FDP-Vorsitzender
Lindner: „SPD und Grüne verfolgen das Kalkül, die FDP zu zerstören“
Kurz vor dem Dreikönigstreffen seiner Partei in Stuttgart macht FDP-Chef Christian Lindner SPD und Grünen schwere Vorwürfe. Mit Blick auf die Bundestagswahl warnt er: „Wenn sich die Politik nicht ändert, werden die Menschen 2029 die Systemfrage stellen.“
Von Tobias Peter und Igor Steinle
Kurz vor dem Dreikönigstreffen seiner Partei in Stuttgart warnt FDP-Chef Christian Lindner, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wären eine „Ampel light“. Der frühere Bundesfinanzminister fordert einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Herr Lindner, der US-Milliardär Elon Musk hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen „antidemokratischen Tyrannen“ genannt und wirbt für die Wahl der AfD. Was sagen Sie dazu?
Elon Musk ist der Beweis dafür, dass ein gestaltungswilliger Unternehmer nicht zwingend gutes Benehmen und politisches Urteilsvermögen hat. Die Frage stellt sich, welches Motiv er verfolgt. Es kann ihm nicht um das Wohl Deutschlands gehen. Denn einen Umbruch in der Wirtschaftspolitik, die Forderung nach Bürokratieabbau und Realismus in der Migration vertritt auch die FDP. Womöglich will er Deutschland im amerikanischen Interesse schwächen – durch die Wahlempfehlung für eine Partei, die uns wirtschaftlich schaden und politisch isolieren würde.
Sie haben – mit Blick auf die Wirtschaftspolitik – gesagt, Sie wollten mehr Musk wagen. Haben Sie das richtige Vorbild ausgewählt?
Da sprach ich nicht von Politik, sondern vom Mut, bisher nicht Vorstellbares anzugehen. Es kann kein Zweifel bestehen, unser Land dürstet nach grundlegenden Reformen.
Werden Sie Steuersenkungen zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung machen?
Ja. Die Ausdehnung und die Kosten unseres Staates sind aus dem Ruder gelaufen. Deshalb werden Bürger und Betriebe so belastet, dass der Lebensstandard gefährdet und die Wettbewerbsfähigkeit abgewürgt werden. Als Finanzminister habe ich versucht, was möglich war. Aber das reicht nicht. Für einen Aufschwung werden wir Menschen und der Wirtschaft mehr Raum geben müssen. Also Bürokratismus abbauen, Behörden wie das Umweltbundesamt auflösen, die grüne Klimapolitik mit ihren irrealen Subventionen realistisch gestalten. Es muss gelten: Bürokratie runter, Netto rauf.
Sie fordern, dass mehr gearbeitet wird. Sind die Deutschen zu faul?
Individuelle Faulheit ist nicht mein Vorwurf. Aber das Arbeitsvolumen insgesamt ist zu niedrig. Arbeit ist nicht nur eine Unterbrechung der Freizeit, sondern auch Quelle sozialer Teilhabe und des Gefühls, stolz auf etwas sein zu können. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Probleme der Kinderbetreuung gelöst werden, die zu ungewollter Teilzeit führen. Dass Menschen einen Anreiz haben, Überstunden zu leisten, indem wir den Zuschlag steuerfrei stellen. Und dass Menschen freiwillig länger arbeiten wollen, bevor sie in Rente gehen, weil es sich für sie lohnt.
Arbeitgeber beklagen die hohen Krankenstände.
Wir werden dafür belächelt, dass wir im weltweiten Vergleich so hohe Krankenstände haben. Das müssen wir ändern, indem wir die Möglichkeit der telefonischen Krankmeldung abschaffen. Das ursprüngliche System mit dem Arztbesuch war besser.
Ökonomen sprechen von riesigen Kosten Ihres Wahlprogramms, in dem starke Steuersenkungen vorgesehen sind. DIW-Chef Marcel Fratzscher kommt auf 138 Milliarden Euro. Wie wollen Sie das ohne Reform der Schuldenbremse schaffen?
Unser Programm zeigt, was bei einem Politikwechsel möglich wäre. Beispiel Klimapolitik: Wir verlieren Milliarden Euro, um Technologien wie den Verbrennungsmotor abzuschaffen, damit Deutschland schon 2045 klimaneutral ist. Gewonnen wird dadurch nichts, weil das EU-Ziel 2050 ist. Wir machen es anderen leichter. Wenn wir Subventionen streichen, die Klimapolitik ändern, die irreguläre Migration ordnen und das Bürgergeld reformieren, dann haben wir für Bildung, Bundeswehr, Polizei, Infrastruktur genug Mittel. Erst recht, wenn die Wirtschaft anspringt und man die Entlastungen schrittweise anlegt.
