Gefährliche Umwelthormone

Krank durch Essen aus Dosen

Sie stecken überall, etwa in Konserven und Kosmetika – und gelangen unbemerkt in unsere Körper: Chemikalien, die wie Hormone wirken und krank machen. Noch immer sind davon zu viele im Umlauf. Gesundheitsexperten sind alarmiert.

Hormonaktive Substanzen können zum Beispiel  in der Beschichtung von Konservendosen stecken.

© imago//Gottfried Czepluch

Hormonaktive Substanzen können zum Beispiel in der Beschichtung von Konservendosen stecken.

Von Viviana Bastone

Sie lauern in Konservendosen, Getränkeflaschen, Joghurt- oder Kaffeebechern, ja sogar in beschichteten Büchern speziell für Babys: Chemikalien, die den Hormonhaushalt so stark stören können, dass man krank wird – und das schon im Mutterleib. Experten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) wie Josef Köhrle sind sich sicher: Diese hormonaktiven Substanzen, auch endokrine Disruptoren (ED) genannt, können das Risiko für gewisse Krebsarten deutlich erhöhen, etwa von Schilddrüsen-, Gebärmutter- und Hodenkrebs. Auch Adipositas und Diabetes können dadurch gefördert werden.

„Unsere Umwelt ist mit diesen Schadstoffen regelrecht durchtränkt“, sagt Köhrle, der Professor am Institut für Experimentelle Endokrinologie an der Charité in Berlin ist. Daher fordert die DGE seit Jahren, die Substanzen aus dem Verkehr zu ziehen. Dieser Forderung hat sich nun auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft angeschlossen (DDG). Baptist Gallwitz, Vorstandsmitglied bei der DDG, befürchtet, dass hormonaktive Substanzen „Einflüsse auf die Insulinwirkung und andere hormonelle Regelkreise im Körper haben, die unter Umständen auch das Entstehen von Diabetes begünstigen können.“ Was es mit den Substanzen auf sich hat – und wie sich jeder vor ihnen schützen kann, zeigt diese Übersicht

Wie gelangen die Schadstoffe in den Körper?

Unlängst fand die Stiftung Warentest heraus, dass sich in Lebensmitteln aus Konserven wie Suppen, Eintöpfe, Thunfisch und Kokosmilch die Industriechemikalie Bisphenol A (BPA) befindet. Diese gehört ebenfalls zu den sogenannten hormonaktiven Substanzen und ist nach Meinung der Warentester aus der Innenbeschichtung der Dosen auf den Inhalt übergegangen. In Untersuchungen konnte BPA beim Menschen in Blut und Urin, aber auch im Fruchtwasser von Schwangeren nachgewiesen werden. Man nimmt sie also beim Essen auf.

Auch Kinderspielzeug ist belastet, wie bei Untersuchungen festgestellt wurde. Hier können die hormonaktiven Substanzen etwa über längeren Hautkontakt in den menschlichen Körper übergehen. Auch Kosmetikprodukte wie Zahnpasta, Duschgel und Bodylotion können hormonaktive Substanzen enthalten. „Zurzeit sind rund 50 Chemikalien eindeutig als endokrine Disruptoren definiert“, sagt Köhrle, der seit 25 Jahren zu diesem Thema forscht.

Wie wirken die hormonaktiven Substanzen ?

Im Körper angelangt, können diese Substanzen unser fein gesteuertes körpereigenes Hormonsystem stören – also beispielsweise die Vorgänge, die die Körpertemperatur oder den Blutdruck regeln. Auch gibt es Hinweise darauf, dass sie die Bildung oder den Abbau bestimmter Hormone blockieren oder selbst wie ein Hormon wirken.

Sie stehen im Verdacht, eine ganze Reihe von Krankheiten auszulösen, von Allergien über Diabetes bis zu Krebs. Schädigen sie etwa das Schilddrüsenhormonsystem, können manche hormonaktive Substanzen das Risiko für die Entstehung von Schilddrüsentumoren erhöhen. Ist das Sexualhormonsystem betroffen, kann das zu verringerter Fruchtbarkeit führen.

„Die Risikofaktoren erhöhen sich durch diese Belastung“, erklärt Köhrle. Dazu kommt, dass der Körper oft mehreren hormonaktiven Substanzen gleichzeitig ausgesetzt ist: „Mischungen aus endokrinen Disruptoren erhöhen das Risiko von Schilddrüsenkarzinomen um einen Faktor von 15 bis 20“, sagt Köhrle. Zum Vergleich: Bei Schwermetallen, wie Kadmium und Blei liegt dieser Faktor zwischen drei und fünf.

Für wen ist das gefährlich?

