Bleiben oder Gehen - wie verhalten sich Anwohner am Straßenfest?
Von Renate Schweizer
BACKNANG. Vorne raus die Marktplatzbühne - wenn sie wollten, könnten sie dem Oberbürgermeister Frank Nopper Kirschkerne ins Freibier spucken -, hinten raus die Kreissparkassenbühne, seitlich die Engstelle zwischen Weinstube Kunberger und dem Fitnessstudio, wo sich während der fünften Backnanger Jahreszeit regelmäßig Geschrei-Strudel bilden, weil der Fußgängerfluss von drei Seiten wegen Überfüllung ins Stocken gerät: Das Straßenfest ist für die Anwohner der Backnanger Innenstadt Fluch und Segen zugleich. „Im Hausflur treffen die Schallwellen aufeinander und türmen sich auf zu einer wilden Kakophonie - drei Tage und Nächte lang hört man die Türklingel nicht und nicht das Telefon, rudimentäre Verständigung ist möglich durch Brüllen auf kurze Distanz“. Unsere Mitarbeiterin Renate Schweizer weiß wovon sie spricht, denn sie lebt mitten im Straßenfest. „Unsere Freunde wissen: Während des Straßenfests sind wir offline in jeder denkbaren Hinsicht. Sie finden das schade, weil sie gern eben mal raufgekommen wären, um unsere Toilette zu benutzen.“ Mit einem Augenzwinkern berichtet sie über ihre Erfahrungen während der Festtage: „Wer ein bisschen relative Ruhe braucht, entscheidet sich für Blasmusik oder Rockmusik - nach Frittierfett riecht’s überall. Im ersten Jahr, als wir noch nicht so richtig wussten, was auf uns zukam, hatte eine meiner Mitbewohnerinnen versehentlich Spätdienst mit Nachtbereitschaft eingeplant - ein fataler Fehler, wie sich alsbald herausstellte: Der Pieper unhörbar, auf der Türschwelle eine fröhliche Menschentraube, das Dienstfahrzeug in anderthalb Kilometer Entfernung zugeparkt, der nächtliche Weg dahin ein Hindernislauf. So etwas passiert einem kein zweites Mal. Es gibt in der Straßenfestfrage keine Neutralität, das wissen wir jetzt, man kann nicht so tun, als wär man die Schweiz. Es gibt nur zwei Optionen: Freinehmen und mitfeiern - oder freinehmen und abhauen.“
Renate Schweizer freut sich auf das Straßenfest. Ihre Mitbewohnerin hat allerdings schon die Flucht angetreten. Für unsere Zeitung begibt Schweizer sich bei ihren Nachbarn in der Innenstadt auf eine Forschungsexpedition mit der Frage: Bleiben oder Gehen - wie verhalten sie sich zum Straßenfest?
Leben im Auge des Orkans - Anwohner am Straßenfest