Grün-Schwarz: 1200 Neustellen und Schulden tilgen
dpa/lsw Stuttgart. Im Bund erbitterte Gegner, im Land Partner. Der Traum von einer Zweier-Koalition aus CDU und Grünen auch im Bund ist wohl geplatzt. Im Wahlkampf warnt die Südwest-CDU vor einem Linksrutsch mit grüner Hilfe. Doch beim Haushalt gilt das Motto: Gönnen können.
Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben sich trotz der Konkurrenz vor der Bundestagswahl bei den Verhandlungen über den Haushalt 2022 und die politische Leitlinien zusammengerauft. Die Spitzen der Koalition um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verständigten sich am Wochenende auf die Schaffung von mehr als 1200 weiteren Stellen und die Tilgung von knapp einer halben Milliarde Euro Corona-Schulden - und das, obwohl es am Anfang der Beratungen hieß, es seien wegen der Corona-Lasten keine großen Sprünge drin. Schon an diesem Dienstag will das Kabinett den Haushaltsentwurf beschließen.
Personell gestärkt werden sollen vor allem die Justiz, die Schulen und die Gesundheitsämter, wie Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur sagte. Für junge Leute soll es ab Mitte nächsten Jahres ein landesweites 365-Euro-Ticket für Busse und Bahnen geben. Umweltverbände lobten diese Maßnahme und weitere Investitionen in Klimaschutz. Die Opposition im Landtag hält die schwarze Null im Etat 2022 für eine Mogelpackung.
Tilgen und noch einmal vorsorgen für längere Pandemie
Umstritten war lange, was mit dem Geld aus dem kaum genutzten Corona-Rettungsfonds für mittlere Firmen geschehen soll. 506 Millionen Euro sollen nun als Polster zurückgelegt werden, falls die Pandemie länger dauert als gedacht, erläuterte Bayaz. Die restlichen 474 Millionen Euro aus dem Beteiligungsfonds will Grün-Schwarz zum Tilgen von Corona-Schulden nutzen. Kretschmann sagte, jeder könne sicher sein, dass das zurückgelegte Geld, wenn es nicht gebraucht werde, wieder zurückfließt. „Das nenne ich einen seriösen Umgang mit den Finanzen und mit den Steuergeldern des Bürgers.“
Mehr Richter, Staatsanwälte und mehr Stellen für Justizvollzug
Trotz Corona hat das Land doch Spielraum für Investitionen in Höhe von 915 Millionen Euro, wobei hier auch Kosten für früher festgelegte Projekte eingerechnet sind. In der Haushaltskommission ging es dann um etwa 250 Millionen Euro, die investiert werden konnten. Bayaz hatte in der Vorbereitung etwa 860 Stellen genehmigt, am Ende kamen noch einmal 339 weitere hinzu. Von den neuen Stellen entfallen über 450 auf den Bereich Justiz.
Allein 250 Stellen solle es für Anwärter im Justizvollzug geben, hieß es. Darüber hinaus will die Koalition dem Wunsch von Justizministerin Marion Gentges (CDU) nach mehr Stellen für Richter und bei den Staatsanwaltschaften entsprechen. Kretschmann sagte dazu, alle klagten darüber, dass die Verfahren viel zu lange dauerten. Nun steuere man gegen.
Entlastung für Schulleitungen und Gesundheitsämter
Grün-Schwarz will zudem 195 neue Stellen schaffen zur Entlastung der Schulleitungen und für Lehrkräfte für Klassen, in denen behinderte und nicht-behinderte Kinder zusammen lernen. Für die Gesundheitsämter, die in der Corona-Krise teilweise stark überlastet waren, soll es 184 Stellen geben. Zudem soll Geld in den Solidarpakt Sport, die Einführung der E-Akte in den Ministerien und in ein Sofortprogramm für den Klimaschutz fließen.
„Elterntaxi soll in Garage bleiben“
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz legte besonderen Wert auf die Klimaschutzpläne. Mit dem Sofortprogramm in Höhe von 15 Millionen Euro sollen unter anderem kommunale Wärmepläne vorangebracht und landeseigene Gebäude saniert werden. Grün-Schwarz wolle zudem gegen Mitte des kommenden Jahres ein landesweites Jugendticket einführen. Zum Preis von 365 Euro im Jahr könnten Jugendliche dann Busse und Bahnen im Land nutzen.
„Wir wollen damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten und Familien entlasten“, sagte Schwarz der dpa. „Das Elterntaxi kann in der Garage bleiben.“ Kostenpunkt für das Land, wenn das 365-Euro-Ticket Mitte des Jahres kommt: Etwa 27 Millionen Euro. Langfristig sind hier 300 Millionen Euro nötig.
CDU sieht eigene „klare Handschrift“
CDU-Landeschef und Innenminister Thomas Strobl freute sich, dass die Koalition sich verpflichtet hat, 2023 erneut 500 Millionen Euro in den Breitbandausbau für schnelles Internet zu stecken. Außerdem gehe die Einstellungsoffensive bei der Polizei weiter. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel betonte, „dass unsere klare Handschrift in den heutigen Haushaltsverhandlungen deutlich sichtbar wurde“.
Schwarze Null im nächsten Jahr, aber Schulden in diesem
Grüne und CDU hatten sich schon vor der Sommerpause darauf geeinigt, die Schuldenbremse nach zwei Ausnahmen hintereinander wieder einhalten zu wollen. Die Opposition wirft der Koalition vor, die schwarze Null sei nur möglich, weil Grün-Schwarz beim Nachtragsetat für den Doppelhaushalt 2020/2021 erneut die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse genutzt und neue Kredite in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufgenommen habe.
SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch sagte, die „vermeintlich klammen Kassen“ seien wegen Haushaltsresten und Überschüssen gefüllt bis zum Rand. Wer vorher ohne Not Schulden aufnehme, brauche sich jetzt nicht mit Schuldentilgung zu brüsten. Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke forderte, Grün-Schwarz müsse Verschuldungsrechte aus dem Nachtragsetat zurückgeben. Auch bei den Ausgaben sei noch mehr für das Land drin gewesen, kritisierte Stoch. 15 Millionen Euro für den Klimaschutz seien nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“.
Umweltverbände sind happy
Die Grünen wiesen die Kritik zurück, insgesamt seien über 50 Millionen Euro für Klimaschutzmaßnahmen im Etat 2022 enthalten. Die Umweltverbände BUND und Nabu zeigten sich erfreut über den Etatentwurf. „Für uns bedeutet die Einigung das Signal, dass der Klima- und Naturschutz der Landesregierung wirklich am Herzen liegt“, sagte BUND-Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch. Nabu-Landeschef Johannes Enssle stieß in dasselbe Horn: „Wir sind erleichtert, dass Corona diese Themen nicht wegpusten konnte.“
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