Linken-Chef van Aken

Linken-Chef: „Ein Diktatfrieden wäre das schlimmstmögliche Ergebnis“

Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Linken-Vorsitzende Jan van Aken über die Ukraine, die Bundeswehr und die neue Euphorie in der Partei.

Will die Euphorie in der Partei weiter befeuern: Linken-Chef Jan van Aken.

© dpa/Christoph Soeder

Will die Euphorie in der Partei weiter befeuern: Linken-Chef Jan van Aken.

Von Norbert Wallet

Nach ihrem überraschend guten Wahlergebnis und dem Zustrom vieler neuer Mitglieder muss sich die Linke neu sortieren. Wir sprachen mit Parteichef Jan van Aken über die künftige programmatische Ausrichtung und das linke Verhältnis zur Bundeswehr.

Herr van Aken, der Bundestag hat nun ein Sondervermögen von einer halben Milliarde Euro für Infrastruktur beschlossen. Die Linke hat solche Investitionen immer gefordert. Sie müssten sehr zufrieden sein…

Den 500 Milliarden hätten wir auch zugestimmt, wenn darüber einzeln abgestimmt worden wäre. Aber leider ist damit die Chance auf eine grundsätzliche Veränderung der Schuldenbremse nun massiv gesunken. Die soll noch geprüft werden, aber es gibt keinen Druckpunkt mehr. Die Union will sie nicht, und deshalb wird sie auch nicht kommen. Das ärgert mich. Deshalb hatten wir geklagt. Wäre das Finanzpaket im neuen Bundestag verhandelt worden, hätte es diese Chance gegeben.

Ihr Nein zur Grundgesetzänderung liegt ja vor allem an den massiven Investitionen in die Bundeswehr. Wie fühlt es sich für einen Linken an, wenn wir alle darauf hoffen müssen, dass ausgerechnet Donald Trump einen Verhandlungsfrieden erreicht?

Die Hoffnung habe ich gar nicht, er scheint ja höchstens einen Diktatfrieden zu erreichen. Was wir bisher sehen, ist der Versuch der USA, sich an der Situation zu bereichern, auch wenn dabei die Ukraine unter den Bus geworfen wird. Erreicht hat Trump bisher nichts. Ein Diktatfrieden wäre das schlimmstmögliche Ergebnis, denn das hieße, dass das Völkerrecht mit Füßen getreten würde. Trump ist ins Lager der Autokraten gewechselt. Das ist schlecht für die Ukraine und den Weltfrieden.

Sind Sie der Meinung, dass die Bundeswehr gar keine Art von Ertüchtigung braucht?

Es braucht eine Veränderung bei der Bundeswehr. Dafür muss auch Geld in die Hand genommen werden. Aber das Geld ist da, es braucht keine neuen Milliardenpakete. Die aktuelle Diskussion ist sehr verlogen. Jeder, der zusätzliche Milliardensummen fordert, müsste eigentlich immer dazu sagen, worum es ihm geht: nämlich die Bundeswehr weltweit schlagkräftig zu machen. Stattdessen wird immer nur der Schutz vor Russland angeführt. Bevor wir über Geld reden, müssen wir über Ziele und Aufgaben der Bundeswehr reden. Wir Linken wollen eine Bundeswehr, die ausschließlich für die EU- und Landesverteidigung zuständig ist. Sonst nichts. Die anderen wollen auch in Afrika und Asien Kriege führen können. Für unser Konzept würden die 52 Milliarden Euro im Jahr ausreichen, die im Haushalt stehen.

Wollen Sie die Bundeswehr sofort aus der Nato herausführen?

Nein, das haben wir nie gefordert. Wir finden, dass die Nato ersetzt werden muss. Das kann auch ein längerer Prozess sein. Unsere Kritik an der Nato lautet: Das ist keine Wertegemeinschaft. Während wir hier sprechen, führt der Nato-Staat Türkei einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Nord-Syrien. Das ist völkerrechtlich ein paralleler Fall zu Russland. Aber wir sprechen gar nicht darüber. Wenn wir nicht mit zweierlei Maß messen wollen, müssten wir die Türkei genauso mit Sanktionen belegen. Das geschieht aber nicht. Die Nato ist ein reines Machtbündnis, das zur Not seine Interessen auch militärisch durchsetzt.

Wären Sie denn für die Einbettung der Bundeswehr in ein europäisches Verteidigungsbündnis?

Im Prinzip ja. Wir müssen Sicherheit europäisch denken. Die Frage heißt, was Einbettung bedeutet.

Zum Beispiel gegenseitige Beistandsverpflichtungen.

