Lärmschützer in Stuttgart schlagen Alarm
Experten fordern Senkung der Grenzwerte im Straßenverkehr
Fachtagung - Stress durch Verkehrslärm: Experten halten Grenzwerte für zu hoch und raten zu einer Absenkung.
Stuttgart Nach einem Fachgespräch über Lärmschutz in Stuttgart haben Experten sich am Freitag vor der Landespresse für eine Absenkung der Grenzwerte ausgesprochen. Es geht um die Schwellenwerte, ab denen durch Straßen- und Schienenlärm eine Gesundheitsgefährdung angenommen werden muss. Der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung, Thomas Marwein (Grüne), bezeichnete den Lärm als eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit. „Die Lärmgrenzwerte, die für Urteile von Verwaltungsgerichten aller Ebenen herangezogen werden, sind deutlich zu hoch.“ Dies müsse geändert werden, der Bund sollte sich die in Stuttgart gewonnen Erkenntnisse zu eigen machen und das Gesetz ändern.
Derzeit gelten in Deutschland Werte von 70 Dezibel am Tag und 60 Dezibel in der Nacht, wie es in der Bundesimmissionsschutzverordnung und in den Lärmschutz-Richtlinien-Straßenverkehr geregelt ist. Die Epidemiologin Susanne Moebus von der Universität Essen und der Arbeitsmediziner Andreas Seidler von der Technischen Universität Dresden verwiesen auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die zu deutlich geringeren Werten raten. In ihren Leitlinien für Umgebungslärm für die europäische Region empfehle die WHO die durchschnittliche ganztägige Lärmbelastung durch den Straßenverkehr auf weniger als 53 Dezibel und unter 45 Dezibel für die Nacht zu verringern.
Moebus sagte, dass die heutigen Beurteilungsschwellen für Verkehrslärm etwa 15 Dezibel über den Empfehlungen der WHO lägen und es erheblichen Nachbesserungsbedarf gebe. Schrittweise sollten die Schwellen gesenkt werden. Seidler verwies auf das Gesundheitsrisiko und stellte eine Modellrechnung vor, wonach eine um fünf Dezibel niedrigere Schwelle das Risiko schwerer Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 15 Prozent senken kann: „Würde nächtlicher Verkehrslärm konsequent unter 55 Dezibel liegen, würden in einem Land wie Baden-Württemberg Tausende von Menschen weniger an Schlafstörungen leiden.“
Der Lärmexperte Dirk Schreckenberg vom Zentrum für angewandte Psychologie, Umwelt- und Sozialforschung in Hagen sagte, bei den Gesundheitsrisiken gehe es nicht nur um Hörschäden, sondern auch um Stress und Kreislauferkrankungen. Er sprach von einem schleichenden Prozess, der sich oft über Jahrzehnte hinziehe. „Herzerkrankungen, die haben Sie nicht von heute auf morgen“, sagte er. „Es ist nicht so, dass sie einen Lkw hören und dann fallen sie tot um.“ Aber 25 Jahre lang 60 Dezibel seien ein Problem. Bereits ab etwa 35 Dezibel stiegen die Risiken. Schreckenberg sagte, es gehe auch um sogenannte Umweltgerechtigkeit. Von Straßenlärm seien oft ärmere Menschen betroffen, die keine Lobby hätten. Die Grenzwerte für gesundheitsgefährdenden Lärm sind laut baden-württembergischem Verkehrsministerium nicht individuell einklagbar. Sie würden aber von Verwaltungsgerichten für Urteile herangezogen, hieß es.