der Schlüssel im Schloss dreht und die andere nach Hause kommt. Und die freut sich ebenso: „Das ist schön, es ist jemand da und ist nicht sauer, weil es spät geworden ist.“ Nicht nur das: „Wenn man Stress gehabt hat, kann man es loswerden.“

Die Freundinnen sind auch viel gemeinsam unterwegs. Beide haben beispielsweise neben ihrer beruflichen Tätigkeit noch Jobs in der Gastronomie – die eine im Irish Pub, die andere im Kunberger. Und weil sie nach Möglichkeit am selben Abend arbeiten, geht des Öfteren diejenige, die zuerst fertig ist, zum Feierabend zur anderen. Ein Highlight unter den gemeinsamen Unternehmungen war schließlich eine Urlaubsreise – auf Motorrädern durchs sonnige Griechenland.

In einem so innigen Freundschaftsverhältnis bleibt es nicht aus, dass jede – auch wenn sonst alles Hand in Hand geht – ihre spezifischen Stärken entwickelt und immer wieder beweisen kann. Oder muss. „Kim macht den besseren Kaffee“, behauptet Alina. Aber auch: „Kim muss die Spinnen wegmachen.“ Kim wiederum ist dankbar, weil Alina beim Bügeln den Dreh besser raus hat. Mit den Jahren haben die beiden sogar ein eigenes Vokabular entwickelt: Wenn sie in den „Garten“ gehen, ist das Kunberger gemeint, der Pub hingegen ist der „Keller“. Wird in der Küche kreativ gewerkt, gibt es dazu schon mal einen „Kochsekt“. Und zum Abschluss eines kuscheligen Sofaabends gönnen sie sich gerne ein „Gutnachtele“, womit ein Achtele Wein gemeint ist.

Zurzeit allerdings liegt das gemeinsame Wohnen ziemlich brach. Kim Höfer hat sich beruflich eine Auszeit genommen, um zu reisen. Ein Jahr lang. Jetzt kommt sie zwar immer mal wieder für eine Weile nach Backnang und findet in der Wohnung auch Platz. Aber Alina Ostertag als Hauptmieterin hat dennoch in das WG-Zimmer der Freundin, nicht zuletzt auch aus finanziellen Erwägungen, eine andere junge Frau zur Zwischenmiete aufgenommen. „Sie ist total sympathisch“, berichtet Ostertag. Und die Mitbewohnerin auf Zeit, die in Backnang eine Ausbildung als Konditorin macht, sei auch „die Erste und Einzige“ gewesen, die sich das Zimmer ansehen durfte. Denn: „Ich hab gleich ein gutes Gefühl gehabt.“ Mit ihr sei das Leben nun WG-typischer, nicht so innig wie zuvor mit Kim Höfer, „aber völlig in Ordnung“.

Für Marie Hinkel war das Thema WG völliges Neuland. Sie hatte bis dahin bei den Eltern in Hannover gewohnt. Nach dem Abi orientierte sie sich, entschied sich letztlich gegen ein Studium und suchte eine Ausbildungsstelle, die ihren Neigungen entgegenkam. Im deutschlandweiten Casting hat Backnang das Rennen gemacht, nicht zuletzt weil auch der Freund der 21-Jährigen nicht weit von der Murr-Metropole gelandet ist. „Da hatte ich echt Glück“, meint sie nicht nur in Bezug auf die Lehrstelle, sondern auch wegen der Wohnung: Sie hat die Annonce im Internet gesehen und rasch geantwortet. Schon eine Woche später, es war im vergangenen Herbst, ist sie eingezogen.

An die neuen Wohnverhältnisse musste sich Marie Hinkel aber erst gewöhnen. „Wir haben sehr unterschiedliche Lebensrhythmen“, sagt sie: Die angehende Konditorin fängt morgens sehr früh an, entsprechend zeitig zieht sie sich abends zurück. Dagegen beginnt der Tag von Alina Ostertag um einiges später und endet dementsprechend später. Aber auch wenn sich die beiden WG-Bewohnerinnen kaum zu Gesicht bekommen, läuft der Alltag recht unproblematisch: Wenn was ist, schreibt man sich eine WhatsApp-Nachricht oder einen Zettel. Und ansonsten ist für Marie Hinkel ohnedies klar: „Wenn ich was benutze, mach ich es auch wieder sauber. Das ist eine Selbstverständlichkeit.“ Eine Regel aber gibt es, die es für sie zu Hause so nicht gab: „Alina mag es nicht mit Schuhen in der Wohnung.“ Und an diese Regel halten sich auch die Besucher, die mit Kamera, Notizblock und Stift eintreten.

„Kim muss die Spinnen wegmachen“

„Da hatte ich echt Glück. Und wenn was ist, schreibt man eine WhatsApp oder einen Zettel.“

Marie Hinkel, Mitbewohnerin in Zwischenmiete

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Erstellt:
2. Februar 2019, 06:00 Uhr

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