Kontrolleure ohne Sicherheit

Sie tragen Verantwortung für einen gefahrlosen Flugverkehr und leben selbst in ständiger Ungewissheit

Bis zu 26 Prozent mehr sollen die Kontrolleure an deutschen Flughäfen künftig verdienen. Doch von Euphorie ist wenig zu spüren. Sie sehen die starke Tariferhöhung auch als Ersatz für die Anerkennung, die ihnen im Alltag oft versagt bleibt.

Stuttgart Bald ist es wieder so weit – in wenigen Monaten wird Roberto Di Benedetto wissen, ob er seinen Job behalten wird oder ob er wieder einmal umsatteln muss. Denn dann wird klar, wer die neue Ausschreibung für die Personen- und Handgepäckkontrollen am Stuttgarter Flughafen gewonnen hat: sein heutiger Arbeitgeber namens Frasec oder eine der anderen Firmen aus der Sicherheitsbranche, die sich immer wieder aufs Neue um die Aufträge bewerben müssen. Falls die Frasec verliert, geht das Spiel für ihn von Neuem los: Er muss dann versuchen, einen Job beim Gewinner der Ausschreibung zu bekommen – und sei es zu schlechteren Konditionen als beim Vorgänger. „Ich mache die Passagierkontrollen am Stuttgarter Flughafen inzwischen bereits beim dritten Arbeitgeber, und jedes Mal wurden die Bedingungen schlechter“, sagt Di Benedetto. Eine Branche wie ein Taubenschlag.

Als altgedienter Luftsicherheitsassistent hat er es aber immer noch besser als seine Kollegen, die neu hinzustoßen. „Die Arbeitgeber schöpfen alles aus, was sie tun können, um von Anfang an Festanstellungen zu vermeiden.“ Auch wer nach der Zwei-Jahres-Befristung bleibe, habe alles andere als einen sicheren Job – und das, obwohl die Branche immer wieder Stellen ausschreibt.

Der regelmäßige Wettbewerb privater Sicherheitsfirmen um den nächsten Auftrag führt dazu, dass selbst langjährige Assistenten nie sicher sein können, ihren Job zu behalten. Manche von ihnen bekämen vor einer Ausschreibung vorsorglich die Kündigung und müssten dann teilweise bis zum letzten Tag auf die Entscheidung warten, berichtet Di Benedetto, der als Betriebsrat auch die Lage von Kollegen kennt. Selbst nach der Kündigung stehen sie weiter um 2.30 Uhr auf, um mit dem Auto bei Wind und Wetter pünktlich um 4 Uhr die Frühschicht antreten zu können. Sie versuchen, ihre Job-Sorgen für ein paar Stunden zu vergessen, um mit ungeteilter Aufmerksamkeit Passagiere auf Waffen, Sprengstoff und andere gefährliche Gegenstände zu kontrollieren. „Es ist schon paradox“, sagt Di Benedetto. „Wir liefern an 365 Tagen im Jahr Sicherheit, doch wir selbst verbringen unser gesamtes Berufsleben in Unsicherheit.“

Die Berufsgruppe der Luftsicherheitsassistenten sieht sich in der Öffentlichkeit als Buhmann, seit sie satte Entgeltsteigerungen um bis zu 26 Prozent, verteilt auf drei Jahre, durchgesetzt hat. Für eine angelernte Tätigkeit gebe es nun so viel wie für einen Berufseinsteiger mit Studium, hatte etwa Stuttgarts Flughafenchef Walter Schoefer nach der Einigung erklärt. „Am Ende bezahlen das die Passagiere.“ Mit solchen Vergleichen treffen Branchenvertreter die Sicherheitsbeschäftigten ins Mark. „Mit einer einfachen Anlerntätigkeit hat unser Beruf wenig zu tun“, sagt Georgios Verletis, der wie Di Benedetto Passagiere kontrolliert. „Schließlich erfüllen wir mit unserer Arbeit Aufgaben, die eigentlich der Bundespolizei obliegen.“ Der satte Tarifabschluss soll ihnen nicht nur mehr Geld bringen, sondern auch einen Teil der Wertschätzung zurückgeben, die sie in der öffentlichen Diskussion eingebüßt haben.

In der Tat erfüllen die 23 000 Kontrolleure an deutschen Flughäfen hoheitliche Aufgaben des Staats, ähnlich wie Polizisten oder Justizbeamte. Die Passagierkontrolleure unter ihnen dürfen und müssen Menschen durchsuchen, Gepäck durchleuchten und öffnen – Befugnisse, wie sie jenseits der Fliegerei Polizeibeamten mit einer mehrjährigen Ausbildung vorbehalten sind. Doch im Zuge der Liberalisierung kamen nicht nur immer neue Fluggesellschaften auf den Markt, sondern auch private Sicherheitsfirmen, die die Kontrollen übernehmen. In Stuttgart gehört dazu neben Frasec auch die Firma Securitas, in deren Auftrag Leute wie Alexej Unruh ab 3 Uhr früh Bau- oder Versorgungsfahrzeuge von innen und außen, oben und unten kontrollieren.

