LKA-Chef warnt: Verwahrloste Ecken verunsichern die Menschen

dpa/lsw Stuttgart. Es riecht streng, am Boden liegen Scherben und leere Flaschen: Um solche verwahrlosten Orte wird lieber ein Bogen gemacht. Doch das kann Folgen haben, warnt Baden-Württembergs oberster Polizist.

Ein Passant geht durch eine Unterführung, die mit Graffiti besprüht ist. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Symbolbild

Ein Passant geht durch eine Unterführung, die mit Graffiti besprüht ist. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Symbolbild

Dreck, kaputte Laternen, Schmierereien und Hundekot: Aus Sicht des Präsidenten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes prägt häufig die Verwahrlosung im öffentlichen Raum das Sicherheitsempfinden der Menschen - auch wenn Straftaten in vielen Bereichen zurückgehen. Das seien Phänomene, die die Menschen verunsicherten, sagte LKA-Chef Andreas Stenger der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Sie denken, wenn hier etwas passiert, dann hilft mir niemand.“ Zwar sei die Zahl der Einbrüche im vergangenen Jahr drastisch gesunken. Doch Menschen führten im Gespräch Dinge auf wie Graffiti und abgemeldete Autos auf der Straße.

„Da denken sie, da tut niemand was - und das setzt sich fest“, sagte Stenger. Eine Unterführung in einem desolaten Zustand werde von Menschen gemieden. „Dann gehen viele Leute dort nicht mehr hin und es entsteht eine Verfallsspirale“, sagte der LKA-Präsident. Nach seiner Einschätzung muss man allerdings die kleinen Dinge ernst nehmen, bevor sie sich verfestigten. Es könne sonst ein Kriminalitätshotspot entstehen, den man dann mit einem ungleich größeren Aufwand wieder sicherer machen müsse.

Stenger entwirft damit ein Bild der in den 1980er Jahren in den USA entwickelten „Broken-Windows-Theorie“. Demnach ist es vom kaputten Fenster bis zur komplett verwahrlosten Gegend mit Mord und Totschlag nur ein kleiner Schritt. Hardlinern bei der Polizei dort diente sie, um die Null-Toleranz-Politik etwa in New York zu begründen. Eine mit Graffiti beschmierte Wand, Müll auf der Straße oder ein eingeschlagenes Fenster könnten eine Abwärtsspirale in Gang setzen und in einem ganzen Viertel den Boden für Gewalttaten bereiten, argumentierten sie.

Soziologen der Uni Mannheim etwa halten die Theorie inzwischen für kaum mehr haltbar: Zwar provoziere Müll weiteren, dass dann aber kriminelle Handlungen folgen, sei wissenschaftlich nicht wirklich haltbar.

Stenger forderte, Polizei und Kommunen müssten Netzwerke aufbauen oder bereits existierende Kooperationen nutzen. „Der Bürger muss erkennen, dass man sich auch um die kleinen Dinge kümmert.“ In seiner Zeit als Mannheimer Polizeipräsident hätten Polizistinnen und Polizisten Verwahrlosung fotografiert und die Kommune alarmiert. „Es muss rasch entfernt werden, wenn da zum Beispiel steht "All Cops are Bastards", wenn da Müll, Unrat und leere Flaschen liegen oder es nach Urin riecht, dann melden wir das“, sagte Stenger.

Auch die sozialen Medien wirkten sich durch das veränderte Konsumverhalten auf das Sicherheitsempfinden aus. „Passiert heute in Schleswig-Holstein eine schlimme Tat, ist sie hier bis in jedes Dorf hinein präsent“, sagte Stenger. „Man differenziert dann häufig nicht mehr, wo sie passiert ist, sondern man hat den Eindruck, es werde immer mehr und immer schlimmer.“

Der Gemeinderat Baden-Württemberg sieht ein größeres Problem. Er warnt, die Verwahrlosung des öffentlichen Raums an einzelnen Stellen in den Kommunen lasse sich durch ein reines Beseitigen von Müll und Schäden nicht beheben und lösen. „Es braucht im Einzelfall einen breiten ergänzenden Ansatz an Prävention und Kontrolle“, sagte ein Sprecher des kommunalen Dachverbands. Möglich seien Sicherheitsspaziergänge, Umbauten und auch die stärkere Kontrolle und Bestrafung durch Ordnungsämter und die Polizei. Auch die vom Gemeindetag mitentwickelten „Lokalen Sicherheitskonferenzen“ könnten am Beginn solcher Lösungsansätze stehen, sagte er.

Auch nach Einschätzung von Innenminister Thomas Strobl (CDU) sind Kreativität und Vernetzung hier die besten Mittel für den Erfolg. „So vielfältig wie die Herausforderungen vor Ort, so vielfältig sind auch die verschiedenen kreativen, vernetzten Ansatzpunkte, die zur Lösung gefragt sind“, sagte er der dpa. Pauschale Lösungen gebe es nicht. „Lokale Brennpunkte gehen wir deshalb lageangepasst und bedarfsorientiert mit flexiblen Konzepten an.“ Polizei und Kommunen stimmten ihre Maßnahmen für mehr Sicherheit bereits eng und engagiert ab.

© dpa-infocom, dpa:210726-99-529287/4

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Erstellt:
26. Juli 2021, 06:00 Uhr

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