Regierungsbildung
Letzter Anlauf für Arizona in Belgien
Über ein halbes Jahr nach der Wahl ist das Land noch immer ohne Regierung. Nun wollen sich fünf Parteien doch noch vor Weihnachten auf eine Koalition einigen.
Von Knut Krohn
Die Belgier haben die Nase voll von ihren streitenden Politikern. Seit mehr als sechs Monaten schaffen es die zerstrittenen Parteien nicht, eine Regierung zu bilden. Im Laufe des Wahlkampfes haben sie sich so tief in ihren ideologischen Schützengräben eingebunkert, dass selbst die einfachsten politischen Kompromisse unmöglich scheinen.
In einer Umfrage hat sich jetzt weit über die Hälfte der Befragten dafür ausgesprochen, dass es in Zukunft zwingend zu Neuwahlen kommen muss, sollte nach einem halben Jahr keine Regierung stehen. Der Ärger der Belgier ist verständlich, denn sie sind in Sachen Koalitionsverhandlungen leidgeprüft. Nach der Wahl 2019 stand die Regierung in Brüssel erst nach 493 Tagen. 2010 vergingen zwischen dem Wahltag und der Vereidigung der neuen Koalition sogar 541 Tage. Nicht nur Spötter behaupten, dass das Land von der damaligen Expertenregierungen aus Beamten und anderen Fachleuten noch nie so gut verwaltet worden sei.
Die Frustration der Belgier ist groß
Die Frustration der Belgier ist aktuell besonders groß, weil die Chance auf eine Einigung nie so greifbar war. Bei den Wahlen im Juni haben sich in den beiden traditionell rivalisierenden Landesteilen zum ersten Mal Parteien durchgesetzt, die politisch auf einer Wellenlänge liegen. In Flandern gewann die national-konservative N-VA, in der Wallonie die Liberalen. Ziel beider Parteien ist den Abbau der horrenden Schuldenlast Belgiens – auch durch tiefe Einschnitte in den ausufernden Sozialstaat. So soll die lahmende Wirtschaft wieder auf Trab gebracht werden.
Mit dem Antwerpener Bürgermeister Bart de Wever stand zudem der prädestinierte Premierminister bereit, der sich auch sofort an die Arbeit machte, eine Regierung zu schmieden. Vollmundig verkündete der Hoffnungsträger, dass er nicht nur das Land von Grund auf sanieren, sondern auch eine dringend notwendige Staatsreform in Angriff nehmen werde, um den undurchdringlichen belgischen Föderalismus zu entzerren. Auch ein schmissiger Name für die mögliche Koalition war schnell gefunden: Arizona. Die Farben der fünf beteiligten Parteien erinnern an die Flagge des US-Bundesstaates. Doch schnell wurde der dynamische Flame auf den Boden der Realität zurückgeholt.
Nach fünf zähen Monaten scheiterten die Verhandlungen an den flämischen Sozialdemokraten. Die Partei Vooruit verweigerte sich vor allem dem Plan, große Vermögen und multinationale Konzerne stärker zu besteuern. Bart de Wever startete bilaterale Verhandlungen, bis sich die fünf Arizona-Parteien nun dazu durchgerungen haben, doch wieder gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. In den kommenden Tagen werde erneut Kapitel für Kapitel durchgearbeitet, heißt es aus Vermittlerkreisen.
Mit leeren Händen beim König
Am 20. Dezember soll Bart de Wever dem belgischen König Philippe Bericht erstatten über die Fortschritte der Verhandlungen, wie er das bereits über ein Dutzend Mal gemacht hat und immer mit leeren Händen vor den Monarchen treten musste. Vielleicht kann der 53-Jährige dem König kurz vor Weihnachten eine frohe Botschaft überbringen. Es wäre 224 Tage nach der Wahl für belgischen Verhältnisse auf jeden Fall rekordverdächtig schnell.