Klimaprotest statt Klausuren

Der Staat darf das Unterlaufen der Schulpflicht nicht akzeptieren – auch nicht für einen guten Zweck

Berlin /NWA - Keine Frage: DerFriday for Futureist ein großer Erfolg. An diesem Freitag sollen in mehr als 1000 Städten in 89 Ländern Schüler auf die Straße gehen, um für eine energischere Klimaschutzpolitik zu demonstrieren. Deutschland ist eine Herzkammer des Protestes. Doch an die Freitagsdemos knüpfen sich eine Reihe heiß diskutierter Fragen. Die vielleicht umstrittenste ist: Warum müssen die Proteste in Form eines „Schulstreiks“, also während der Schulzeit durchgeführt werden?

Wobei das Wort Streik zwar geschickt gewählt ist, weil es hinlänglich pathos­umweht ist. Tatsächlich aber ist die Bezeichnung ein Etikettenschwindel. Es handelt sich nicht um einen Streik. Streiks sind in Deutschland ein gewerkschaftliches Kampfmittel in Tarifauseinandersetzungen. Sie richten sich gegen Arbeitgeber und ihre Tarifverbände. Streiks dürfen nicht wegen weltanschaulicher Ziele geführt werden. Die Schülerproteste sind schon daher kein Streik, weil sie einen Dritten schädigen. Lahmgelegt wird der Schulbetrieb, gemeint ist aber die Politik. Während es also kein Streikrecht für Schüler gibt, gibt es sehr wohl eine Schulpflicht, die zu beachten nicht im Ermessen der Schüler – auch nicht der Schule – steht. Deshalb ist es erstaunlich, dass das Verständnis bei vielen Schulleitungen und Aufsichtsbehörden für das freitägliche Blaumachen groß ist. Es wird betont, dass es doch gut sei, wenn Schüler für eine gute Sache aktiv werden.

In dieser Argumentation gerät einiges durcheinander. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn sich Schüler in den gesellschaftlichen Dialog einklinken, ihre Interessen wahrnehmen und politisch aktiv werden. Das ist sogar ein wichtiges Unterrichtsziel. Aber der Staat und seine Behörden sind der Neutralitätspflicht unterworfen. Es steht ihnen nicht zu, das Unterlaufen der Schulpflicht je nach Anlass unterschiedlich zu bewerten. Sie kämen in Teufels Küche, wenn sie bei Friday for Future ein Auge mit der Begründung zudrückten, dass das Ziel doch ausgesprochen ehrenwert sei. Mit welchem Recht verwehrte man Schüler dann die Möglichkeit, für andere Ziele in der Schulzeit auf die Straße zu gehen: für die Freigabe von Haschisch zum Beispiel? Oder noch heikler: für ein Ende der Zuwanderung? Wie würde man islamische Schüler daran hindern wollen, in der Schulzeit für türkischsprachigen Islamunterricht zu demonstrieren?

Nun wird gesagt, erst das Fernbleiben vom Unterricht sorge für das Provokationspotenzial, um den Protesten Wirkung zu verleihen. Mag sein, aber der Staat ist ja nicht dazu da, Demonstrationen wirkungsvoller zu gestalten. Es wäre ein Armutszeugnis, fänden die Schüler keine anderen Wege, Aufmerksamkeit zu erreichen. Im Übrigen entspräche es der Logik des Arguments, das Blaumachen statt zu dulden besonders hart zu sanktionieren, denn dadurch gewönnen die Proteste ja eine noch größere Glaubwürdigkeit.

Viele Politiker halten sich mit eindeutigen Statements zurück. Andere, darunter der Bundespräsident und die Kanzlerin, loben den Protest und umschiffen das Thema Schulpflicht. Das ist Opportunismus in reinster Form. Um es sich mit der Jugend nicht zu verderben, wird ein Auge zugedrückt, wenn es um prinzipielle Fragen geht. Einer hat sich explizit geäußert. Aber auch das ging daneben. FDP-Chef Christian Lindner ermahnte die Protestierenden, die Umsetzung des Klimaschutzes Experten zu überlassen. Was die Schüler durchaus tun. Sie weisen nur intensiv darauf hin, dass sie die Folgen einer verschleppten Klimapolitik zu tragen haben. Das ist nicht nur legitim, sondern begrüßenswert. Jede Form des Protests aber rechtfertigt das nicht.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.fridays-for-future-was-schulen-von-den-freitagsdemos-halten.5ef01263-8b38-465d-8533-1f996ffade53.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.deutschland-wissenschaftler-unterstuetzen-fridays-for-future-bewegung.ed124ca9-8d57-49fd-a841-41eb0b025d60.html

norbert.wallet@stzn.de

Zum Artikel

Erstellt:
14. März 2019, 03:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen