Leicht bekleidete Damen und Herren inklusive

Es braucht mehr als „Nadelstiche“, um des Phänomens der Clan-Kriminalität Herr zu werden

Ahmad Miri, Sprössling einer libanesischen Großfamilie, die Berlin in Angst und Schrecken versetzt, schmunzelte selbst über seine Antwort: „Ich lebe vom Sozialamt“, sagte er dem Reporter des ZDF. Im feinen Zwirn navigierte Miri eine BMW-Limousine der 7er-Serie durch den Verkehr der Hauptstadt. Schnell schob er nach, dass das Auto selbstverständlich nicht ihm, sondern einem Freund gehöre. Der Reporter begleitete den Mann mit dem akkurat getrimmten Bart zu seinen vielen inoffiziellen Beschäftigungen als Arbeitsloser: dubioser Inkassounternehmer, Haupt einer Gang, die sich auf Drogen- und Frauenhandel spezialisiert haben soll, Friedensrichter, der Konflikte muslimischer Familien in Berlin beilegt – und überall kassiert.

Etwa zwanzig kriminelle Großfamilien, so schätzen Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA), gibt es in Deutschland. Es handelt sich dabei vor allem um arabisch-libanesisch-türkische Großfamilien. Hinzu kommen Clans aus Russland, Tschetschenien, Albanien, dem Kosovo, Georgien, Bulgarien, Rumänien, Italien und Serbien. 200 000 Personen rechneten BKAler im Jahre 2015 dem Kreis zu, aus dem sich die Kriminellen rekrutieren. Das heißt: Nicht alle davon sind Straftäter, doch viele von ihnen haben mit Verbrechen zu tun oder decken diese zumindest. Viele von ihnen kamen in den 1980er und 1990er Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland. Am Wochenende wollten Nordrhein-Westfalens Sicherheitsbehörden und ihr Innenminister Herbert Reul (CDU) der organisierten Clan-Kriminalität nun „Nadelstiche“ versetzen. Alleine diese Wortwahl ist verräterisch: Nadelstiche lösen kein Problem. Sie taugen allenfalls dazu, die Kreise der Clans zu stören, lästig zu sein.

Viel zu lange haben Politiker wie Sicherheitsexperten weggeschaut, wenn Clanchefs vor allem in Berlin, in Bremen und im Westen der Republik Parallelgesellschaften aufgebaut haben. Zu lange ist auf dem Rücken der Polizei gespart worden: Dass bundesweit 15 000 Polizeibeamte fehlen, ist inzwischen keine Warnung von Gewerkschaftsfunktionären mehr, sondern allgemeiner parteiübergreifender Konsens unter Innenpolitikern.

Erst im vergangenen Jahr räumte das BKA in einer Analyse ein, dass sich bei Clans in Deutschland „unter Missachtung der vorherrschenden staatlichen Strukturen, deren Werteverständnis und Rechtsordnung eine eigene, streng hierarchische, delinquente Subkultur“ gebildet hat. Konkret: In manchen Stadtteilen Berlins überlegen sich Polizisten zweimal, ob sie eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit ahnden.

Eine Anwältin des herrschenden Berliner Remmo-Clans sagte im vergangenen August, ihre Mandanten betrachteten Deutschland als „Beutegesellschaft“. Diese Überzeugung muss der Rechtsstaat mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen. Und mit Laufbahnen, die es darauf spezialisierten Ermittlern möglich machen, im Fachgebiet organisierte Kriminalität – wie auch in anderen speziellen Ressorts – Karriere zu machen: Nur so bleibt mühevoll erworbenes Wissen um Strukturen nachhaltig verfügbar. Gleiches gilt für Staatsanwälte und Richter.

Sind Clan-Mitglieder verurteilt und haben keine deutsche Staatsangehörigkeit, müssen sie unverzüglich nach ihrer Haftzeit abgeschoben werden. Das Wichtigste aber: Den Clans müssen Politiker wie Ermittler mehr als nur „Nadelstiche“ versetzen. Dazu passt ganz gewiss nicht, dass Innenminister Reul am Sonntagmorgen bei der Razzia in einer Duisburger Diskothek mit Besuchern für Selfies posierte – leicht bekleidete Damen und Herren inklusive.

franz.feyder@stuttgarter-nachrichten.de

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Erstellt:
15. Januar 2019, 03:14 Uhr

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