Winzige Allesfresser

Manche Mikroben vertilgen sogar Desinfektionsmittel

Kaum zu glauben: Die Mikroben in unseren Städten haben sich nicht nur bestens an die knappen Ressourcen in der menschengemachten Umgebung angepasst – sie nutzen sogar eigentlich für sie schädliche Substanzen als Nahrung: Desinfektionsmittel.

Da kann man noch so lange scheuern und desinfizieren: Mikroben  haben sich bestens an das Leben in der Stadt bestens angepasst.

© Imago/Panthermedia

Da kann man noch so lange scheuern und desinfizieren: Mikroben haben sich bestens an das Leben in der Stadt bestens angepasst.

Von Markus Brauer

In dieser Welt sind nie allein. Wir werden immer begleitet – von Mikroben. Die winzig kleinen Mikroorganismen sind um und in uns. Sie befinden sich überall: im Wasser, in der Erde, in der Luft. Abermillionen von ihnen bevölkern den menschlichen Körper. Manche machen krank, andere sind für die Gesundheit wichtig.

Die häufigsten Vertreter sind Bakterien, Viren, Pilze sowie Protozoen. Das sind einzellige Lebewesen, die als Parasiten leben und für Krankheiten wie Toxoplasmose (eine durch protozooische Parasiten verursachte Infektionskrankheit) oder Malaria verantwortlich sind.

 

 

Anpassungsfähige und widerstandsfähige Spezies

Mikroben sind extrem anpassungsfähig und widerstandsfähig. In Proben aus Hongkong haben Biologen sogar Bakterien entdeckt, die gegen Alkohol und Reinigungschemikalien in Desinfektionsmitteln resistent sind und deren Bestandteile als Nahrung verstoffwechseln.

Ein Forscherteam um Xinzhao Tong von der Xi’an Jiaotong-Liverpool University (XJTLU) in der chinesischen Stadt Suzhou entdeckte jetzt hunderte zuvor unbekannte Bakterienarten. Ihre Studie nist im Fachmagazin „Microbiome“ erschienen.

 

 

» Diverse and specialized metabolic capabilities of microbes in oligotrophic built environments | Microbiome | Full Text https://t.co/UQST2FtCy5 — Tominaga K. (tomiken) (@pacyc1841) October 19, 2024

Kein modernes Leben ohne Desinfektionsmittel

Desinfektionsmittel gehören zum modernen Leben wie Kunststoff und Elektrizität. Nach Angaben der EU-Kommission sind allein in den Ländern der Europäischen Union mehr als 60.000 Haushaltsreiniger zugelassen. Gesund sind sie für den Menschen allemal nicht:

 

 

  • Putz-, Wasch- und Reinigungsmittel enthalten zahlreiche, zum Teil gesundheitsschädliche Substanzen wie Säuren, Laugen, Alkohole, Aluminium, Bleichmittel, Biozide (Chemikalien zur Bekämpfung von Schädlingen), Chlor, Parfümöle, Farbstoffe oder Lösemittel.
  • Backofenreiniger können durch das in ihnen enthaltene Ätznatron die Haut massiv schädigen.
  • In vielen WC- und Hygienereinigern befindet sich Chlor sowie Natronlauge, Ameisen-, Salz- oder Phosphorsäure, welche die Atemwege reizen und die Haut verätzen.
  • Durch die Kombination verschiedener Mittel kann ein gefährlicher Chemie-Cocktail entstehen. Das Chlor im WC- und Desinfektions-Reiniger oder Schimmelentferner kann zusammen mit einem säurehaltigen Mittel (etwa Essig-Reiniger) ätzendes Chlorgas bilden.
  • Chemische Reinigungsmittel können in geschlossenen Räumen angewendet Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Schwindel und Allergien verursachen.
  • Zudem stehen Spezialreiniger im Verdacht, das Immunsystem zu schwächen und krebserregend zu sein.

Komplett sterile Umgebung ist ein Wunschtraum

Desinfektionsmittel sollen eine einer möglichst sterile Umgebung schaffen, in der Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Archaeen und Pilze keine Chance haben. Doch Mikroben sind äußerst widerstandsfähige Lebewesen, die sich perfekt an ihre Umgebung und an Gegenmittel – selbst Desinfektionsmittel – anpassen können.

„Unsere Verwendung von Reinigungsprodukten schafft eine einzigartige Umgebung, die selektiven Druck auf Mikroben ausübt, an die sie sich anpassen müssen, um nicht eliminiert zu werden. Aber die Mechanismen, durch die sich Mikroben anpassen und in gebauten Umgebungen überleben, sind nur unzureichend verstanden“, erklärt Xinzhao Tong.

 

 

Welche Mikroben in der Großstadt leben

In der Millionenmetropole Hongkong habe die Forscher das Überleben von Mikroben genauer. „Gebiete mit vielen Gebäuden sind arm an traditionellen Nährstoffen und essentiellen Ressourcen, die Mikroben zum Überleben benötigen. Daher haben diese gebauten Umgebungen ein einzigartiges Mikrobiom“, betont Tong.

Die Biologen sammelten 738 Proben aus verschiedenen öffentlichen und privaten Gebäuden, der U-Bahn, Bootsanlegern und der Haut von Bürgern in Hong Kong. Danach sequenzierten sie das Genom der darin enthaltenen Mikroorganismen und verglichen deren genetische Ausstattung.

 

 

Genetisch an städtische Umwelt perfekt angepasst

In den Proben fanden sie 860 verschiedene Mikroorganismen, fast alle davon waren Bakterien : wie Micrococcus luteus (als „Luftkeim“ ist er in der Luft vorhanden, er ist aber auch Teil der normalen Hautflora des Menschen und gilt als nicht krankheitserregend) und Cutibacterium acnes (das Bakterium ist ein Teil der Hautflora) sowie 373 Stämme, die bisher unbekannt waren.

„Das Mikrobiom der U-Bahn-Luft enthielt die höchste Artenzahl. Das Mikrobiom auf der Pieroberfläche war am vielfältigsten und gleichmäßigsten. Das Mikrobiom der Haut war am wenigsten vielfältig und am ungleichmäßigsten“, berichten die Wissenschaftler.

 

 

Sie fanden heraus, dass einige Mikroben Gene für Enzyme besitzen, mit deren Hilfe sie Schutz- und Abwehrstoffe produzieren und menschengemachte Produkte verstoffwechseln können. So können sie typisch städtische Materialien als Kohlenstoff-, Stickstoff- und Energiequelle, dass heißt als Nahrung nutzen.

Desinfektionsmittel dienen als Futterquelle

Das erstaunlichste Ergebnis der Studie ist, dass einige Mikroben sich sogar von Putzmitteln ernähren. „Das Genom eines Stammes von Eremiobacterota ermöglicht es ihm, Ammoniumionen, die in Reinigungsprodukten enthalten sind, zu verstoffwechseln. Der Stamm hat auch Gene für Alkohol- und Aldehyddehydrogenasen, um Restalkohol abzubauen, der in herkömmlichen Desinfektionsmitteln enthalten ist“, schreiben die Biologen.

Für Menschen werden diese Stadtmikroben erst dann gefährlich, wenn die resistenten Keime Krankheiten verursachen, etwa in Krankenhäusern. Doch es gibt auch das Gegenteil: Mikroorganismen, die für die menschliche Gesundheit förderlich sind.

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Erstellt:
21. Oktober 2024, 15:37 Uhr
Aktualisiert:
21. Oktober 2024, 16:38 Uhr

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