Lockern ja, aber nicht mit einem Knall: Der Südwesten öffnet
dpa/lsw Stuttgart. Baden-Württemberg macht wieder auf, noch schneller als der Bund und lange vor Ostern. Selbst die Narren sollen auf den Straßen tanzen dürfen. Die Opposition wirft Kretschmann einen Schlingerkurs vor.
Baden-Württemberg wagt nach monatelangen Einschränkungen ab kommender Woche einen kräftigen Schritt zurück in die Normalität. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verkündete am Freitag in einer Sondersitzung des Landtags die geplanten Öffnungsschritte raus aus den Corona-Auflagen. Das Land öffnet damit schneller als im Bund-Länder-Beschluss vorgesehen. Clubs und Discos dürfen unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen, die Zugangsregeln für Restaurants werden gelockert, Messen sind wieder erlaubt, und bei Veranstaltungen werden deutlich mehr Zuschauer zugelassen. Das Land will auch Fastnachtsveranstaltungen unter bestimmten Regeln zulassen.
„Als leidenschaftlicher Fastnachts-Narr möchte ich noch ein Wort zur Fasnet sagen: Veranstaltungen zur Pflege des örtlichen Fasnet-Brauchtums sind in Absprache mit den zuständigen Behörden unter der 3G-Regel möglich“, sagte Kretschmann im Plenum. Die Rottweiler Narren hatten zuvor verkündet, ihren traditionellen Narrensprung unter Beachtung der 2G-plus-Regel und FFP2-Maskenpflicht in einen abgesperrten Bereich in der Altstadt veranstalten zu wollen. Das heißt, es dürfen nur Geimpfte und Genesene mit einem aktuellen Schnelltest dabei sein. Am Donnerstag hatte Kretschmann gesagt, dass Fastnachtsumzüge nicht erlaubt sein würden.
Was wird sich sonst konkret ändern?
Bisher gilt im Südwesten die sogenannte Alarmstufe I, doch die Grenzwerte für das Erreichen dieser Stufe werden nun angehoben - genauer gesagt die Zahl der Corona-Infizierten, die innerhalb einer Woche und pro 100 000 Einwohner auf eine Normalstation in eine Klinik kommen. Diese Hospitalisierungsinzidenz liegt derzeit bei acht. 286 Covid-Patienten liegen zudem auf den Intensivbetten im Land. Bislang trat die Alarmstufe in Kraft bei einer Hospitalisierungsinzidenz von 3 oder bei 390 oder mehr Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Künftig gilt sie erst bei einer Hospitalisierungsinzidenz von 15 und bei 390 oder mehr Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Hintergrund ist, dass wegen der etwas milderen Omikron-Variante das Gesundheitssystem nicht mehr so stark belastet ist wie bei Delta.
Die bisherige Alarmstufe II wird nun komplett gestrichen, verkündete Kretschmann im Landtag. Mit den neuen Grenzwerten dürfte ab nächster Woche die Warnstufe wieder in Kraft treten - sie gilt künftig ab einer Hospitalisierungsinzidenz von 4 (bislang 1,5) oder bei 250 oder mehr Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. Dann gilt für viele Veranstaltungen - für Gastronomie, Kultur, Freizeit, Messen - die 3G-Regel statt der 2G-Regel. Auch Ungeimpfte haben also dann mit einem aktuellen Test wieder Zugang. Für Ungeimpfte gilt zudem, dass sich künftig ein Haushalt mit 10 Personen treffen darf statt nur mit zwei. Clubs und Diskotheken können unter strengen Bedingungen wieder öffnen. Die Maskenpflicht wird in geschlossenen öffentlichen Räumen grundsätzlich beibehalten.
Kretschmann verortet sich trotz der geplanten Lockerungen immer noch im „Team Vorsicht“. Lockern ja, aber „nicht mit einem großen Knall“, sagte er in seiner Regierungserklärung. So sei eine neue Untervariante von Omikron namens „BA2“ leider noch ansteckender als die Ausgangsvariante. Krankenhäuser litten zudem unter Personalausfällen, weil infizierte Pfleger in Quarantäne müssten. Noch immer seien zudem mehr als zehn Prozent der Über-60-Jährigen nicht geimpft.
Der Ministerpräsident forderte deshalb auch erneut einen Instrumentenkasten für die Zeit nach dem 20. März, um zur Not gegen eine erneut aufflammende Pandemie durchgreifen zu können. Ab dann sollen nach dem Beschluss von Bund und Ländern nämlich „alle tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen“ wegfallen. Zudem müsse man bereits jetzt für den kommenden Herbst und Winter vorsorgen. Man müsse mit weiteren Corona-Varianten und einer weiteren Welle im Winter rechnen. Kretschmann sprach sich daher erneut für eine allgemeine Impfpflicht und ein Impfregister aus.
Eine Impfpflicht schütze nicht vor Neuinfektionen, entgegnete FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Man dürfe den Menschen keine Sicherheit versprechen, eine Impfpflicht sei kontraproduktiv. Die Liberalen stellten sich aber hinter die geplanten Lockerungsschritte. Nur widerwillig sei Kretschmann vom „Team Sturheit“ ins „Team Freiheit“ gewechselt, sagte Rülke. Alles spreche nun für einen Abbau von Grundrechtseinschränkungen, sagte Rülke. Kretschmann brauche auch keinen Instrumentenkasten für weitere Einschränkungen.
Die SPD warf Kretschmann Strategielosigkeit vor. Gerade zwei Wochen sei es her, da habe der Regierungschef noch Exit-Debatten bis Ostern ausgeschlossen, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Die jetzigen Öffnungsschritte stünden dazu in krassem Widerspruch. Kretschmann sei möglicherweise getrieben vom Koalitionspartner CDU oder vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Eine Strategie sei nicht erkennbar. Der Beschluss von Bund und Ländern zeige nun aber einen Weg aus der Pandemie auf. Nun müsse Kretschmann nicht mehr stolpern und auf Sicht fahren. Der Regierungschef müsse das Land hingegen nun für den Herbst vorbereiten, sagte Stoch. „Legen Sie nicht die Füße hoch!“
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