Land macht aus Integrationsmanagern Impfbotschafter
dpa/lsw Stuttgart. Die Pandemie schreitet voran, die Omikron-Variante lauert am Horizont. Sollte die Impfpflicht kommen, wird es damit noch dauern. So lange will der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann nicht warten - und greift zu einem ungewöhnlichen Mittel.
Die 1200 Integrationsmanager im Südwesten sollen Impfbotschafter im Kampf gegen die Corona-Pandemie werden. Das habe er dem Gesundheits- und Sozialminister Manne Lucha vorgeschlagen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Die Integrationsmanager in den Kommunen sollen schnell und unbürokratisch so geschult werden, dass sie Informationen und Fragen zur Impfung in die Quartiere bringen.
Eigentlich betreuen die Integrationsmanager - meist Sozialarbeiter - Flüchtlinge mit Bleibeperspektive in den Gemeinden, Städten und Landkreisen. Sozialminister Lucha hatte im Sommer 2017 den Startschuss gegeben für das nach seinen damaligen Angaben bundesweit einzigartige Programm. Die Experten sorgen dafür, dass Geflüchtete in der Anschlussunterbringung Angebote zum Deutsch lernen, zur Berufsqualifizierung und zur Integration in den Arbeitsmarkt bekommen. Es geht um niedrigschwellige Sozialberatung.
Nun sollen die Integrationsprofis fürs Impfen werben. Denn: Vor allem in sozial schwachen Vierteln und unter Menschen mit Migrationshintergrund ist die Impfquote niedrig. Umfragen besagen laut Staatsministerium, dass unter den Ungeimpften 60 Prozent strikte Impfverweigerer, aber 19 Prozent impfbereit seien. „Wir fokussieren uns in der öffentlichen Debatte natürlich stark auf die lautstarken und sichtbaren Corona-Leugner“, sagte Kretschmann der dpa.
„Wir erreichen einen erheblichen Teil der Bevölkerung gar nicht mit unseren Appellen“, sagte Kretschmann. Er spricht von bildungsfernen Schichten, von sozial Abgehängten, von Menschen, die schlecht Deutsch sprechen oder die zu den etwa sechs Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland gehören - also die, die nicht richtig lesen und schreiben können. Zudem erreiche man längst nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund.
„Dazu kommen die Menschen, die mit ihrem Alltag so herausgefordert sind, dass sie die Frage des Impfens schlicht ausblenden, vergessen oder damit überfordert sind“, sagte der Regierungschef. Sie beschäftigten sich nicht mit gesundheitlichen Fragen, hätten dafür gar keine besonderen Gründe. „Sie leben oft zurückgezogen und halten sich aus allem raus – aus Demos, Diskursen, auch aus Umfragen – die uns ja unser Bild über Motive von Impfgegnern oder Skeptikern liefern.“
Diese Menschen erreiche man nur, wenn man gezielt in diese Milieus reingehe. „Das machen ja viele Kommunen mit den Mobilen Impfteams schon. Aber das wollen wir jetzt noch mal verstärken, um die Quote der Nicht-Geimpften weiter zu verringern.“ Die Impfbotschafter sollen nach Angaben des Staatsministeriums nicht nur aufklären und erklären, sondern auch „ganz praktisch den Weg zur Impfung weisen“.
Der baden-württembergische Gemeindetag zeigte sich offen für die Idee. Man wolle die Überlegung mit dem Land vertieft besprechen, sagte Gemeindetagspräsident Steffen Jäger. „Dass Integrationsmanager die von ihnen unterstützten Menschen auch über die Notwendigkeit des Impfens informieren ist sicher vernünftig, dürfte aber bereits vielfältig stattfinden“, sagte er. „Diesen Ansatz konzeptionell weiter zu verstärken, kann durchaus sinnvoll sein.“
Der baden-württembergische Flüchtlingsrat wollte den Vorstoß nicht kommentieren, ohne zu wissen, was damit konkret gemeint sei. Grundsätzlich seien Vertrauenspersonen, die auf Bedenken und Vorbehalte reagieren können, sehr wichtig, um Menschen zu überzeugen, dass die Impfung wichtig und sicher sei, sagte der Leiter der Geschäftsstelle, Seán McGinley. Im Idealfall könnten Integrationsmanager diese Rolle einnehmen. „Eine zusätzliche Aufgabe erfordert aber auch zusätzliche Ressourcen und Kapazitäten“, betonte er. „Und ich wäre dagegen, den Integrationsmanager*innen umfangreiche zusätzliche Aufgaben zu geben ohne entsprechende personelle Aufstockung.“
Das Integrationsmanagement habe sich zum zentralen Baustein der Integrationsarbeit der Städte und Gemeinden entwickelt, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. „Wir sind im Übrigen überzeugt, dass es auch ein Vorbild für andere Bundesländer sein könnte.“ Durch das Programm seien rund 900 Vollzeitstellen geschaffen und die Kommunen für den fünfjährigen Projektzeitraum mit 287 Millionen Euro unterstützt worden.
Kretschmann sprach von einem „schlummernden Potenzial“ im Südwesten. So habe man am Anfang der Pandemie festgestellt, dass zum Beispiel russlanddeutsche Milieus teils vom Kremlfernsehen total indoktriniert seien. „Die Integrationsmanager haben ja Erfahrung mit Migrationsmilieus. Sie kennen die Menschen vor Ort, sie wissen, wo und wie die Ansprache am besten funktioniert. Sie haben ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen, die sie betreuen“, sagte er. „Da erhoffe ich mir nochmal einen Schub.“
Man könne nicht auf die Impfpflicht warten, warnte Kretschmann mit Blick auf die hohen Infektionszahlen und die sich ausbreitende Omikron-Variante. Selbst die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen werde erst im Frühjahr fertig. „Wir müssen gucken, dass wir die Impfquote vorher noch hoch bekommen.“ Zudem wisse man gar nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Impfpflicht komme, das hänge von vielen Dingen ab - etwa, dass der Impfstoff weiter wirksam ist auch gegen die Omikron-Variante.
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