Landwirte im Raum Backnang wollen sichtbar werden

Hunderte Traktoren und Lkw ziehen auch durch Backnang, um gegen Sparmaßnahmen der Bundesregierung zu demonstrieren. Die Beteiligten sind positiv überrascht von der ihnen entgegengebrachten Solidarität. Doch das reicht nicht, die Landwirte fordern Zugeständnisse der Politik.

Auch in Backnang waren gestern zahlreiche Landwirte mit Traktoren unterwegs, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Foto: Alex Becher

© Alexander Becher

Auch in Backnang waren gestern zahlreiche Landwirte mit Traktoren unterwegs, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Foto: Alex Becher

Von Kristin Doberer

Rems-Murr. In Schrittgeschwindigkeit nur schleichen die Traktoren die Straße am Montagmorgen entlang, hinter ihnen staut sich der Berufsverkehr. In dem einen oder anderen Kreisverkehr werden mehrere Runden gedreht, manche blockieren die Straße einfach komplett. Auch an zahlreichen großen Kreuzungen rund um Backnang sorgten die Landwirte für teils langen Stau. Am Mittag sorgen sie sowie mehrere Lastwagenfahrer für einiges an Lärm in der Backnanger Innenstadt.

Der deutschlandweit angekündigte Protest der Landwirte war gestern auch in Backnang deutlich zu spüren – und zu hören. Die Landwirte wollen damit ihren Unmut über die geplanten Kürzungen in der Agrarpolitik zum Ausdruck bringen. Denn im Rahmen der Haushaltsverhandlungen für 2024 hatte die Regierung bekannt gegeben, Steuervergünstigungen für Landwirte zu streichen. Dabei geht es vor allem um die Steuervergünstigung von Agrardiesel. „Das hat eigentlich nichts mit Subventionen zu tun“, sagt Peter Treiber, Landwirt aus Schmiden und stellvertretender Kreisvorsitzender des Bauernverbands Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems am Morgen bei einer Zusammenkunft weiterer Landwirte in Fellbach. „Der meiste Dieselverbrauch findet auf den Feldern und Wiesen statt.“ Landwirte seien im Alltag kaum auf den Straßen unterwegs, für deren Erhalt die Steuern eingesetzt werden. Bei seinem Betrieb in Schmiden mit rund 50 Hektar mache die Agrardiesel-Beihilfe und die Kfz-Steuer-Befreiung rund 4000 bis 5000 Euro pro Jahr aus. „Das mag manchen nicht viel erscheinen, aber stellen Sie sich mal vor, jemand würde Ihnen einfach so 4000 Euro vom Lohnzettel streichen. Das fehlt einfach auf dem Konto.“

Es fehlt die Alternative zum Dieseltraktor

Dabei gehe es ihm nicht nur rein ums Geld. Auch die Art und Weise, auf welche die Entscheidungen getroffen und verkündet wurden, sei unangebracht gewesen. „Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Normal gibt es Diskussionen um solche politischen Entscheidungen“, sagt Treiber. Er ist der Meinung, dass die Politik so nicht mit einer derart wichtigen Branche umgehen könne, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es aktuell keine wirkliche Alternative zum Dieseltraktor gebe. „Es gibt Hoflader mit Elektroantrieb, aber die kann man nur für die kleineren Arbeiten auf dem Hof anwenden“, erklärt Treiber. Für die Feldarbeit aber brauche man Fahrzeuge mit genug Leistung, die an langen Arbeitstagen auch mal 15 Stunden einsetzbar seien – und das zu einem Preis, der noch wirtschaftlich sei, sagt Treiber. Noch dazu fehle aktuell die Infrastruktur für E-Traktoren.

Dabei seien die aktuellen Sparpläne nur ein weiterer Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, meint Treiber weiter. So seien in den vergangenen Jahren die Bürokratie und die Regelungen ins Unerträgliche gesteigert worden. „Wann hat man schon Bauern mal demonstrieren sehen? Während die Bahnmitarbeiter oder die IG Metall ständig streiken, haben wir lange sehr viel geschluckt“, meint der Schmidener Landwirt Thomas Lausterer zur so hohen Protestbereitschaft in seiner Branche. „Aber irgendwann reicht es. Und das ist jetzt.“ Eine teilweise Rücknahme der Sparpläne, welche die Regierung in der vergangenen Woche bekannt gegeben hatte, reicht den Demonstrierenden nicht aus. „Wir fordern eine vollständige Rücknahme dieses Vorhabens.“ Treiber selbst war am Montagmorgen vor allem zwischen Fellbach und Remshalden unterwegs, einige seiner Mitstreiter machten sich aber auch auf den Weg nach Stuttgart. „Wir wollen an möglichst vielen verschiedenen Orten auf unser Anliegen aufmerksam machen“, erklärt Andreas Lausterer, der mit seinem Bruder Thomas am Protest teilnimmt.

In Backnang starteten die Landwirte schon um 5 Uhr morgens den Protest

Für die Backnanger Landwirte war klar: Auf den Demozug des Bauernverbands, der erst um 7 Uhr bei Schwäbisch Hall startete und sich dann auf den Weg Richtung Fellbach machte, will man nicht warten. „Wir sind schon genug spazieren gefahren. Wir wollten auch wirklich wahrgenommen werden und den Berufsverkehr mitnehmen“, sagt Jürgen Benignus, der einen landwirtschaftlichen Betrieb im Ungeheuerhof hat. Bereits um 5 Uhr morgens haben sich Landwirte und Mitstreiter aus der Backnanger Gegend getroffen. Etwa 150 Traktoren und rund 50 Lastwagen seien schon so früh am Morgen bereitgestanden. „Es kamen immer mehr dazu, später waren wir wohl 300 Traktoren und 100 Lkw“, meint Benignus. „Wir wollten zeigen, dass wir da sind. Die Regierung merkt langsam, wie viele wir sind.“

Er war begeistert, nicht nur von der Zahl der Beteiligten, sondern auch vom Ablauf der Protestfahrten. Alle seien sehr diszipliniert gewesen, die Aktionen seien friedlich verlaufen. „Wir wollen keinen Umsturz, sondern eine anständige Politik“, betont er. Auch deshalb habe er zunächst etwas Bedenken gehabt, ob die Proteste nicht von radikalen Gruppen für andere Zwecke missbraucht werden. Das zu verhindern, war auch dem Bauernverband wichtig: „Wir möchten nicht blockieren, sondern aufklären und möglichst viele Menschen positiv, aber deutlich erreichen“, heißt es vom Verband. Die Reaktionen der Menschen seien trotz Verkehrsbehinderungen großteils positiv ausgefallen, sagt Jürgen Benignus. Zwar habe man sich von dem einen oder anderen Verkehrsteilnehmer Beschimpfungen anhören müssen, doch insgesamt habe es viel Zuspruch gegeben.

Große Zufriedenheit mit dem Ablauf des Tages

Das bestätigt auch Denis Schwaderer, der einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Hofcafé im Stiftsgrundhof betreibt. „Wir sind sehr zufrieden damit, wie der Tag gelaufen ist“, sagt er. Es sei spürbar gewesen, wie die Grundstimmung im Land aktuell sei. „Wir waren nicht nur wegen den beiden aktuellen Themen auf der Straße, sondern weil gerade nichts so wirklich gut läuft im Land“, sagt Schwaderer.

Unterstützt wurden die Landwirte von zahlreichen Handwerksbetrieben und Speditionsunternehmen aus der Region. So zum Beispiel von Friedrich Bäuerle, der ein Speditionsunternehmen in Backnang betreibt. Vier seiner Lkw waren im Backnanger Stadtgebiet bei den Protestfahrten mit dabei. „Aus Solidarität mit den Landwirten, aber auch, weil die Maut für uns um 83 Prozent erhöht wurde“, erklärt der Unternehmer. Und das in einer ohnehin schwierigen Zeit angesichts fehlender Fahrer und steigender Kosten. „Die Leute haben viel Verständnis und Geduld gezeigt, die Stimmung war insgesamt sehr gemeinschaftlich“, sagt Friedrich Bäuerle.

Weitere Protestaktionen der Landwirte sind geplant

Für die Demonstrierenden im Rems-Murr-Kreis ist klar: Sollte die Politik nicht auf ihre Forderungen eingehen, werde es weitere Aktionen geben. Zunächst nur in dieser Woche, die deutschlandweit von den betroffenen Verbänden als Aktionswoche ausgerufen wurde. Was genau man rund um Backnang noch plant, das werde sich in den nächsten Tagen herausstellen, sagt Denis Schwaderer. Weitere Proteste schließen sie nicht aus. Zu der angekündigte Großdemonstration in Berlin, die am 15. Januar stattfinden soll, wollen auch einige Landwirte aus der Region anreisen – allerdings nicht mit dem Traktor. Das sei dann doch etwas zu weit. Stattdessen fährt der örtliche Bauernverband mit zwei Bussen nach Berlin. Aber selbst, wenn die Politik bei Kfz-Steuer und Agrardiesel einlenkt, gebe es noch einiges anzupacken, meint Peter Treiber. „Wenn das erst vom Tisch ist, kann man mit der Politik sprechen, wie der Landwirtschaftsstandort Deutschland attraktiv gehalten werden kann.“

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Erstellt:
9. Januar 2024, 06:00 Uhr

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