Staatskrise in Südkorea
Machtkampf auf den Straßen Seouls
Weil er das Kriegsrecht ausrief, soll Südkoreas Ex-Präsident Yoon Suk Yeol festgenommen werden. Doch dessen Unterstützer verhindern dies bislang noch.
Von Felix Lill
Seit Tagen ist die Residenz von Yoon Suk Yeol der Hotspot Südkoreas. Rund um die Uhr halten im Zentrum der Hauptstadt Seoul Tausende die Stellung, die noch zum amtsenthobenen Präsidenten halten. Bestärkt werden sie vom Sicherheitspersonal, das Yoon immer noch zusteht. Wie lange noch, ist eine Frage von Tagen, vielleicht nur Stunden. Bis Sonntag noch, wenn der derzeit geltende Haftbefehl erlischt, kann sich die unklare Lage hinziehen.
Dass Yoon die Freiheit entzogen werden sollte, bestätigte ein südkoreanisches Gericht am Dienstag. Am Donnerstag wollten ihn Polizisten festnehmen, nachdem er zuvor mehrere gerichtliche Vorladungen ignoriert hatte. Offenbar ist man vor einer Festnahme des geschassten Präsidenten dann doch zurückgeschreckt. Zu angespannt schien die Lage. Noch immer werden größere Ausschreitungen befürchtet.
Ein asiatischer Donald Trump
Die Protestierenden vor Yoons Wohnsitz, die im Haftbefehl gegen ihn einen Komplott sehen, haben die Anlage blockiert. Ganz in der Nähe protestieren Yoons Gegner. Seit Wochen legen sie Teile Seouls lahm, weil sie meinen, Yoon gehöre hinter Gitter. Viele sehen es ebenso, wie eine Umfrage zeigt, die der öffentlich-rechtliche Sender KBS in Auftrag gab: 72 Prozent der Südkoreaner sind der Meinung, Yoon habe eine „schwere Straftat“ begangen. 24 Prozent finden, er habe im Rahmen seiner Befugnisse gehandelt.
Am 3. Dezember hatte der Präsident – der das ostasiatische Land seit Frühjahr 2022 regiert und als der Trump Südkoreas gilt – das Kriegsrecht verhängt. Die Begründung: Die liberale Opposition kollaboriere mit dem Feind Nordkorea. Yoon ließ das Parlamentsgebäude von Sicherheitskräften verrammeln. Doch oppositionellen Parlamentariern gelang es, einzudringen, und sie stimmten gegen die Kriegsrechtserklärung, woraufhin diese zurückgenommen wurde.
Mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, für die auch einige Stimmen von Yoons konservativer People Power Party (PPP) nötig waren, wurde der Präsident am 14. Dezember seines Amtes enthoben. Nun hat das Verfassungsgericht drei Monate Zeit, über seinen Fall zu urteilen. Damit die Amtsenthebung rechtskräftig wird, müssen neun Richter zustimmen. Eine hohe Hürde, zumal drei Richtersitze vakant sind, sodass für eine Enthebung Einstimmigkeit vonnöten wäre.
Über die Neubesetzung der drei freien Plätze ist eine hitzige Debatte entbrannt. Premierminister Han Duck Soo, der zunächst Interimspräsident wurde, drängte hier auf einen Kompromiss zwischen PPP und der liberalen Oppositionsführerin Demokratische Partei (DP), die im Parlament die Mehrheit hat. Dies aber akzeptierte die DP nicht und setzte um den Jahreswechsel auch eine Amtsenthebung Hans durch. Nun amtiert Ex-Finanzminister Choi Sang Mok, der gleich zwei Richterposten neubesetzte.
Todesstrafe nicht ausgeschlossen
Die Vorbereitung des Prozesses ist aber nur einer von mehreren Schauplätzen der südkoreanischen Staatskrise. Eine weiterer sind die konkreten Vorwürfe gegen den geschassten Präsidenten. Yoon Suk Yeol wird Hochverrat vorgeworfen, was in Südkorea mit dem Tod bestraft werden kann. Das Material, das seit der gescheiterten Kriegsrechtserklärung gesammelt worden ist, belastet Yoon. Ermittler fanden etwa eine Liste politischer Gegner, die Yoon festnehmen lassen wollte. Zudem hatte er seine Sicherheitskräfte wohl angewiesen, von ihren Schusswaffen Gebrauch zu machen.
Yoon selbst sieht sich als Opfer der Justiz. Er werde „bis zum Ende kämpfen“, versprach er seinen Unterstützern in einem am Donnerstag auf der Straße in Seoul verteilten Kurzbrief. „Über Youtube verfolge ich all Ihre harte Arbeit live“, schrieb er aus seiner abgeschirmten Residenz heraus. Yoon verschanzt sich dort. Eine Flucht aus dem Land dürfte ihm kaum gelingen. Denn über den suspendierten Präsidenten wurde ein Ausreiseverbot verhängt.
Südkoreas Staatskrise schwelt weiter und dürfte noch lange nicht ausgestanden sein. Nicht wenige im Land fürchten einen Eklat – dann, wenn die Sicherheitskräfte, die hinter Yoon stehen, und die Sicherheitskräfte, die gegen Yoon stehen, aufeinander losgehen.