Kultlokal im Dornröschenschlaf

Als „Onkel Tom’s Hütte“ und „Café Fidel“ hat sich die Gaststätte an der ehemaligen Bahnhaltestelle Spinnerei einen Namen gemacht. Seit dem Abriss 2014 und dem anschließenden Neubau ist es still um die Lokalität geworden. Das soll sich nun ändern.

Der Boden muss noch verlegt werden, ansonsten ist die Gaststätte an der Spinnerei in Backnang bereit für neues Leben. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Der Boden muss noch verlegt werden, ansonsten ist die Gaststätte an der Spinnerei in Backnang bereit für neues Leben. Fotos: A. Becher

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Die Zeiten, in denen das Bierglas festgehalten werden musste, wenn die Züge vorbeiratterten, sind vorüber. Einmal, erinnert sich Norbert Kempf, sei sogar ein großer Sonnenschirm durch den Luftzug fortgeweht worden. „Das Risiko wird es nicht mehr geben“, erklärt der 56-Jährige. Dort, wo einst der Biergarten war, kommen die Parkplätze hin. Einen Biergarten gibt es auch weiterhin, im direkten Anschluss an den Neubau, außerdem finden auf der Dachterrasse mit Ausblick auf das Murrtal noch zahlreiche Gäste Platz. Das neue Gebäude habe in etwa die gleichen Maße wie der Vorgänger, sagt Bauherr Kempf. Der Gastraum innen sei etwas größer, „damit das Lokal auch im Winter noch einigermaßen läuft“. Etwa 49 Quadratmeter stünden zu Verfügung, hinzu kommen noch die fast 90 Quadratmeter Außenfläche. In diesen Tagen wird der Holzboden im Gastraum noch eingebaut – alle weiteren Arbeiten werden dann erst in Absprache mit dem neuen Pächter angegangen. Und der muss erst noch gefunden werden.

„Jemanden zu finden, ist gerade gar nicht so einfach“, erklärt Norbert Kempf. Im vergangenen Jahr sei sein Engagement diesbezüglich „noch nicht riesig“ gewesen – durch die Coronapandemie habe er das als wenig zielführend erachtet. Nun aber ist das Gebäude fast fertig und inzwischen sei er trotz der anhaltenden Schwierigkeiten in der Gastronomie aktiv auf der Suche. Es gebe auch schon erste Interessenten, verrät Kempf. Mit der Auswahl wolle er jedoch gründlich vorgehen. „Ich wohne selbst gegenüber, das muss schon passen.“

Die lange Bauzeit hängt mit der Vorgehensweise zusammen.

Angefragt habe er bei keinem Geringeren als Meisterkoch Vincent Klink – „man kann es ja mal probieren“. Beide hätten daraufhin ein nettes Gespräch geführt, obwohl Klink dem Backnanger schlussendlich eine Absage erteilte. Was sich der Eigentümer für sein Lokal vorstellt? Kempf zuckt mit den Achseln. „Ich bin da offen. Mein Traum wäre es, dass der Pächter aus dem Lokal einen Treffpunkt schafft, wo man neue Ideen entwickeln kann.“ Kreativität sei ihm wichtig. Er könne sich ein feines japanisches Restaurant genauso gut vorstellen wie ein Künstlercafé.

In ihrer Geschichte hat die Gaststätte an der ehemaligen Bahnhaltestelle Spinnerei schon verschiedene Namen getragen. 1953 hatte Albert Schramm das Bahnhofstüble eröffnet, welches 1980 schloss. Von der „Gartenlaube“ wandelte es sich zu „Onkel Tom’s Hütte“ und schließlich zum „Café Fidel“, das von dem Backnanger Gastronomen Polichronis „Poli“ Kopilis zur Kultkneipe gemacht wurde. Mit Kopilis habe er sogar noch Kontakt, sagt Kempf, der das Gebäude kurz nach der Jahrtausendwende gekauft hat. Zuletzt hatte das Gebäude dann als Baubüro für das Erlebnisbad Wonnemar fungiert, bevor es 2014 abgerissen wurde. Die Bausubstanz war zu jenem Zeitpunkt in einem schlechten Zustand.

Vor sieben Jahren wurde das Bestandsgebäude am Bahnübergang abgerissen, kurz darauf fingen die Arbeiten am Neubau an.

© Pressefotografie Alexander Beche

Vor sieben Jahren wurde das Bestandsgebäude am Bahnübergang abgerissen, kurz darauf fingen die Arbeiten am Neubau an.

Dass der Neubau so lange währte, liegt an der Art des Projekts sowie an der Vorgehensweise. Norbert Kempf ist von Beruf Bildhauer und Steinmetz, hat den Großteil der Arbeit selbst geleistet, lediglich zwei Helfer seien ihm zur Hand gegangen. Das Gebäude selbst wurde in einer Schichtbetonweise errichtet – für jede 18 Zentimeter hohe Schicht wurde eine Formschale rund um das Gebäude befestigt und mit selbst angemischtem Beton aufgegossen. „Das dauert jeweils etwa eine Woche“, erklärt der Bauherr. Vor allem in den Innenräumen hat der gebürtige Stuttgarter kunstvolle Reliefs gefertigt, teilweise Weinflaschen eingearbeitet und die Heizung ist in Wand und Boden integriert. So könne man auf der Fensterbank sitzen, ohne einen kalten Hintern zu bekommen, erklärt Kempf schmunzelnd. Geheizt wird mit einem Holzofen. Die untere Etage, wo Küche, Lager und Personalraum vorgesehen sind, will er noch gar nicht im Detail gestalten. Sie sollen später gemäß den Anforderungen des Pächters fertiggestellt werden. Nun hofft Norbert Kempf nur noch darauf, dass sich ein geeigneter Kandidat findet.

Den Großteil der Arbeiten hat Bauherr Norbert Kempf selbst übernommen. Der Steinmetz und Bildhauer hat verschiedene feine Reliefs gefertigt und auch den Boden bearbeitet er selbst.

© Alexander Becher

Den Großteil der Arbeiten hat Bauherr Norbert Kempf selbst übernommen. Der Steinmetz und Bildhauer hat verschiedene feine Reliefs gefertigt und auch den Boden bearbeitet er selbst.

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Erstellt:
30. März 2021, 11:00 Uhr

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