Narrenpräsident: „Fastnacht nicht sofort abschreiben“

dpa/lsw Bad Dürrheim. Die Jecken in den Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz haben die „fünfte Jahreszeit“ schon am 11. November ausgerufen. Traditionell starten die schwäbisch-alemannischen Narren erst an Dreikönig. Doch auch das dürfte dieses Mal sehr klein ausfallen.

Ein Narr in Waggis-Verkleidung wift bei einem Umzug Konfetti in die Luft. Foto: picture alliance/Patrick Seeger/dpa/Symbolbild

Ein Narr in Waggis-Verkleidung wift bei einem Umzug Konfetti in die Luft. Foto: picture alliance/Patrick Seeger/dpa/Symbolbild

Auch wenn die Fastnacht in diesem Jahr deutlich schmaler ausfallen wird als in Vor-Corona-Zeiten, sollten die Narren doch aus Sicht von Verbandspräsident Roland Wehrle so viel wie möglich umsetzen. Gerade für Kinder und Ältere sei es wichtig, die Tradition unter Beachtung der Hygieneregeln aufrechtzuerhalten, sagte der Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) der Deutschen Presse-Agentur. „Wir sollten das Kulturgut Fastnacht nicht sofort abschreiben - sondern versuchen, alles zu tun, was unter Corona-Bedingungen möglich ist.“

Wehrle denkt zum Beispiel an Auftritte von Narren in Kindergärten oder den Aufzug einer närrischen Kapelle vor einem Pflegeheim. „Und warum sollten nicht auch Narrenblätter verkauft werden?“, fragte er. Schließlich sei das Glossieren des Zeitgeschehens Kern der Fastnacht.

Der Präsident geht davon aus, dass alle größeren Veranstaltungen mit hohem organisatorischen und finanziellen Aufwand abgesagt werden. Wer kleiner feiere, werde das vermutlich nicht groß bewerben, damit nicht aus der Region viele Zuschauer dorthin strömten. Gerade für die Hochburgen sehe er da eine Gefahr. Wiederum gebe es auf der Alb Orte, wo schon vor Corona nur 200 bis 300 Menschen zusammenkamen. „Mit genügend Abstand können die sicher auch dieses Mal feiern.“

Zum traditionellen Auftakt der schwäbisch-alemannischen Fastnacht jetzt am Dreikönigstag könnte es vereinzelt närrische Aktionen wie das sogenannte Einschnellen geben, sagte Wehrle. Ob dann Ende Februar und Anfang März vom „Schmotzigen Dunschtig“ bis Aschermittwoch mehr möglich sei, werde vom Verlauf der Pandemie, insbesondere der Ausbreitung der Omikron-Variante des Virus abhängen. Für kommende Woche sei dazu ein Gespräch mit Vertretern aus dem Sozial- und aus dem Innenministerium geplant, sagte der Verbandschef.

Dabei gehe es ebenso darum, ob Umzüge mit 2G- oder 2G-plus-Regeln entlang der Strecke möglich seien - also nur für Geimpfte und Genesene, gegebenenfalls mit aktuellem Test. „Immer im Bewusstsein, dass man das nicht völlig kontrollieren kann.“ Ausschlaggebend werde vor allem sein, ob Baden-Württemberg an den Haupttagen der „fünften Jahreszeit“ noch die Alarmstufe ausgerufen hat. „Bis dahin sind es aber ja noch mehr als sechs Wochen“, betonte der Verbandspräsident.

Viele größere Umzüge wie in den rheinischen Schwesterstädten Ludwigshafen und Mannheim sind schon abgesagt. Die Freiburger Fasnet beispielsweise wird 2022 wieder nur online stattfinden.

Wenig Verständnis zeigte Wehrle für Pläne der Narrengilde Lörrach, die Fastnacht coronabedingt in den Sommer zu verlegen. Das sei „völlig daneben“. Die Fastnacht gehöre in eine bestimmte Zeit. „Das ist einer der Höhepunkte des Jahreslaufs, die auch ein bisschen den Alltag unterbrechen sollen“, sagte Wehrle. „Niemand käme auf die Idee, Weihnachten pandemiebedingt zu verschieben oder Ostereier im Sommer zu suchen, weil im Frühjahr noch Schnee liegt.“

Obergildenmeister Jörg Rosskopf aus Lörrach hielt dem entgegen, dass Lörrach anders als etwa Villingen und Rottweil keine althistorische Fastnacht habe. „Da könnte ich die Kritik in einem gewissen Grad nachvollziehen. Aber die Fastnacht in Lörrach, wie sie heute ist, ist 1936 entstanden.“ Geplant sei ein buntes Sommerfest, das bewusst nicht Fastnacht heißen solle. Vor allem der Umzug werde in die Pfingstferien verlegt, aber nicht alle Programmpunkte der Fastnacht. Aus anderen Regionen Baden-Württembergs und der Schweiz hätten schon mehrere Zünfte angefragt, an dem geplanten Fest teilnehmen zu können.

Rosskopf geht es unter anderem darum, dass Vereine Geld einnehmen und um Nachwuchs werben können. Faktoren, die Wehrle ebenfalls sieht. „Die Fastnacht ist auch ein großer Wirtschaftsfaktor.“ Gleichermaßen profitierten Gastronomiebetriebe in den Städten davon.

Er verstehe das Bedürfnis nach größtmöglicher Normalität unter Corona-Voraussetzungen. Würde man alles verbieten, würde das nach seiner Einschätzung zu einer „unkontrollierten Fastnacht“ führen und zusätzlich Aggressionen fördern, sagte er nicht zuletzt mit Blick auf zahlreiche Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in den vergangenen Wochen. Letzten Endes sei jede Zunft, aber auch jeder Einzelne selbst verantwortlich, sagte Wehrle und rief zum Impfen auf.

Die 1924 gegründete VSAN mit Sitz in Bad Dürrheim (Schwarzwald-Baar-Kreis) ist eine der ältesten Narrenvereinigungen Deutschlands. In ihr sind 68 Narrenzünfte aus den Regierungsbezirken Freiburg, Tübingen und Stuttgart, dem bayerischen Regierungsbezirk Schwaben sowie fünf Kantonen in der Schweiz zusammengeschlossen.

© dpa-infocom, dpa:220104-99-581119/3

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Erstellt:
4. Januar 2022, 05:03 Uhr

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