Unbedingt. Das Baltikum oder Polen haben sehr gute Gründe, sich bedroht zu fühlen. Sie brauchen deshalb konkrete Beistandsgarantien. Deshalb rede ich stets von EU- und Landesverteidigung. Wenn da die Bundeswehr eingebunden ist, bin ich einverstanden. Kritisch fände ich eine rein europäische Armee, weil die nicht mehr demokratisch kontrolliert wäre. Es wäre strukturell eine Armee der Regierungen, nicht mehr der Parlamente.

Zur Lage der Linken. Der Leitantrag zum Parteitag beschreibt die Linke als Klassenpartei mit klarem Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Die vielen Neumitglieder kommen aber meist aus akademisch-städtischen Milieus und verstehen Linkssein oft anders.

Wie denn?

Da geht es oft um Fragen von Identität, Feminismus, Antikolonialismus, Minderheiten. Diese neuen Gruppen sollen nun das alte Image der vor Ort verankerten Kümmerer-Partei aufmöbeln. Kann das gut gehen?

Diese jungen AkademikerInnen kommen sehr oft aus Arbeiterfamilien. Das ist ganz typisch für unsere Partei. Die vergessen nicht, woher sie kommen. Dieses Grundverständnis, dass es einen gesellschaftlichen Konflikt zwischen oben und unten gibt, haben die meisten ganz persönlich erlebt. Für einige spielen Identitätsfragen auch eine große Rolle. Viele von denen haben auch persönlich große Angst vor dem Rechtsruck, sei es wegen ihrer sexuellen Identität oder ihrem migrantischen Hintergrund. Das ist für Linke kein Widerspruch. Wer queer oder migrantisch ist, hat es ganz konkret schwerer, eine Wohnung zu bekommen. Auch Identitätsfragen führen schnell zu ökonomischen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Wir stellen Klassenfragen ins Zentrum, und haben zu den anderen Fragen eine klare Haltung. Das geht bei uns Hand in Hand.

Das linke Dilemma: Die Gruppen, die sie umwerben, haben sie gar nicht schwerpunktmäßig gewählt. Nicht bei den Arbeitern, sondern in ganz anderen – ökonomisch besser gestellten – Milieus sind ihnen Einbrüche gelungen. Was haben Sie denen anzubieten?

Den Zusammenhalt der Gesellschaft. Keine Gesellschaft hält es aus, wenn Millionen Menschen verzweifelt sind. Das ist auch ein Angebot an die Mittelklasse und die obere Mittelklasse.

Vielleicht muss man klarer sagen, wen die Linke meint, wenn sie von „denen da oben“ redet – und wen sie nicht meint.

Richtig. Um es deutlich zu sagen: Ich habe nichts gegen Reichtum. Wenn der Gründer von Biontech eine wichtige Erfindung macht, die Leben rettet, ist es doch in Ordnung, wenn er auch persönlich davon profitiert. Wenn der dann 20 oder 30 Millionen besitzt, habe ich damit grundsätzlich gar kein Problem. Aber wenn jemand Milliarden macht, weil er die Arbeit von anderen schlecht bezahlt oder mit Wohnraum spekuliert – dann schon. Weil er dann anderen Menschen etwas wegnimmt.

Müssen Sie als Parteichef die Euphorie in der Partei nun dämpfen? Der große Erfolg bei der Bundestagswahl basierte ja auch auf mehreren Sonderfaktoren, die sich nicht wiederholen lassen.

Im Gegenteil. Wir müssen die Euphorie befeuern. Daraus schöpfen wir Energie, und die brauchen wir für unsere Kampagnen und für unsere Fähigkeit, Bündnisse zu schmieden. Es stimmt, dass wir auch von Einmaleffekten profitiert haben. Aber unser Erfolg hat nicht auf Einmaleffekten aufgebaut. Er ist viel mehr Ausdruck davon, dass wir die Themen angesprochen haben, die ganz vielen Menschen unter den Nägeln brennen: die viel zu hohen Mieten und Preise. Und es gab zusätzlich auch einige negative Einmaleffekte. Bis Mitte Januar lagen wir bei unter fünf Prozent. Das führte zu einer fast kompletten Missachtung durch TV und Radio. In den kommenden vier Jahren werden wir wesentlich größere Präsenz haben. Das wiegt viel auf.

Wird es in der kommenden Wahlperiode Annäherungsprozesse zu anderen Parteien geben? Werden sie wieder näher an Grüne und SPD heranrücken?

Heranrücken nicht, aber wir reden miteinander. Wir haben in den vergangenen zwei Wochen mehr Gespräche mit den Spitzen von Grünen und SPD geführt als in den vergangenen zwei Jahren. Bei allen Unterschieden haben wir auch gemeinsame Interessen, eine grundlegende Reform der Schuldenbremse zum Beispiel oder eine Vermögenssteuer.

Zum Artikel

Erstellt:
21. März 2025, 14:52 Uhr
Aktualisiert:
21. März 2025, 16:50 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen