Folgen extremer Klimabedingungen
Kollabiert die Atlantische Meeresströmung?
Käme der Golfstrom zum Erliegen, würde es in Teilen Europas viel kälter werden. Dazu dürfte es einer neuen Studie zufolge so schnell nicht kommen, aber selbst eine starke Abschwächung hat Folgen.
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Nord- und Westeuropa haben es vor allem dem Golfstrom zu verdanken, dass dort mildere Temperaturen herrschen als in Sibirien oder Kanada, die auf vergleichbaren Breitengraden liegen.
Von Stefan Parsch (dpa)/Markus Brauer
Der Golfstrom wird bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich nicht zusammenbrechen, aber deutlich schwächer werden. Das folgern Wissenschaftler aus Simulationen unter extremen Klimabedingungen, wie sie in der Fachzeitschrift „Nature“ schreiben.
Keines der Modelle zeigte einen Kollaps der sogenannten Atlantischen Umwälzbewegung (englisch: Amoc/Atlantic Meridional Overturning Circulation), zu der auch der Golfstrom gehört.
##ComputerSimulations suggest the #AtlanticMeridionalOverturningCirculation is unlikely to collapse this century, though it may weaken, potentially impacting global climate patterns significantly. @naturehttps://t.co/jSOzhKvNNshttps://t.co/v73SVU2qK0 — Phys.org (@physorg_com) February 27, 2025
Atlantische Umwälzbewegung
Nord- und Westeuropa haben es vor allem dem Golfstrom zu verdanken, dass dort mildere Temperaturen herrschen als in Sibirien oder Kanada, die auf vergleichbaren Breitengraden liegen.
Denn als Teil eines globalen Systems von gewaltigen Meeresströmungen bringt der Golfstrom viel Wärme aus den Tropen in den Nordatlantik. Auch auf das Weltklima insgesamt und die globale Niederschlagsverteilung hat die Atlantische Umwälzbewegung große Auswirkungen.
Kein Kollaps der Atlantikströmung bis 2100 selbst bei Extremklima
Warum die Atlantikströmung schwächer wird
Zahlreiche Studien zeigten bereits, dass die Amoc schwächer werden wird:
- Zum einen erwärmt sich der Nordatlantik stärker als die tropischen Meere, sodass das Wasser aus dem Süden nicht so stark abkühlen kann.
- Zum anderen sorgt Süßwasser vom schmelzenden Eisschild Grönlands dafür, dass der Nordatlantik weniger salzhaltig ist. Beides verringert das Absinken großer Wassermassen in tiefere Schichten, was als wichtiger Antrieb für die Umwälzzirkulation gilt.
Einfluss der Winde im Südlichen Ozean
Die Gruppe um Jonathan Baker vom Met Office in Exeter in Großbritannien kommt in ihrer Studie nun zu dem Schluss, dass die Amoc aber trotzdem weiter zirkulieren wird. Und zwar, weil das Strömungssystem maßgeblich auch durch starke Winde im Südlichen Ozean (Südpolarmeer) angetrieben wird.
Baker und Kollegen nutzten 34 Computermodelle aus dem Klimamodell-Vergleichsprojekt CMIP6. Mit ihnen simulierten sie zwei extreme Szenarien bis 2100: Einerseits eine Vervierfachung der Kohlendioxidmenge in der Atmosphäre gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter, andererseits große Mengen Süßwasser, die als Schmelzwasser in den Nordatlantik fließen. Zudem konzentrierten sie sich auf die Orte, an denen das Wasser der kalten Tiefenströmung wieder an die Oberfläche gelangt.
Verschlimmert der Klimawandel extreme Wetterereignisse?
„Wir haben gezeigt, dass der durch den Wind angetriebene Auftrieb im Südlichen Ozean einen Amoc-Zusammenbruch unter extremen Klimabeeinflussungen in CMIP6-Klimamodellen verhindert“, schreiben die Forscher.
Die starken Westwinde im Südpolarmeer, die im Zuge des Klimawandels voraussichtlich stärker werden, treiben demnach das Oberflächenwasser, sodass Tiefenwasser nachströmt. Die Forscher identifizierten durch die Simulationen diesen Teil der Amoc als wichtigen Antrieb der Umwälzzirkulation.
