Liberale Leerstelle
Der parlamentarische Niedergang der FDP hinterlässt eine Marktlücke in der Politik.
Von Armin Käfer
Stuttgart - Die Serie an Niederlagen reißt nicht ab: Auch in Hamburg bleibt die FDP unter dem parlamentarischen Existenzminimum. Ihr letztes Mandat in der Bürgerschaft der Hansestadt verlor sie 2024 mit dem Parteiaustritt der einzigen verbliebenen Abgeordneten. Die wechselte zur CDU – wie viele FDP-Wähler. Im Bundestag räumen die Freidemokraten gerade ihre Büros. Der Liberalismus hinterlässt in der politischen Landschaft eine Marktlücke.
Hamburg ist kein Einzelfall. Die FDP, die seit ihrer Gründung zum Inventar der Bundesrepublik gehört und auf nationaler Ebene 49 Jahre lang mitregiert hat, steckt in einer existenziellen Krise. Aus sieben der 16 Landesparlamente ist sie schon verschwunden. Bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen 2024 überzeugte sie maximal 1,1 Prozent der Wähler. Bei der Bundestagswahl vor einer Woche haben sich mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Anhänger von den Liberalen abgewendet. Der Mut zur Disruption, der unser Land das beschleunigte Ende der unbeliebtesten Regierung aller Zeiten verdankt, wurde nicht belohnt.
Auf Bundesebene tut sich die FDP seit geraumer Zeit schwer mit dem Regieren. Sie hat länger als die Union benötigt, um sich nach dem Ende der Ära Kohl zu erholen. Beim Comeback an den Schalthebeln der Macht agierte sie stümperhaft und ist 2013 krachend gescheitert. 2017 verweigerte sie den Eintritt in ein Jamaika-Bündnis. Mit der Ampel hat sie mehr gefremdelt als ihre Koalitionspartner – und musste für deren Bankrott schwerer büßen als die anderen.
Für die Malaise der FDP gibt es viele Gründe. Einer liegt auf der Hand: Das liberale Stammpublikum ist klein, volatil und neigt zur taktischen Wahl. Gerade dies dürfte die Freidemokraten bei der Bundestagswahl Stimmen gekostet haben. Zweitens: Seit ihrer parlamentarischen Wiederauferstehung 2017 war die FDP eine Einmannpartei.
Christian Lindner verdankte sie alles – freilich auch die stümperhaft inszenierte Flucht aus der Ampel und rhetorische Ausrutscher wie sein Ratschlag, Deutschland müsse „mehr Musk und Milei“ wagen. Lindner hatte sich während der „Schattenjahre“ im Abseits der Bundespolitik vorgenommen, seine Partei inhaltlich breiter aufzustellen – mit sehr begrenztem Erfolg. Allerdings verbleibt die FDP ohne Lindner kopflos. Ein Nachfolger ähnlichen Kalibers ist nicht in Sicht. Deshalb wird auch ein liberales Comeback nicht mehr so leicht gelingen wie 2017.
Die politische Großwetterlage begünstigt den Niedergang der FDP: Liberales Denken ist aus der Mode gekommen. Ihm haftet der Ruch des Neoliberalismus an, der „an fast jedem Übel dieser Welt schuld sein soll“, so der Soziologe Andreas Reckwitz. Viele führen das Wort Freiheit im Munde, meinen damit aber meist eine anspruchsvolle, aber risikolose Freiheit: die Freiheit von etwas – eine Emanzipation von Lästigkeiten. Freiheit bedeutet aber auch stets die Freiheit, etwas zu tun – eine Herausforderung, die Ermächtigung, Verantwortung zu übernehmen. Diese Freiheit steht nicht hoch im Kurs.
Im Bundestag bleibt ohne die FDP eine liberale Leerstelle. Links der Mitte herrscht Misstrauen gegenüber der innovativen Kraft des Wettbewerbs. Am rechten Rand wird Freiheit nur als die jeweils eigene Freiheit missverstanden. Wer auf Freiheit pocht, muss aber stets die Möglichkeit akzeptieren, dass auch andere recht haben könnten. Die Union hat unter der Regie des Kanzlers in spe ihren marktwirtschaftlichen Markenkern wieder neu entdeckt. Gerade in Zeiten einer großen Koalition, die zu sozialdemokratischen Kompromissen neigt, fehlt jedoch eine eigenständige liberale Stimme.