Tag gegen Gewalt an Frauen - Interview mit der Frauenbeauftragten
Leni Breymaier: „Wir haben die Tradition, Dinge zu verharmlosen“
Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Die Frauenbeauftragte Leni Breymaier (SPD) sieht die weiter steigenden Zahlen an Gewalttaten gegen Frauen und die vermehrten Femizide kritisch.
Von Sandra Hartmann
Laut einer aktuellen Studie des Bundeskriminalamtes (BKA) stirbt in Deutschland durchschnittlich eine Frau pro Tag durch Femizid. Alle drei Minuten wird ein Mann gegenüber einer Frau gewalttätig. In Sorgerechtsverfahren bekommen zahlreiche Mütter ihre Kinder abgesprochen. Wie die Politik mit neuen Gesetzen gegensteuern will, erklärt Leni Breymaier im Interview.
Viele Frauen hoffen auf die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes, das unter anderem mehr Plätze in Frauenhäusern schaffen soll. Doch derzeit ist in Berlin vermutlich jetzt erst einmal alles auf Neuwahlen ausgerichtet.
An dem Gewalthilfegesetz wird seit Jahren gearbeitet. Mit der Istanbul-Konvention haben wir uns international verpflichtet, dass jede Frau ein Recht auf Schutz und Hilfe hat, wenn sie Opfer von Gewalt wird. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir uns als Bund an der Finanzierung der Frauenhäuser beteiligen wollen. Die originäre Zuständigkeit für Gewaltschutz und Hilfe liegt aber bei den Ländern. In den letzten Jahren ging es in den Gesprächen mit den Ländern darum, dass es nicht sein kann, dass der Bund in die Finanzierung einsteigt und die Länder sich einen schlanken Fuß machen, sondern dass auch die Länder sich stärker engagieren müssen. So entstand das Gewalthilfegesetz, das am Mittwoch im Kabinett sein wird. Vielleicht schaffen wir die Verabschiedung also tatsächlich noch.
Vergangene Woche wurden die aktuellen Zahlen zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland veröffentlicht.
Ich hatte vor drei oder vier Jahren eine Rede zu diesem Thema gehalten. Damals gab es statistisch gesehen jeden dritten Tag eine Frau, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurde. Letztes Jahr waren wir schon bei jedem zweiten Tag. Nach den neuen Zahlen muss man sagen, dass es im Durchschnitt jeden Tag einen Femizid in Deutschland gibt. Hinzu kommen Gewaltdelikte in allen Formen gegen Frauen. Das fängt bei Belästigung an.
Was würde sich denn konkret ändern mit diesem Gesetz für die Betroffenen?
Konkret ändern würde sich, dass wir in Deutschland eine ausreichende Anzahl von Frauenhausplätzen bekommen würden. Wenn Sie Gewalt erleben, haben Sie vielleicht die Möglichkeit, zu einer Freundin oder zu einer Verwandten zu gehen. Vielleicht können Sie sich auch leisten, in eine Pension zu gehen. Wenn das alles nicht der Fall ist und Sie keine Zufluchtsmöglichkeit haben, geht es darum, dass Sie einen Platz im Frauenhaus bekommen. Und da haben wir einfach völlig unzureichende Plätze.
Zumal diese Plätze für die Betroffenen auch nicht kostenfrei sind.
Genau. Auch das soll sich mit dem Gesetz ändern. Was aber auch ein wichtiger Punkt ist: nicht nur Plätze anzubieten, sondern auch Beratung. Es nützt ja nichts, wenn man die Betroffenen im Frauenhaus verwahrt, sondern es geht ja auch darum, dass sie auch aus dieser Gewaltsituation herauskommen müssen. Die Frauen haben vielleicht Kinder, finanzielle Verpflichtungen. Es geht um emotionale Abhängigkeiten. Es geht auch noch einmal um die Definition von Gewalt. Was ist Gewalt? Gewalt ist natürlich einmal die körperliche. Das ist das, was man sieht. Das zweite ist psychische Gewalt, wenn die Frauen heruntergemacht, erniedrigt, klein gemacht werden, ihr Selbstbewusstsein praktisch zerbröselt wird. Dann gibt es noch die ökonomische Gewalt. Also Dinge wie Geld vorenthalten oder Zugang zu Konten sperren. Man sollte es auch mal wagen, die Perspektive zu wechseln. Es geht einmal darum, dass den Frauen alle drei Minuten irgendwie Gewalt angetan wird in Deutschland. Aber man könnte auch sagen: Alle drei Minuten wird ein Mann zum Täter. Wir können ja die ganze Debatte nicht ohne die Männer führen.
