„Mãma qí mâ, mâ màn, mãma mà mâ“
Serie Mitgemacht: In fünf Tagen fit für China – Erste Lektion des Chinesisch-Intensivkurses für Einsteiger an der VHS Backnang
Andere Laute, andere Schriftzeichen, andere Grammatik – bei Chinesisch ist alles anders. Fang-An Kuo stammt aus Taiwan und lehrt ihre Muttersprache auch an der Volkshochschule in Backnang. Zahlreiche Schweißtropfen hat Redakteur Florian Muhl in der ersten Lektion des Intensivkurses für Einsteiger im VHS-Raum hinterlassen.
Von Florian Muhl
BACKNANG. Was habe ich nur verbrochen? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Drei Stunden lang. So lange dauerte die erste von fünf Lektionen des Chinesisch-Intensivkurses für Einsteiger. In der BKZ-Serie „Mitgemacht“ geht es darum, dass Redakteure Kursangebote testen und über ihre Erfahrungen berichten. Soweit nichts Besonderes. Der Witz an den „Mitgemacht“-Regeln ist aber, dass man sich nicht selbst den Kurs aussuchen durfte, für dessen Inhalte Interesse vorhanden ist. Nein, die lieben Kollegen hatten das Sagen und durften bestimmen, wo’s hingeht. So wurden Kursangebote durchstöbert, gewitzelt, gefrotzelt, geschmunzelt und immer wieder laut losgelacht. Schließlich stand fest: „Für den Flo haben wir was Tolles: Chinesisch.“ – Was habe ich nur verbrochen? Warum nicht Persisch, da wurde ich geboren; oder Tschechisch, da stammt meine Oma her; oder wenigstens Bayrisch, da war ich mal im Urlaub!?
Ich schaue auf zwei Männer und zwei Frauen, die ebenfalls vor Raum 4 im Bildungshaus warten. Sie und ich werden also gleich in die Geheimnisse der Sprache jenes Landes eingewiesen, in dem angeblich das Lächeln erfunden worden sein soll. Mir allerdings wird in den kommenden drei Stunden das Lächeln noch vergehen. Aber davon später.
„Wir werden fünf Nächte... zusammenarbeiten“
Da kommt auch schon schnellen Schrittes unsere Lehrerin auf uns zu. Vorurteilsfrei muss sie es sein, denn laut VHS-Ankündigung ist es eine muttersprachliche Dozentin. Und das Lächeln bringt sie auch mit. Wie schön. Wir alle freuen uns und nehmen unsere Plätze ein. „Wir werden fünf Nächte...äh, Abende, nicht Nächte, zusammenarbeiten, und ich hoffe, dieser Intensivkurs kann Ihnen etwas helfen, wenn Sie nach China reisen“, sagt Fang-An Kuo. Ihr deutlicher Akzent verrät, aus welcher Region dieser Erde sie stammt. Was sie im Intensivkurs vermitteln werde, sei nur eine Basis für diejenigen, die richtig Chinesisch lernen wollen.
Dann stellt sich die Dozentin kurz vor, sagt, dass sie im VHS-Programm noch mit ihrem Familiennamen Hu-Kuo angekündigt worden sei, sie aber seit einiger Zeit geschieden ist und jetzt ihren Mädchennamen Kuo angenommen hat. Vor über 26 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen, seit über 20 Jahren unterrichtet sie Chinesisch, nur Erwachsene an der Chinesischen Schule in Stuttgart, an der Uni Hohenheim, an der Hochschule Reutlingen und in der Firma Bosch auf der Schillerhöhe. An Volkshochschulen sei sie kaum noch, mit einer Ausnahme: „Als Dankeschön-Grund bleibe ich immer in Backnang. Wieso? Sie haben mir hier die erste Chance für einen Fremdsprachkurs gegeben. Daher sage ich immer Ja, wenn sie mich brauchen“, sagt die Lehrerin und meint, dass es in allen Kursen üblich sei, dass man sich duzt. Ok Fang-An, dann fang an.
Zunächst stellen sich die Teilnehmer kurz vor. Sigrid kommt aus Backnang. Sie war vor zwei Jahren in China und sie hat jetzt noch mehr Interesse, China kennenzulernen. Oliver ist erst am Vortag aus China zurückgekommen. Er sei noch ein wenig im Jetlag. „Ich gehe in zwei Wochen schon wieder hin, bin beruflich dort ein bisschen eingespannt. Ich bin hier, um dort einfach einen besseren Kontakt zu haben“, sagt er.
Günter arbeitet bei Bosch in Abstatt. „Wir haben sehr viele chinesische Kollegen. Es tut einem gut, wenn man die besser versteht.“ Annika studiert und wird ab September wahrscheinlich ein Auslandssemester in Taiwan absolvieren und will jetzt bis September noch so viel wie möglich Chinesisch lernen.
