Marburger Bund: Zukunftssorgen wegen befristeter Verträge
dpa/lsw Stuttgart. Überstunden, Bangen um den nächsten Vertrag und Corona - vielen Ärztinnen und Ärzten reicht es. Deren Gewerkschaft nimmt die Politik im Land in die Pflicht. Doch die zuständige Ministerin winkt ab.
Viele Ärztinnen und Ärzte haben in der Corona-Pandemie geschuftet, sind überarbeitet und sind zunehmend frustriert - der Marburger Bund will das nicht länger hinnehmen. Nach einer Umfrage des Ärzteverbands im Südwesten leiden die Mediziner in Krankenhäusern nicht nur unter der hohen Arbeitsbelastung, sondern auch unter befristeten Verträgen. Besonders an den Unikliniken sei die Situation „alarmierend“ und „erschreckend“, sagte die Landesvorsitzende des Marburger Bunds, Sylvia Ottmüller, am Donnerstag in Stuttgart.
Rund 55 Prozent der befragten Verbandsmitglieder haben demnach befristete Arbeitsverträge - sie wissen also nicht, wie ihre Zukunft aussieht. An den Unikliniken sind es sogar noch mehr: Dort sind mehr als 80 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte befristet angestellt.
Dem Verband reicht es nun: „Seit Jahren wird uns zugesagt, dass die Befristungsquote gesenkt wird, doch nichts geschieht“, sagte Ottmüller. Der Marburger Bund fordere Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) auf, den Anteil der entfristeten Verträge sofort zu verdoppeln. Langfristig strebt der Verband eine Entfristung aller Arbeitsverträge an. Im November plane der Ärzteverband nun Protestaktionen an den Unikliniken im Südwesten.
Ottmüller warnte, dass Befristungen den Ärztemangel im Land verschärfen könnten. Denn: Jeder zehnte Befragte habe schon überlegt, wegen der Befristungen den Job in der Uniklinik an den Nagel zu hängen und den Beruf aufzugeben. Sie gehe davon aus, dass durch die Belastungen durch die Corona-Pandemie noch mehr Medizinerinnen und Mediziner ans Aufhören denken.
Die meisten der Befragten haben nach der Umfrage Verträge mit Laufzeiten zwischen einem und drei Jahren. Längere Laufzeiten sind demnach an Unikliniken besonders selten, denn dort greift das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das umstrittene Gesetz regelt, dass wissenschaftliches Personal in der Weiterbildung bis zu 12 Jahre lang befristet angestellt werden darf. „Eine befristete Beschäftigung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist nur dann zulässig, wenn sie der wissenschaftlichen Qualifikation dient“, erklärte der zweite Landesvorsitzende des Marburger Bunds, Jörg Woll. Dafür sei aber wegen der Patientenversorgung kaum Zeit. Woll nannte die Befristungspraxis einen „klaren Missbrauch“ des Gesetzes.
Zustimmung kommt auch vom Ärzteverband Hartmannbund. Deren Landeschef Klaus Rinkel nannte die Befristungspraxis eine „Unart“. „Für die Betroffenen bedeutet das eine unzumutbare Unsicherheit über ihren Karriereweg und erst recht mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Die Belastungen durch Corona hätten den Druck im Sinne eines Katalysators noch einmal erheblich erhöht.
Die Forderungen des Ärzteverbandes stoßen beim Wissenschaftsministerium auf taube Ohren. Ein Sprecher begründete die Befristungen mit dem Auftrag der Unikliniken, neben der Krankenversorgung auch die Wissenschaft voranzubringen. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, müssten regelmäßig junge Ärzte und Ärztinnen qualifiziert werden. Mehr Entfristungen scheinen damit vom Tisch zu sein. „Die Ressourcen der Ausbildung wären mit einem überwiegend unbefristet angestellten Personalkörper weitgehend erschöpft“, erklärte der Sprecher weiter.
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