Und letzten Endes geht es doch eigentlich auch um den Kern einer Frau, um das Selbstwertgefühl. Viele Frauen ertragen Gewalt in welcher Form auch immer viel zu lange. Welches Rollenverständnis leben wir in Deutschland vor?
Da wären wir bei der wichtigen Frage: Was leben wir auch unseren Kindern tagtäglich vor? Wie geht der Vater mit der Mutter zu Hause um? Wenn der Vater abends nach Hause kommt, er als erstes das Kind, als zweites den Hund begrüßt und als drittes seine Frau – welchen Stellenwert hat diese Frau in dieser Familie? Begrüßt der Vater als erstes liebevoll seine Frau und danach den Rest des Haushalts, macht das etwas mit dem Bild der Kinder von Partnerschaften.
Oder auch: Wie geht mein Partner mit seiner Mutter um? Wertschätzend oder abwertend?
Wir können den Kreis auch weiterziehen. Wir wird in unserer Gesellschaft die Frau in den Medien dargestellt – oder, ganz präzise, in Pornos? Das Durchschnittseinstiegsalter zum Konsum von harten Pornos in Deutschland liegt bei zwölf Jahren. Hier sehen Kinder, wie Frauen überwiegend gedemütigt und klein gehalten werden und wie ihnen Gewalt angetan wird. Das macht auch etwas mit einer Gesellschaft. Wir haben 14-jährige Mädchen, die gehen zu ihrer Gynäkologin und sagen: „Ich mag keinen Analverkehr. Bin ich normal?“
Auch die Presse trägt ihren Teil dazu bei, wie über gewisse Dinge, wie etwa auch, über Femizide, berichtet wird. Viele Medien scheuen noch immer diesen Begriff.
Femizid ist halt sprachlich bei uns in der Gesellschaft kurz vor Gender. Wir haben ja auch eine lange Tradition, die Dinge zu verharmlosen. Bislang war es dann eben ein Ehedrama oder eine Familientragödie. Es geht tatsächlich darum, dass man nicht verharmlost, sondern verschärft. Immerhin ist es uns in dieser Legislaturperiode gelungen, die Femizide strafrechtlich zu verschärfen.
Die Haftstrafen werden dementsprechend diesbezüglich künftig höher ausfallen?
Das wird dann als Mord aus niederen Beweggründen definiert. Femizide werden damit künftig härter bestraft.
Auch bei Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt kommen Täter in Deutschland immer noch häufig mit einer vergleichsweise milden Haftstrafe davon. Zudem gibt es zahlreiche Sorgerechtsverfahren, in denen Frauen immer noch geraten wird, nicht über die häusliche Gewalt in der Ehe zu sprechen. Andernfalls wird ihnen eine Bindungsintoleranz gegenüber dem Vater unterstellt - und die Kinder werden dann aufgrund dieser Bindungsintoleranz gegenüber dem Vater - also dem Täter - unplatziert.
An diesem Punkt ist es wirklich schade, dass die Ampel gekracht ist. Marco Buschmann [Anm. d. Red.: bis November 2024 Bundesjustizminister, FDP] hatte das tatsächlich in der Pipeline, dass Gewalt in der Ehe im Unterhaltsrecht und im Sorgerecht viel stärker berücksichtigt wird. Diese Problemfelder sind jetzt jedenfalls in der Politik angekommen.
Eine Frau, die sich Red Flags auf die Fahnen geschrieben hat
Leni BreymaierLeni Breymaier, geboren am 26. April 1960 in Ulm, ist eine deutsche Politikerin (SPD), Gewerkschafterin und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2008 bis 2016 war sie Mitglied ohne Befähigung zum Richteramt am Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg. Von 2016 bis 2018 war sie zudem Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg. Bei der Bundestagswahl 2017 kandidierte sie im Bundestagswahlkreis Aalen – Heidenheim sowie auf Platz eins der SPD-Landesliste. Über die Landesliste zog sie daraufhin in den Deutschen Bundestag ein. Breymaier ist Mitglied im Familienausschuss und Frauenbeauftragte.