Leere Köpfe, volle Hosen
Die Linke will den Fall in die Bedeutungslosigkeit verhindern – und streitet erbittert.
Von Eidos Import
Was macht eine Partei, die nicht mehr an sich selbst glaubt? Sie warnt vor dem finalen Absturz, vor einer irreparablen Selbstzerstörung und dem freien Fall in die politische Bedeutungslosigkeit. Zugleich fleht sie um neue belastbare Geschlossenheit, ruft nach einem großen Aufbruch und Konzentration auf inhaltliche Schwerpunkte. Die Delegierten der Linkspartei, die an diesem Wochenende in Halle zusammenkommen, wissen, dass sie mit einem hoffnungsvollen Lebenszeichen beweisen müssen, dass mit der Linken noch zu rechnen ist. Große Zweifel, ob das gelingt, machen selbst in den eigenen Reihen ihre Runde.
Noch immer steht die Partei unter Schock. Das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der letzten Bundestagswahl, das nur drei gewonnene Direktmandate mühsam verhindern konnten, das Desaster bei der Europawahl, der frustrierende Rücktritt des überforderten Vorsitzendenduos Janine Wissler und Martin Schirdewan, die Abspaltung der obendrein erfolgreichen Sahra-Wagenknecht-Vasallen, der damit verbundene Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag, zuletzt die deprimierend schwachen Ergebnisse in drei ostdeutschen Landtagswahlen: Alles das würde selbst besser aufgestellte Parteien in existenziellen Zugzwang bringen. Ob die Delegierten damit umgehen können, ist nicht ausgemacht. Denn viel zu viele Köpfe sind leer, und viel zu viele Hosen sind voll.
Ob ein personeller Neuanfang an der Parteispitze gelingt, schon das ist fraglich – ebenso wie das Ergebnis für den 63-jährigen Ex-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken und die 35-jährige Journalistin Ines Schwerdtner ausfallen mag. Beide sind eine Notlösung. Schwerdtners Parteibuch ist noch druckfrisch. Die designierte Chefin sieht sich Videoaufnahmen von vergangenen Parteitagen an, um etwas von dem mitzubekommen, was ihr möglicherweise in Halle blüht. Auch das zeigt: Nicht nur inhaltlich wirken die Angebote der Linkspartei dürftig.
Als ob das alles nicht genug wäre, ist die Linkspartei mit ihren rund 50 000 Mitgliedern auf bestem Weg, sich an zwei neuen Fronten zu zerlegen. Traditionell getrieben zwischen ihren kontroversen Strömungen und Flügeln, zwischen Kommunistischer und Ökologischer Plattform, Antikapitalistischer, Sozialistischer und Emanzipatorischer Linken, Bewegungslinken, dem Forum Demokratischer Sozialismus, dem Netzwerk Reformlinke, dem Marxistischen Forum oder dem Sozialistischen Dialog. Noch immer entfremdet durch westdeutsche Interessen und ostdeutsche Verankerung, durch pragmatisches Mitregieren-Wollen und dem Ruf, eine neue sozialistische Gesellschaft zu errichten. Mit austauschbaren antikapitalistischen Positionen überdies, die auch von Wagenknecht, dem linken SPD-Flügel oder der Grünen Jugend vehement und medienwirksamer vermarktet werden.
Das Ringen um eine klare Botschaft, die das russische Putin-Regime als Kriegstreiber beim Namen nennt, treibt einen weiteren Keil in die sich auflösenden Reihen. Und selbst über einen glaubwürdigen und anständigen Kurs gegen den Antisemitismus entbrannte vor wenigen Tagen in Berlin ein bitterer Streit, der auch das Treffen in Halle zu überlagern droht. In Berlin verhinderte eine Mehrheit der Delegierten unter anderem eine Antragsformulierung, jüdische Menschen „unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel“ zu schützen. Eine konkrete Distanzierung von nachweislichem Juden-Hass „links verorteter Menschen“ und die Forderung nach deren „konsequenter Strafverfolgung“ wurde ebenso abgelehnt.
Und so zieht die Linkspartei los. Zum letzten Gefecht?