Die Ausbildung ist tatsächlich schnell erledigt. Außer einer guten Gesundheit und einem makellosen polizeilichen Führungszeugnis reichen sechs Wochen Lehrgang und eine bestandene Abschlussprüfung aus, um die Zulassung zu erhalten. Im theoretischen Teil belegen sie Fächer wie Waffenkunde und Recht, im praktischen Teil müssen sie Passagiere und Gepäck durchsuchen und vor allem die Königsdisziplin beherrschen: die schnelle und fehlerfreie Auswertung der Röntgenbilder des Handgepäcks. Zudem verlangen die Behörden das regelmäßige Bestehen weiterer Tests, die angesichts der Terrorgefahren stetig verschärft werden.

Vor allem die Auswertung der Röntgenbilder wird immer anspruchsvoller. Ein Sicherheitsexperte, der nicht genannt werden will, erklärt, dass dabei die sogenannten USBV (unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen) eine zentrale Rolle spielen. Die Gefahrstoffe seien bei einer Durchleuchtung schwerer zu erkennen, bereits in kleineren Mengen bedrohlich und würden in ihrer Form an Alltagsgegenstände angeglichen, um bei Kontrollen nicht aufzufallen. Zudem werde versucht, sie im Gepäck so zu platzieren, dass sie nicht erkannt werden können, erklärt er, ohne weiter ins Detail gehen zu wollen. „Wir müssen der Bedrohung immer einen Schritt voraus sein“, sagt Di Benedetto zu den raffinierter werdenden Täuschungsversuchen. Auch deshalb hält er den Begriff „Anlernberuf“ für die Abqualifizierung einer Aufgabe, in der das ständige Dazulernen Leben retten kann.

Seit der Öffnung der Luftsicherheit für Privatfirmen herrscht in der Branche ein harter Wettbewerb. Doch führt ein Preiskampf unter den Kontrollfirmen nicht zwangsläufig zu Einsparungen an der Sicherheit? Ist dieses Modell in Zeiten der permanenten Terrorgefahr noch zeitgemäß? Die drei gestandenen Luftfahrtkontrolleure müssen da nicht lange zögern: „Wer all das auf sich nimmt, ist mit Herzblut dabei“, sagt Verletis. Der massive Kostendruck habe einen Preis, den aber nicht die Firmen, sondern die Mitarbeiter zahlten. Die besondere Verantwortung, das wachsende Risiko und die extremen Arbeitszeiten kämen in der Vergütung in keiner Weise zum Ausdruck. Sie reiche bei vielen auch nicht für eine Wohnung in halbwegs erreichbarer Nähe.

Zum Jobrisiko zählen auch die ständigen verdeckten Kontrollen, bei denen Ermittler versuchen, Waffen, Sprengstoff und andere verbotene Gegenstände durch die Kontrolle zu schleusen. Die Zahl dieser Kontrollen steige drastisch, zugleich verkünde der Stuttgarter Flughafen stolz, dass er im vergangenen Jahr fast zwölf Millionen Passagiere durchgeschleust hat. Für die Kontrolleure bedeute dies vor allem noch mehr Passagiere pro Mitarbeiter, genervte Fluggäste und erschwerte Bedingungen für die immer anspruchsvollere Tätigkeit. Aber falls je einmal etwas passieren sollte, werde all das niemanden interessieren, sagt Di Benedetto. „Dieser Mitarbeiter wird sehr einsam sein.“

Wer bei einer der verdeckten Kontrollen einen gefährlichen Gegenstand übersieht, wird auf der Stelle vom Dienst suspendiert. Manager bekommen Millionenbeträge auch deshalb, weil sie schnell ihre Jobs verlieren können. Eine solche Risikoprämie ist in den 17,16 Euro, die ein Luftsicherheitsassistent im Südwesten bisher pro Stunde brutto ohne Schicht- und Wochenendzuschläge verdient, aber kaum enthalten.

Doch trifft das nicht auch auf Alten- oder Krankenpfleger zu, die nun von den Luftsicherheitsassistenten beim Gehalt überholt werden? Tragen sie nicht ebenfalls unter harten Bedingungen Verantwortung für Menschenleben? Di Benedetto sieht seine Leute nicht als Konkurrenten zu Mitarbeitern in Pflegeberufen. Im Gegenteil: „Man sieht doch immer deutlicher, wie gering in Deutschland die Arbeit derjenigen geschätzt wird, die Menschen erziehen, pflegen und vor Gefahren schützen.“ Ein Ingenieur bringe Opfer in Form eines aufwendigen Studiums, die Mitarbeiter in Sozial- und Sicherheitsberufen brächten aber ebenfalls Opfer: in Form der harten Bedingungen, unter denen sie jeden Tag ihre Aufgabe erfüllten. Diese Entbehrungen aber würden von Arbeitgebern und Gesellschaft als Selbstverständlichkeit angesehen, denen man keine Beachtung zu schenken brauche. Der Tarifabschluss sei daher auch als Weckruf zu verstehen: an all diejenigen, die jeden Tag für kleines Geld Verantwortung für ihre Mitmenschen übernehmen.

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Erstellt:
2. Februar 2019, 03:14 Uhr

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