Schwangere sollten besonders darauf achten, Produkte, die mit hormonaktiven Substanzen belastet sein könnten, zu meiden – um ihr ungeborenes Kind zu schützen. So wird im ersten Drittel der Schwangerschaft das Hormonsystem für den Embryo angelegt. Kommt es aufgrund des Einflusses der Chemikalien zu Störungen und erhält das Kind während der Schwangerschaft nicht ausreichend Schilddrüsenhormone von der Mutter, müsse man damit rechnen, dass die kindliche Gehirnentwicklung beeinträchtigt wird.

Auch die Sprachentwicklung und die Motorik können aufgrund beeinträchtigt werden. Gleichzeitig erhöht sich das Risiko für Adipositas: Die Schadstoffe können nämlich dazu führen, dass anstelle von Muskel- oder Bindegewebszellen, mehr Fettzellen gebildet werden. Und ist der Zuckerstoffwechsel betroffen, kann sich Diabetes bilden.

Wie kann ich mich schützen?

Ganz vermeiden lässt sich der Kontakt mit den Schadstoffen nicht. „Allerdings helfen schon drei Verhaltensänderungen dabei, die Aufnahme zu reduzieren“, betont Köhrle. So sei etwa die Hälfte der aktuellen ED-Belastung auf individuelles Konsumverhalten zurückzuführen. Plastik zu vermeiden, sei daher der erste Schritt, stattdessen lieber zu Glas und unbeschichtetem Metall als Verpackungsmaterial greifen.

Wichtig ist auch, beim Kauf von Kosmetika und Hygieneartikel auf die Inhaltsstoffe zu achten. Köhrle empfiehlt, beim Einkaufen die App „Fox Tox“ der Umweltorganisation Bund zu nutzen. Damit können Verbraucher per Scan feststellen, ob schädliche Substanzen enthalten sind. Da hormonaktive Substanzen auch in stark verarbeiteten Lebensmitteln, also etwa in Fertiggerichten vorkommen, rät er zu frisch gekochten Mahlzeiten aus möglichst unbelasteten Quellen.

Warum werden die Schadstoffe nicht verboten?

Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sind hormonaktive Substanzen auf EU-Ebene nach strengen Maßstäben reguliert: „Es besteht ein sehr hohes Schutzniveau und das Risiko, eine gesundheitlich schädliche Menge einer Substanz aufzunehmen, die als endokriner Disruptor eingestuft wurde, ist gering“, so das BfR.

Im vergangenen Jahr hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit die akzeptable Aufnahmemenge aber drastisch gesenkt. Weitere Verbote auf EU-Ebene sind geplant. Doch bis diese in Kraft treten, können Jahre vergehen. Das will die DGE und inzwischen auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft nicht hinnehmen: „Es ist an der Zeit, diese stille Bedrohung ernst zu nehmen und sofort zu handeln“, sagt Köhrle. „Wir wissen, dass wir 50 endokrine Disruptoren haben, die ganz klar definiert sind, da gibt es zehn bis 15 hochproblematische. Und diese müssten sofort aus dem Verkehr gezogen werden.“ Mittlerweile würde das schädliche Bisphenol A zwar ersetzt, doch die Ersatzstoffe seien teilweise genauso gefährlich.

Hormonaktive Substanzen finden sich überall in unserer Umwelt. Über in Plastik verpackte Lebensmittel können sie erst in den Inhalt, dann direkt in den Körper gelangen.

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Hormonaktive Substanzen finden sich überall in unserer Umwelt. Über in Plastik verpackte Lebensmittel können sie erst in den Inhalt, dann direkt in den Körper gelangen.

In Kinderspielzeug stecken sie als Weichmacher in Form von Phthalaten.

© IMAGO/Zoonar/IMAGO/Zoonar.com/DANKO N

In Kinderspielzeug stecken sie als Weichmacher in Form von Phthalaten.

In Kosmetika werden oft Parabene zur Konservierung verwendet. Diese werden dann vom Körper über die Haut aufgenommen.

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In Kosmetika werden oft Parabene zur Konservierung verwendet. Diese werden dann vom Körper über die Haut aufgenommen.

Wer vorher checken will, welche Inhaltsstoffe in Zahnpasta und Co. verarbeitet sind, benutzt die Fox Tox App in der Drogerie. Diese stellt per Scan fest, welche hormonaktiven Substanzen im Produkt enthalten sein können.

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Wer vorher checken will, welche Inhaltsstoffe in Zahnpasta und Co. verarbeitet sind, benutzt die Fox Tox App in der Drogerie. Diese stellt per Scan fest, welche hormonaktiven Substanzen im Produkt enthalten sein können.

Auch in Pestiziden, sprich bestimmten Pflanzenschutzmitteln, können hormonaktive Substanzen vorkommen.

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Auch in Pestiziden, sprich bestimmten Pflanzenschutzmitteln, können hormonaktive Substanzen vorkommen.

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Erstellt:
26. August 2024, 06:12 Uhr

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