Kretschmann schließt Ende der Maßnahmen vor Ostern aus

dpa/lsw Stuttgart. Einst, in der ersten Corona-Welle, beschwerte sich die damalige Kanzlerin Merkel über „Öffnungsdiskussionsorgien“. Hört man Ministerpräsident Kretschmann ein paar Wellen später zu, erlebt man eine Art Déjà-vu.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Mitten in der Omikron-Welle werden wegen der milderen Verläufe der Virusvariante Rufe nach einer baldigen Rückkehr in die Normalität immer lauter - Ministerpräsident Winfried Kretschmann aber dämpft die Hoffnungen. Er sehe bis mindestens Mitte April keinerlei Chancen für das Ende von Corona-Beschränkungen, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Er könne sich nicht vorstellen, dass es vor Ostern zu Ausstiegsstrategien komme. Protest kam von der Wirtschaft und der FDP. Der Koalitionspartner CDU stellte Lockerungen nach Aschermittwoch, also für Anfang März, in Aussicht.

Kretschmann sagte: „Wir brechen keine Debatte über Exitstrategien vom Zaun – das wäre völlig unangemessen und das völlig falsche Signal.“ So habe Baden-Württemberg vor kurzem erst die Regeln verschärft, sagte er mit Blick auf die FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr. Das werde man nicht durch „haltlose Ausstiegsdebatten“ durchkreuzen. Unter dem Strich hat das Land aber mit der Rückkehr zur Alarmstufe I die Auflagen gelockert, auch für Ungeimpfte.

Man werde sich höchstens grundsätzlich und sehr vertraulich darüber unterhalten, wann eine Exitdebatte sinnvoll wäre, sagte Kretschmann. Das Land sei immer noch in einer dramatischen Situation. Es seien daher erstmal keine Lockerungen geplant: „Erstmal haben wir das nicht vor.“ Er schließe aber grundsätzlich gar nichts aus in der Pandemie. Im Großen und Ganzen habe er sich immer an die Beschlüsse von Bund und Ländern gehalten, sagte er mit Blick auf die nächste gemeinsame Konferenz Mitte Februar.

Trotz weiter steigender Corona-Infektionszahlen wird in der Politik der Ruf nach einem Konzept für eine Rücknahme von Beschränkungen lauter. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte dem „Spiegel“ gesagt: „Wir haben die Omikron-Welle zwar noch nicht hinter uns, aber wir müssen schon jetzt konkret daran arbeiten, wann und unter welchen Bedingungen es zu schrittweisen Öffnungen kommen kann.“ Auch der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert, schnell mit einer Diskussion über die Rücknahme von Beschränkungen zu beginnen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen liegt im Südwesten derzeit in nur 5 von 44 Stadt- und Landkreisen unter 1000. Auf den Intensivstationen im Land werden derzeit 274 Covid-Erkrankte behandelt. Die Zahl der Corona-Infizierten, die innerhalb einer Woche und pro 100.000 Einwohner in ein Krankenhaus kamen, liegt bei 4,8. Beide Klinik-Zahlen liegen seit einiger Zeit unter den Grenzwerten für die Alarmstufe II mit härteren Einschränkungen. Bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Februar werde man genau beobachten, wie sich die Pandemie in den Krankenhäusern entwickle, sagte Kretschmann. Es gebe derzeit etwa viele Klagen von überlasteten Arztpraxen.

Eine Regierungssprecherin stellte klar, dass das Land mit seinem Stufensystem aus Alarmstufen ja einen Fahrplan für Lockerungen habe. Lockerungen werde es in dem Maße geben, wie es verantwortbar sei.

„In Moment sprechen die Fakten eine klare Sprache: Die Fallzahlen wie die Krankenhauseinweisungen steigen“, sagte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel der Deutschen Presse-Agentur. „Daher sind wir uns in der Koalition einig, dass wir bis Aschermittwoch weiter konsequent bleiben müssen.“ Die Koalition habe sich in der Pandemie immer „faktenbasiert, lageabhängig und entlang wissenschaftlichem Rat“ entschieden. „Wenn sich die pandemische Lage aufhellt, werden wir nach Aschermittwoch auch über Lockerungen und den sukzessiven Ausstieg aus der Verordnungspraxis sprechen können“, sagte Hagel. „Wir müssen, wir wollen und wir werden dann, noch mehr als bisher, auf Eigenverantwortung setzen.“

Die FDP hält gar nichts von Kretschmanns Osterfrist. „Ein erneutes Beispiel für ein völlig willkürliches Politikverständnis“, schimpfte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. „Man muss sich doch an der Lage orientieren und nicht am Osterhasen.“

Die Südwest-Wirtschaft sieht das ähnlich. „Wir sind über die rigide Haltung des Ministerpräsidenten doch erstaunt“, sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, der dpa. „Mögliche Lockerungen der Corona-Maßnahmen oder zumindest Überlegungen dazu dürfen nicht einfach durch Vorfestlegungen ausgeschlossen werden.“ Mit einer solchen Vorgehensweise gerate das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zunehmend ins Wanken.

Der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), Wolfgang Grenke, sagte, die Festlegungen Kretschmanns seien für Unternehmen schwer nachzuvollziehen. „Viele Betriebe sind mittlerweile existenziell bedroht, unsere Innenstädte drohen im Rekordtempo zu veröden“, erklärte Grenke. Es sei nicht mehr möglich, weiter auf Sicht zu fahren. Die betroffenen Branchen bräuchten „ein klares Signal, was ab Frühjahr wieder möglich sein wird“.

© dpa-infocom, dpa:220201-99-930111/6

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Erstellt:
1. Februar 2022, 12:54 Uhr

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