Leben mit dem Lärm
Krach macht krank — das ist wissenschaftlich erwiesen. Die Folgen reichen von Hörschäden über Depressionen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Um auf die Gefahren einer zu hohen Lärmbelastung aufmerksam zu machen, wurde der letzte Mittwoch im April zum "Tag gegen den Lärm" erklärt. Anlässlich dieses Aktionstages haben wir mit Menschen gesprochen, die beruflich oder privat hohen Geräuschpegeln ausgesetzt sind.
Von unserer BKZ-Redaktion
Musik ist die schönste Art, Lärm zu erzeugen
Tatsächlich freiwillig setzt sich Tobias Langer alias Toby Long immer wieder einer sehr hohen Dezibelzahl aus. Denn er ist als DJ in Clubs unterwegs, vor allem legt er Musik aus dem Technogenre auf. „Lärm ist relativ“, sagt der Backnanger. Schließlich gebe es ja unterschiedliche Arten von Lärm und „Musik ist die schönste Art, Lärm zu machen“.
Dass die Lautstärke in einem Club auf Dauer trotzdem erschöpfend sein kann, gibt er zu. Um dem entgegenzuwirken, nutzt er speziell an seine Ohren angepasste Ohrstöpsel mit Akustikfilter – besonders für die hohen Frequenzen, die dem Gehör schaden können. Zugleich kann er darüber in einem Ohr schon das nächste Lied vorhören, um den Übergang perfekt hinzubekommen. „Man hat also verschiedene Schallquellen gleichzeitig. Das ist sehr anstrengend und man muss sich ständig konzentrieren.“
Nicht nur die Lautstärke, sondern auch diese Konzentration seien nach einigen Stunden Auflegen für Psyche und Körper ganz schön anstrengend. „Die ständige Beschallung kann einen schon in einen aufgeregten Zustand versetzen, das wird nochmal hochgetrieben durch die Menge.“ Denn dazu komme das Adrenalin und die Euphorie, die häufig durch die Reaktion der Menge auf die Musik entstehen. „Wenn man es schafft, dass die Leute durch die Musik einfach ihren Alltag vergessen, dass man sie fast schon ins positive lenken kann“, beschreibt Toby Long das Gefühl.
Genau das könne aber auch sehr zehrend sein. Nach einem Auftritt brauche er persönlich deshalb vor allem Ruhe. „Auf dem Heimweg will ich dann kein Radio, keinen Podcast, einfach nur Stille“, erzählt der Backnanger DJ. Ein bis zwei Stunden vollkommene Ruhe brauche er, um sich wieder zu „erden“. Meistens bleiben vorerst sogar die Filter im Ohr – „das schirmt einen zusätzlich noch etwas ab“ – und dann starre er einfach nur ins Nichts. Die Anstrengung sei es aber wert, versichert er. Spätestens dann nämlich, wenn er es geschafft hat, mit dem „Lärm“ Gefühle zu erzeugen, erzählt er lachend. dob
Täglich 20 000 Autos vor dem Fenster
Eine Wohnung an der B14 – was für lärmempfindliche Menschen wie ein Albtraum klingt, ist für Walter Herbold und seine Frau Edeltraut kein Problem. „Wir wohnen gerne hier“, versichert das Ehepaar, das in Oppenweiler direkt an der Hauptstraße lebt. Edeltraut Herbold wohnt bereits seit 1990 in dem Haus, ihr zweiter Mann ist vor 20 Jahren eingezogen. Sie habe damals in Oppenweiler bleiben wollen und die Wohnung sei günstig gewesen, erzählt die 60-Jährige. Dass jeden Tag rund 20 000 Fahrzeuge an ihrem Fenster vorbeirollen, stört das Ehepaar kaum.
Tatsächlich ist es im Wohnzimmer weniger laut als erwartet. Durch die Schallschutzfenster mit Doppelverglasung dringt nur ein leises Rauschen. Lauter wird es, wenn ein Lastwagen mit quietschenden Bremsen vor der nahen Ampel hält oder wenn Polizei und Rettungsdienst mit Martinshorn zum Einsatzort fahren. Aber an solche Geräusche hätten sie sich längst gewöhnt, versichern die Herbolds, die im Sommer sogar manchmal bei offenem Fenster schlafen. Die Glocken der Jakobuskirche hätten ihn am Anfang mehr gestört als der Verkehrslärm, erinnert sich Walter Herbold. Mittlerweile hört er aber auch die nicht mehr.
Laut kann es allerdings im Garten werden, auch wenn der hinter dem Haus liegt. „Da muss man sich schon manchmal anschreien“, räumt Edeltraut Herbold ein. Seit die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der Ortsdurchfahrt auf 30 Kilometer pro Stunde reduziert wurde, sei es aber besser geworden. Am liebsten wäre es dem Ehepaar natürlich, wenn Oppenweiler endlich eine Ortsumgehung bekäme. Die war schon im Gespräch, als Edeltraut Herbold vor 34 Jahren die Wohnung kaufte, gebaut wurde sie allerdings bis heute nicht. kf
Kein Bedürfnis nach Ritualen der Ruhe
Lärm ist für Marcel Dolpp ein ständiger Begleiter. „Alles, was laut ist“, sagt er lachend, wenn er nach den Arbeitsgeräten gefragt wird, mit denen er für das Aspacher Bauunternehmen Lukas Gläser sein Tagwerk erledigt. Ein besonderes morgendliches Ritual der Ruhe hat der 26-Jährige trotzdem nicht, denn „ich bin Langschläfer und dann geht es schnell auf die Baustelle“.
Seine Einsatzorte als Fachkraft im Bereich der Bau- und Betonsanierung sind vor allem Brücken, manchmal aber auch Treppen oder Schächte. Oft gilt es, alten Beton abzutragen, weil er schadhaft ist. Das geschieht mit einem gewaltigen Meißelhammer, im Baujargon ist von „Spitzen“ die Rede. „Das dürften knapp 100 Dezibel sein“, ordnet Marcel Dolpp diese Geräuschkulisse ein, die weniger durch die Maschine selbst, als durch den Kontakt des Meißels mit dem Beton und die dadurch entstehenden Vibrationen zustande kommt. Ein Wert, der bei einem Rockkonzert durchaus getoppt werden kann, aber das Spezielle auf dem Bau ist der Dauerlärm. „Man muss unbedingt einen Hörschutz tragen, sonst wird das Gehör auf längere Sicht auf jeden Fall geschädigt“, erklärt Marcel Dolpp, der von seinem Arbeitgeber wie alle Mitarbeiter einen individuell angepassten Hörschutz gestellt bekommt.
Noch lauter wird es, wenn die Dienste des Hochdruckwasserstrahlgeräts gefordert sind, um den Untergrund so vorzubereiten, dass später neuer Beton aufgetragen werden kann. Weil hierbei Werte zwischen 300 und 2 500 Bar erreicht werden, „muss man zudem einem großen Druck standhalten“. Anstrengend sind Marcel Dolpps Arbeitstage also meistens, mal etwas mehr und mal etwas weniger. Ihm macht das aber nichts aus, zumal sie „sehr vielfältig“ sind.
Weil der Hörschutz vieles abfängt und den Lärm den ganzen Tag dämpft, hat er auch nach Feierabend kein besonderes Bedürfnis nach Stille. Es geht zum Fußball oder ins Fitnessstudio, erst danach gönnt sich Marcel Dolpp manchmal Momente der Ruhe. Wo? „In der Sauna oder auf dem Sofa – je nachdem, worauf ich Lust habe.“ Und am nächsten Tag geht es wieder von vorne los. stg
Kinder dürfen auch mal laut sein
Als Leiterin der Kindertagesstätte Burgblick in Oppenweiler ist Carmen Blank ein geräuschvolles Umfeld gewohnt. Doch Lärm ist für die Erzieherin nichts per se Schlimmes, was immer um jeden Preis vermieden werden sollte. „Kinder dürfen auch mal laut sein. Wir schaffen bewusst Zeit und Raum für Bewegung und fürs Austoben. Das ist extrem wichtig“, erklärt Carmen Blank. Auch die Erzieherinnen sollten sich selbst dem Lärm weniger entziehen, sondern auch für Gelegenheiten sorgen, die Kinder zur Ruhe kommen zu lassen und ein leiseres Umfeld zu erleben. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kinder ja demselben Lärm ausgesetzt sind und viele können damit weniger gut umgehen.“ Darum müsse ein entsprechender Ausgleich stets geschaffen werden.
Dafür schätzt sie die großen Räumlichkeiten der Kita und die Flexibilität ihres Teams sehr. „Wir haben den Luxus uns aufzuteilen und können damit gleichzeitig mal ruhigere und mal lautere Aktivitäten mit den Kindern machen. Da kann man sich auch absprechen, wer welche Geräuschkulisse bevorzugt.“ An ihrem früheren Arbeitsplatz in einer Kita in Stuttgart zeigte zeitweise eine Lärmampel den Geräuschpegel im Raum an. So eine Ampel habe den Erzieherinnen und Erziehern das Thema stetig präsenter gemacht. „Da konnten wir mehr drauf achten, dass sich die Kids vormittags auspowern können und man so eventuell für ein ruhigeres Mittagessen sorgen konnte“, erinnert sich Carmen Blank. Es sei jedoch nie zielführend, in ohnehin bereits lauten Situationen zu versuchen, die Kinder zu übertönen. Das weiß die Erzieherin nach 20 Jahren Arbeitserfahrung in ihrem Beruf, den sie sehr gerne ausübt.
Auch im Privatleben habe sie kein größeres Bedürfnis nach Ruhe. „Daheim geht’s ja gerade so weiter und das ist auch voll in Ordnung. Ich erhole mich, indem ich mit meinen beiden Töchtern etwas bastle oder mit ihnen spiele“, so Carmen Blank. cai