Wie schnell?
Etwa im Laufe einer Wahlperiode. Als Finanzminister habe ich vorgerechnet, dass das Auslaufen des Solidaritätszuschlags und die Senkung der Körperschaftsteuer finanzierbar wären. Man könnte zudem jedem Steuerzahler das von der Lohnsteuer verschonte Einkommen rasch um bis zu 1000 Euro erhöhen, wenn das Bürgergeld grundlegend reformiert wird. Das wäre mehr Fairness, weil der Abstand zwischen Arbeitseinkommen und Staatstransfer größer würde.
Deutschland muss künftig mehr Geld für Verteidigung und die Infrastruktur ausgeben. Verhindern Sie mit dem Nein zur Reform der Schuldenbremse die Modernisierung des Landes?
Nein. Die Schuldenbremse ist Teil der Sicherheitspolitik, weil Deutschland für den Fall von Krisen immer Reserven haben muss. Man muss zudem europäisch denken: Wenn wir die Fiskalregeln in Frage stellen, dann würden andere erst recht Schulden machen. Die Vorschläge von Robert Habeck, den EU-Stabilitätsvertrag in Frage zu stellen, wäre eine Einladung an Kräfte in Frankreich, das Fundament des Euro zu unterspülen.
Das Nein von Unionskandidat Friedrich Merz zu einer Reform der Schuldenbremse ist nicht in Stein gemeißelt. Schließen Sie eine Reform definitiv aus und sagen: „Besser nicht regieren, als falsch regieren“?
Dafür, dass ich nicht bereit bin, mich an der Schuldenbremse vorbei zu mogeln, hat Herr Scholz mich entlassen. Die Schuldenbremse stellen nur diejenigen in Frage, die zu feige sind, die Wahrheit über die Überdehnung unseres Staates auszusprechen. Wir haben genug Geld. Wir dürfen die junge Generation nicht weiter belasten.
Sie haben mehrfach gesagt, Deutschland brauche einen „echten Agenda-Moment“. War es ein Fehler, dass die FDP dem Bürgergeld zugestimmt hat?
Das Bürgergeld war kein Fehler, weil wir linksgrüne Politik gemacht haben, sondern weil die praktischen Konsequenzen anders waren als erwartet. Deshalb haben wir auf Korrekturen gedrungen, die noch nicht durchgesetzt sind. Da das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist, muss schon der Name weg. Er erweckt den falschen Eindruck, es solle Unterstützung für diejenigen geben, die sich nicht anstrengen wollen.
Was ist der wichtigste Punkt, den Sie am Bürgergeld ändern wollen?
Erstens muss die Vermittlung in Arbeit Priorität haben. Zweitens muss es automatisch Sanktionen geben, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Drittens muss Schwarzarbeit geahndet werden. Viertens ist der Regelsatz zu hoch, weil die Inflation niedriger ist als gedacht. Und fünftens soll es für die Kosten der Unterkunft, also Miete und Nebenkosten, regional unterschiedliche Pauschalen geben.
Das würden bedeuten, Menschen müssten aus Ihrer Wohnung raus, wenn sie zu teuer ist.
Sie beschreiben es hart. Man kann freundlicher sagen, dass wir den Anreiz erhöhen, wieder einen Job anzunehmen, um die Steuerzahler zu entlasten.
Sie setzen auf Schwarz-Gelb. Müssen künftige Koalitionspartner nicht befürchten, dass die FDP heimlich den Ausstieg aus der Regierung vorbereitet, wenn es mal nicht läuft?
Mal nicht läuft? Die Regierung Scholz hatte die Akzeptanz der Bürger verloren, weil die Ampel angesichts der Wirtschaftskrise keine Lösung gefunden hat. Es sollte nicht erneut eine Koalition gebildet werden, in der unvereinbare Positionen zusammenarbeiten müssen. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wäre eine Ampel-light. Die Sorge um ihre Zukunft treibt Wähler an die Ränder. 2025 ist eine Vorentscheidung für 2029. Wenn sich die Politik nicht ändert, werden die Menschen 2029 die Systemfrage stellen. Das will ich verhindern. Unsere Politik muss sich ändern, nicht der liberale Charakter unserer Demokratie.