Günter stellt gleich die erste Frage: „Wie kann man sich auf Chinesisch unterhalten, wenn es keine Grammatik gibt?“ – „Es gibt Grammatik, aber nicht viel. Daher ist die Grammatik sehr leicht“, antwortet Fang-An. „Deshalb ist Chinesisch viel einfacher als Deutsch?“, vermutet Günter. „Vermutlich ja, wenn wir nicht schreiben müssen. Aber meine Aufgabe als Chinesischlehrerin ist es, euch nicht nur eine schöne Aussprache beizubringen, sondern auch, wie ihr richtig Sätze bilden könnt, um mit Chinesen sprechen zu können, und dafür brauchen wir Grammatik.“
Das größte Problem bestehe darin, dass Chinesisch anders sei als die Sprachen, die wir kennen würden. Anders deswegen, weil es überhaupt keine Parallelen zu den romanischen oder lateinischen Sprachen habe und man als Anfänger nichts hat, woran man sich entlanghangeln könnte. Aber zunächst gehe es ums richtige Sprechen: „Die Aussprache muss sauber und korrekt sein. Sonst ist am Ende alles umsonst und niemand versteht uns.“
Fang-An kommt mit einem Beispiel: „wõ shi déguórén“, auf Deutsch „Ich bin Deutscher.“ Die Dozentin zerpflückt den kurzen Satz in einzelne Silben. Diese klingen für mich so fremdartig, dass sie gar nicht haften bleiben wollen. Fang-An stellt die rhetorische Frage, warum die Aussprache so schwer ist, um sogleich selbst drei Antworten nachzuschieben: „Erstens: Bei europäischen Sprachen sprechen wir nur bis zum Brustkorb, aber schönes Mandarin sprechen wir mit dem ganzen Körper, also bis zum Bauch.“
„Zweitens“, sagt Fang-An, „Chinesisch hat einen ganz eigenen Rhythmus.“ Der dritte Grund sei, dass die Töne anders sind. Wieder ein Beispiel: Ein Engländer bestellte in China sein Essen: „wõ yào shuijiáo“, was so viel heißt wie „ich möchte Maultaschen“. Das jedenfalls glaubte er. Doch er hatte das Wort „shuijiào“ falsch ausgesprochen. Was er sagte, war „Ich möchte schlafen“.
Nach etwa einer Stunde Unterricht konfrontiert uns Fang-An mit der ersten Sprachübung. Jetzt müssen die Kursteilnehmer ran. Es gilt, das Wörtchen „ma“ in fünf unterschiedlichen Tönen auszusprechen. Einmal ist das „a“ kurz abgehackt, einmal lang gezogen, dann wird es mal ansteigend, mal abfallend intoniert und dann abfallend und ansteigend. Wir sprechen der Reihe nach die Silben nach und erzielen ein mittelgutes Ergebnis.
Für Chinesisch ist vor allem ein gutes Gehör wichtig. Denn diese Sprache arbeitet mit unterschiedlichen Tonhöhen. Jede Intonation gibt dem Begriff eine andere Bedeutung. So bedeutet das Wort „ma“ im ersten Ton so viel wie Mama. Im zweiten, dem steigenden Ton, steht „ma“ für Hanf oder auch das taube Gefühl in Gliedmaßen. In dem fallend-steigenden dritten Ton bedeutet „ma“ Pferd. Und „ma“ im vierten, fallenden Ton heißt Fluchen oder Schimpfen.
Um besser zu werden, gibt uns Fang-An folgenden Tipp: „Gerade sitzen und Kopf hoch, dann kann das Stimmband gut vibrieren.“ Zudem fordert sie uns auf, auch den Bauch einzusetzen sowie die Schultern und auch die Fäuste. Wir lassen unseren ganzen Körper sprechen, Fang-An ist zufrieden.
„Mama reitet auf einem Pferd, das Pferd ist sehr langsam“
Unsere Dozentin setzt bei den Ma-Lauten noch einen drauf und bildet einen ganzen Satz: „Mãma qí mâ, mâ màn, mãma mà mâ“, was so viel heißt wie „Mama reitet auf einem Pferd, das Pferd ist sehr langsam, Mama beschimpft das Pferd“. Ich hab das Gefühl, als müsste ich gleich losprusten. Jetzt aber bloß kein lautes Gelächter. „Mâma qi mã, mâ màn, mãmâ mà mã“, sage ich. Leider ist meine Intonation ziemlich in die Hose gegangen. Ich bin am Rand der Verzweiflung. Halt! Jetzt bloß nicht aufgeben. Jetzt noch nicht.
Aber es wird noch schlimmer. Fang-An fordert uns auf, Laute nachzusprechen, die aus einem mitteleuropäischen Sprachwerkzeug gar nicht ausgesprochen werden können. Tschi, Dschi, Tchi, Dchi, Tschieh...Dabei sollen wir irgendwie die Zunge verdrehen und etwas mit dem Gaumen machen. Oder andersherum. Chinesisch ist was für geduldige Verbalakrobaten und zähe Nasalartisten, aber nicht für mich, bin ich mir nach fast drei Stunden Intensivkurs sicher. Und ich würde am liebsten in den Raum rufen: „Liebe Fang-An, bitte, bitte, hör auf.“ Wenn sie nicht so nett und bemüht und darüber hinaus die geduldigste Frau wäre, die ich bisher kennengelernt habe. Bei allem hat Fang-An nie ihr Lächeln verloren. Am Ende ziehe ich vor ihr den Hut, aber auch vor den anderen vier Teilnehmern. Auf sie warten noch vier Abende.
Für die Serie „Mitgemacht“ testen Redakteure unserer Zeitungen
verschiedene Kursangebote und berichten über ihre Erfahrungen.