In einem Kommentar, der ebenfalls in „Nature“ erschienen ist, schreibt Aixue Hu vom National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, dass die Studie einen plausiblen Mechanismus darstellt. Dennoch könnten auch weitere Faktoren eine Rolle spielen, die in den Simulationen nicht berücksichtigt worden seien.
Außerdem gebe die Studie keine Entwarnung für die Amoc, meint Hu: „Selbst eine Verringerung der Stärke um nur 50 Prozent würde zu einem starken Rückgang des Wärmetransports führen, der das regionale und globale Klima verändern würde.“ Eine Amoc-Schwächung in dieser Größenordnung zeigen viele der Simulationen.
New research warns that the Atlantic Meridional Overturning Circulation, or AMOC, is weakening under a warming climate, and could potentially suffer a dangerous and abrupt collapse with worldwide consequences. Read more: https://t.co/zjHdWL8m3Kpic.twitter.com/7tZ6rbso5Q — Los Angeles Times (@latimes) February 26, 2024
Wissenschaftler warnen: „Ähnlich schlimm wie ein Kollaps“
Niklas Boers von der TU München hält die Studie für „methodisch und technisch sehr gut“ gemacht. Er weist darauf hin, dass sich bei einer starken Abschwächung der Amoc nicht nur Europa stark abkühlen würde.
Es dürften sich auch die Niederschlagsmuster in den Tropen ändern und die Monsunsysteme in Südamerika, Afrika und Asien verschieben. Aus Perspektive der Folgen wäre eine starke Abschwächung ähnlich schlimm wie ein Kollaps, meint Boers, der Professor für Erdsystemmodellierung ist.
Ähnlich sieht es Jonathan Bamber von der University of Bristol in Großbritannien: „Ein Zusammenbruch der Amoc wäre verheerend für die Zivilisation, daher ist es verständlich, dass viel Aufmerksamkeit darauf gerichtet wurde, ob dies in naher Zukunft passieren könnte, aber eine Schwächung der Amoc sollte ebenfalls Anlass zur Sorge geben.“
Info: Dominoeffekt beim Klimawandel
Global Tipping Points Durch die bisherige Klimaerwärmung drohen Experten zufolge fünf großen Natursystemen möglicherweise unumkehrbare Umwälzungen. Das geht aus dem am Mittwoch (6. Dezember) veröffentlichten „Global Tipping Points Report“ (Kipppunkte-Bericht) hervor. Erstellt wurde der Bericht von einem internationalen Team aus mehr als 200 Forschern. Die Koordination lag bei der britischen Universität von Exeter und dem Bezos Earth Fund.
Domino-Effekt Unter Kipppunkten versteht man in der Klimaforschung, wenn durch kleine Veränderungen ein Domino-Effekt ausgelöst wird, dessen Folgen unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das Konzept der Kipppunkte und damit verbundene Unsicherheiten werden unter Wissenschaftlern weltweit intensiv und zum Teil konträr diskutiert.
Kaskade von Kipppunkten „Fünf große Kippsysteme laufen bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten“, teilt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit, das an dem Bericht beteiligt war. Dabei geht es um das grönländische und westantarktische Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. „Wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ansteigt, könnten mit borealen Wäldern, Mangroven und Seegraswiesen drei weitere Systeme in den 2030er Jahren vom Kippen bedroht sein“, heißt es seitens des PIK.
Folgen Da die bisherigen Antworten der Regierungen weltweit nicht ausreichend sind, legen die Forscher sechs Empfehlungen vor, um die negativen Kipppunkte zu vermeiden und umgekehrt positive Kipppunkte einzuleiten. Zu den sechs Empfehlungen gehört demnach, Emissionen durch fossile Brennstoffe und durch Landnutzung deutlich vor der Jahrhundertmitte zu stoppen. Zudem sollten negative Konsequenzen für besonders stark betroffene Gruppen und Länder abgemildert werden. Es brauche zudem koordinierte Bemühungen, um positive Kipppunkte auszulösen und die öffentliche Aufmerksamkeit für Kipppunkte zu erhöhen.