Schließen Sie eine Koalition mit den Grünen nach der nächsten Bundestagswahl aus, etwa in einer Jamaika-Koalition?
Die Parteigremien haben sich mit Koalitionsfragen noch nicht beschäftigt. Dem greife ich nicht vorweg.
Bleiben Sie angesichts der Konkurrenz durch eine ebenfalls wirtschaftsliberale Merz-CDU bei Ihrem zweistelligen Wahlziel?
Wir haben das zweimal hintereinander erreicht. Was die CDU angeht: Sie nimmt immer die Farbe ihres Koalitionspartners an. Vize-Vorsitzende Prien zeigt sich offen für Steuererhöhungen. Kanzlerkandidat Merz denkt über Reformen bei der Schuldenbremse nach, obwohl er immer das Gegenteil vertreten hat. Und es gibt eine Offenheit für Habecks Wirtschaftspolitik. Wer das nicht will, muss FDP wählen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai musste zurücktreten, weil er fälschlicherweise gesagt hatte, das Wort „D-Day“ sei im Zusammenhang mit Koalitionsausstiegsplanungen nie gefallen. Können Sie verstehen, wenn es Außenstehenden jetzt schwerfällt, den Rest der FDP-Version vom Koalitionsende zu glauben?
Unsere Fehler relativiere ich nicht, aber die historischen Tatsachen sind so eindeutig, dass es da keine unterschiedlichen Versionen geben kann. Scholz hat von mir ultimativ verlangt, gegen die Schuldenbremse zu verstoßen und gleichzeitig einen Stillstand in der Wirtschaftspolitik zu akzeptieren. Danach hat man nie wieder etwas von der Notlage gehört, die er gefordert hat. Das sagt doch alles. Das Angebot der FDP war dagegen, neue Politik zu machen oder gemeinsam Neuwahlen wie 2005 herbeizuführen.
Sie haben zum „D-Day“-Papier aus der FDP-Zentrale gesagt, Sie hätten es „nicht zur Kenntnis genommen“. Kann das auch heißen, dass es womöglich doch auf Ihrem Schreibtisch lag oder sich in Ihren Mails befand? Oder schließen Sie das aus?
Das hatte ich schon längst ausgeschlossen. Im Übrigen, nochmals gesagt, war das Handeln anders als in diesem Papier der Parteizentrale. Es handelt sich hier um ein eiskaltes Ablenkungsmanöver, um von der katastrophalen Wirtschaftspolitik der Herrn Scholz und Habeck abzulenken. SPD und Grüne verfolgen das Kalkül, die FDP zu zerstören – damit sie selbst als linke Parteien dauerhaft an der Regierung beteiligt sind.
Sie werden in diesem Jahr Vater. Bereiten Sie sich darauf vor? Oder lassen Sie es auf sich zukommen?
Meine Freunde mit Kindern sagen mir, dass man sich auf diese Magie nicht wirklich vorbereiten konnte. Über meine Freunde und als Patenonkel habe ich ein Gefühl, aber eigene Kinder sind ohne Zweifel etwas anderes. Wenn der eigene Wunsch, eine Familie zu gründen, in Erfüllung geht, dann ist das eines der wichtigsten Ereignisse des Lebens.
Was für ein Vater wollen Sie sein?
Das, was ich selbst erlebt habe, möchte ich weitergeben. Nämlich das Gefühl von Liebe und Geborgenheit, egal was passiert. Ich konnte in meinem Leben beruflich und politisch viel wagen, weil immer klar war: Es gibt eine Familie, die dich um deiner selbst willen liebt. Egal, ob man Erfolg hat oder scheitert. Das ist die Ur-Erfahrung, die ich weitergeben möchte.
Und wissen Sie schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?
Ja, aber das ist noch das schöne Geheimnis meiner Familie.
ParteichefChristian Lindner (45) ist seit Dezember 2013 Vorsitzender der FDP. Damit ist er länger im Amt als jeder andere Chef der im Bundestag vertretenen Parteien. Lindner ist auch Rekordvorsitzender der FDP, länger im Amt als einst Hans-Dietrich Genscher.
Ex-FinanzministerBis zum Bruch der Ampelkoalition war Lindner Bundesfinanzminister im Kabinett von Olaf Scholz. Er führt die FDP erneut als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl.