Recht auf Betreuung

Kommunen genervt von Hinhaltetaktik der Landesregierung beim Ganztag

Schon die nächsten Erstklässler haben ein Recht auf Betreuung an der Schule. Der Anspruch gilt auch in Baden-Württemberg. Doch die Umsetzung stockt. Die Kommunen wollen jetzt nicht nur der Landesregierung Beine machen.

Die nächsten Erstklässler, die mit Schultüte  zum  ersten Schultag kommen, haben ein Recht auf Betreuung.

© dpa/Peter Steffen

Die nächsten Erstklässler, die mit Schultüte zum ersten Schultag kommen, haben ein Recht auf Betreuung.

Von Bärbel Krauß

Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg sind entnervt. Die Zeit läuft ab, und sie warten bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag an der Grundschule immer noch auf wesentliche Finanzzusagen. In einem Jahr müssen die Kindergartenkinder, die ab den Sommerferien 2026 in der ersten Klasse ihr Recht auf Betreuung wahrnehmen wollen, schon verbindlich angemeldet sein. Der Rechtsanspruch gilt im ersten Jahr für 115 000 Kinder.

Auf eine Verschiebung des Starttermins beim Ganztag an der Grundschule kann spätestens jetzt niemand mehr hoffen. Denn die künftige schwarz-rote Koalition in Berlin hat den Ganztagsausbau samt Ausbauziel für die Grundschulen im Koalitionsvertrag fest verankert und nicht am Zeitplan gerüttelt. Das laufende Investitionsprogramm will der Bund um zwei Jahre verlängern. Sogar die Erhöhung der Investitionsmittel wird in verbindlicher Form angekündigt – sofern das bei einem Koalitionsvertrag möglich ist, der sämtliche Vorhaben unter Finanzvorbehalt stellt. Außerdem stellt die wahrscheinliche Regierung Merz den Kommunen einen größeren Gestaltungsspielraum in Aussicht.

Städte wollen Spielräume nutzen

Diese Aussagen thematisiert der baden-württembergische Städtetag in einem Schreiben an seine Mitglieder, das unserer Redaktion vorliegt. „Es entspricht unserem Anliegen, Spielräume bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs zu eröffnen und die finanziellen Belastungen der Kommunen infolge des Rechtsanspruchs weiter zu reduzieren“, heißt es in dem Brief. „Wir werden darauf achten, dass dies auch erfolgt.“

In der nächsten Sitzung des Schulausschusses will der Städtetag deshalb einen Beschluss herbeiführen, der das Land auffordert, „sofort“ mit den kommunalen Spitzenverbänden in Verhandlungen über die Finanzen einzutreten. Auf Anfrage bestätigte der Bildungsdezernent des Städtetags, Norbert Brugger, dass sein Verband ein Papier des Kultusministeriums zum Leitbild für die ganztägige Bildung und Betreuung wegen der ungelösten Finanz- und Organisationsfragen nicht unterschrieben habe. Auch der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, Alexis von Komorwski, sieht das Papier zwar als sinnvolle „Hilfestellung“, wird es aber wegen der noch offenen Fragen ebenfalls nicht unterschreiben. Das Land müsse mit der neuen Bundesregierung „zügig zu einer Bund-Länder-Vereinbarung zu den Betriebskosten kommen“, mahnt der Gemeindetag.

Kreise pochen auf Planungssicherheit

Recht zufrieden zeigen die kommunalen Spitzenverbände sich zwar mit den Verabredungen zur Investitionsförderung, wo Bund und Land zusammen siebzig Prozent der Kosten übernommen hätten. Probleme sehen sie bei den Betriebskosten. Zwar habe Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) auf der Bildungsmesse Didacta angekündigt, ab dem Schuljahr 2026/27 jährlich 83,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Konkretisiert worden sei dies jedoch seither nicht, moniert Brugger. Die Verwaltungsvereinbarung über die bisherige Betriebskostenförderung läuft Ende 2026 aus, kritisiert auch von Komorowski. „Planungssicherheit für einen Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2026/2027 sieht anders aus“, klagt er. „Aktuell kann sich keine Kommune leisten in Personalplanungen einzusteigen, wenn die finanziellen Folgen für den Kommunalhaushalt komplett im Vagen bleiben.“ Deshalb sei die Vorbereitung ins Stocken geraten.

Der Städtetag pocht außerdem zur Verwaltungsvereinfachung auf einen Pro-Kopf-Zuschuss in diesem Bereich – sonst müsse jede Schule jährlich bis zu drei Anträge stellen, um für die Schulkindbetreuung Geld zu erhalten. Das Land müsse zudem unbedingt vermeiden, dass für die Verteilung der jährlichen Bundeszuschüsse zu den Betriebskosten – es geht um 169 Millionen Euro ab 2030 – noch ein weiteres aufwendiges Vergabeverfahren gewählt werde, fordert Brugger.

Ein weiteres Sorgenkind ist die Qualifizierung des Personals. Zwar wollen die Kommunen bei der Grundschulbetreuung möglichst auf ausgebildete Fachkräfte verzichten, weil die „auf absehbare Zeit definitiv nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung“ stünden, heißt es beim Städtetag. Um so wichtiger seien Fortbildungsangebote für die künftigen Betreuer. 7,5 Millionen Euro würden dafür gebraucht, meint Brugger. Doch im Doppeletat für 2025/2026 sei dafür gar kein Geld vorgesehen. „Will das Land bei seinem Anspruch an einen qualitätsvollen Ganztag glaubwürdig bleiben, muss sich dies schnell ändern“, sagt Brugger. „Diese Entscheidungen müssen jetzt passieren.“

Hintergrund

SchülerzahlenDer Rechtsanspruch wird ab dem Schuljahr 2026/2027 stufenweise eingeführt. Im Sommer 2026 starten die Erstklässler, in den darauf folgenden Jahren kommen die jeweiligen Nachfolger dazu, sodass im Schuljahr 2029/30 alle Erst- bis Viertklässler ein Recht auf ganztägige Betreuung in der Grundschule haben. Das sind laut Statistischem Landesamt 455 000 Jungen und Mädchen.

BedarfsprognoseDer Städtetag geht davon aus, dass 290 000 Grundschüler – 64 Prozent – ein Betreuungsangebot wahrnehmen. Er stützt sich dabei auf den jüngsten Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes. Demnach liegt die Betreuungsquote bundesweit bei 64 und in Westdeutschland bei 58 Prozent. Legt man den niedrigeren West-Durchschnitt zugrunde, würden in Baden-Württemberg 263 000 Kinder einen Betreuungsplatz benötigen. luß

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Erstellt:
15. April 2025, 12:40 Uhr

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