Kretschmann macht im Streit um Ganztag Druck auf Bund
dpa Stuttgart. Die Zeit läuft. Der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler in Deutschland wackelt heftig. Anfang September könnten Bund und Länder den Streit noch abräumen. Der Schwabe Kretschmann will aber deutlich mehr Geld aus Berlin.
Kurz vor der Bundestagswahl drückt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Finanz-Streit um die Ganztagsbetreuung von Grundschülern aufs Tempo. Der Bund müsse sich bewegen und noch vor den letzten Sitzungen von Bundestag und Bundesrat vor der Wahl im Vermittlungsausschuss mit den Ländern verhandeln. Kretschmann sagte der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart: „Was wir vom Bund fordern, ist ein faires und solidarisches Finanzierungsmodell. Nicht mehr und nicht weniger.“ Spätestens an diesem Mittwoch müsste die Einladung zum Vermittlungsausschuss kommen.
Der Grünen-Politiker untermauerte die Forderung der Länder nach mehr Geld vom Bund mit einem konkreten Vorschlag. „Das bisherige Angebot des Bundes ist vollkommen unzureichend.“ Die Länder fordern, dass sich der Bund langfristig zur Hälfte an den Betriebskosten beteiligt. Kretschmann mahnte an, den Ausgleich über einen höheren Anteil der Länder an der Umsatzsteuer zu regeln. Vom Jahr 2030 an müssten die Länder 0,7 Prozentpunkte mehr erhalten. Das würde bedeuten, dass der Bund ab dem Jahr 2030 rund 2,25 Milliarden Euro zahlen müsste, Tendenz steigend. Bisher will der Bund seinen Anteil bei knapp einer Milliarde Euro deckeln. Kretschmann sagte: „Jetzt kann der Bund zeigen, ob er es ernst meint.“
Eigentlich war geplant, dass jedes Kind, das ab Sommer 2026 eingeschult wird, in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommt. Derzeit wird davon ausgegangen, dass dafür bundesweit bis zu eine Million zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen. Doch der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler in Deutschland wackelt. Der Bundesrat verweigerte Ende Juni dem Gesetz - auch auf Initiative Baden-Württembergs - die Zustimmung und rief den Vermittlungsausschuss an. Der kann angerufen werden, wenn vom Bundestag bereits beschlossene Gesetze keine Zustimmung im Bundesrat finden. Das gemeinsame Gremium beider Häuser versucht dann, eine Einigung herbeizuführen.
Die Zeit drängt. Kretschmann hat Unions-Fraktionsvize Hermann Gröhe, den Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, schon per Brief aufgefordert, zu Gesprächen einzuladen. Da der Bundestag am 7. September seine letzte Sitzung hat, müsste der Vermittlungsausschuss spätestens am Tag vorher tagen. Die Einladung müsste fünf Tage vorher kommen, also am kommenden Mittwoch. Ansonsten könnte das Gesetz in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.
Die Länder wollen auch, dass der Bund seinen Anteil an den auf 7,5 Milliarden Euro geschätzten Investitionskosten erhöht. Bisher will der Bund den Ländern 3,5 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Die Länder wollen nur 30 Prozent zuschießen und drängen den Bund, 5,25 Milliarden Euro für die Investitionen zu geben. Bei den Betriebskosten fordert Kretschmann in den Übergangsjahren 2026 bis 2029 bis zum Endausbau einen zusätzlichen Anteil von 0,35 Prozentpunkten an der Umsatzsteuer.
Kretschmann mahnte, der einklagbare Rechtsanspruch müsse „finanziell hinterlegt und leistbar sein“. Er befürchtet, dass allein auf Baden-Württemberg im Endausbau Kosten von jährlich einer Milliarde Euro zukommen könnten, wenn der Bund nicht nachbessert. Länder und Kommunen wüssten aus den Erfahrungen beim Ausbau von Kitas und Krippen: „Ohne fortlaufende Investitionen in Qualität und Fachkräfte bleiben die bildungspolitischen Verheißungen des Bundes reine Worthülsen.“ Das bisherige Angebot des Bundes würde die durch Corona ohnehin stark belasteten Haushalte von Kommunen und Länder viel zu sehr belasten.
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