Geisterhafte Leuchterscheinungen
Meeresleuchten: Was das Meer zum Strahlen bringt
Jahrhundertelang rätselten Seefahrer über geisterhafte Leuchterscheinungen, die aus der Tiefe des Ozeans zu kommen scheinen. Das nächtliche grünlich-blaue Meeresleuchten kommt weltweit vor. Doch wer ist dafür verantwortlich? Und welche biochemischen Prozesse laufen dabei ab?

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Meeresleuchten in Mangrovenwäldern auf Khok Kham und Samut Sakhon bei Bangkok (Thailand).
Von Markus Brauer/dpa
Aristoteles, Shakespeare, Darwin und Jules Verne haben das faszinierende Phänomen beschrieben: In aufgewühltem Wasser verursachen bestimmte Einzeller ein nächtliches Meeresleuchten – etwa in brechenden Wellen oder in Bugwellen von Schiffen. Forscher haben herausgefunden, dass die Deformierung der Zellwand winziger Organismen, die im Innern eine Kettenreaktion anstößt, dafür verantwortlich ist.
Dass das nächtliche grünlich-blaue Meeresleuchten auf weltweit vorkommende, bestimmte Mikroorganismen zurückgeht, ist seit langem bekannt, ebenso wie die chemischen Vorgänge in der Zelle. In sogenannten Dinoflagellaten sorgen Veränderungen der Kalziumwerte über eine Kettenreaktion dafür, dass das Protein Luciferin oxidiert wird und Licht abgibt.
- Zur Info: Dinoflagellaten sind keine echten Algen, aber auch keine Bakterien. Sie stellen eine eigenständige Gruppe dar, die nicht zu den drei Reichen Tiere (Animalia), Pflanzen (Plantae) oder Pilze (Fungi) zählen. Man kennt heute etwa 2400 verschiedenen Dinoflagellatenarten. Als vorwiegdne einzellige Lebewesen leben sie großteils im Meer und bilden einen Hauptteil des Phytoplanktons.
Nächtliches Meeresleuchten: Welche Mechanik spielt sich ab?
Welche mechanischen Bedingungen dafür nötig sind, haben Forscher in Laborversuchen an einer dieser Arten ergründet: dem 130 Mikrometer langen, 40 Mikrometer breiten und transparenten Einzeller Pyrocystis lunula. Die nächtlichen Experimente mit Hilfe von Mikropipetten und Hochgeschwindigkeitsfotografie zeigten, dass die Deformierung der Zellwand der Auslöser für das blaue Leuchten einer Frequenz von etwa 475 Nanometern ist (1 Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters.)
Dessen Helligkeit hängt ab von der Kombination aus Ausmaß und Geschwindigkeit der Deformierung. Die Verformung muss also sowohl schnell erfolgen als auch groß genug sein, um die Kettenreaktion im Cytoplasma anzustoßen.
Eindellung der Zellwand
Generell genügte in den Versuchen eine Eindellung der Zellwand um etwa 10 Mikrometer 1 Mikrometer = 1 millionstel Meter). Für die einwirkende Kraft eines Flüssigkeitsstrahls lag der Schwellenwert im Mittel bei 10 Mikronewton (1 Newton = 0,102 Kkg / 1 Mikronewton = 1 millionstel Newton), als Geschwindigkeit nennen die Forscher etwa 0,3 Meter pro Sekunde.
Je stärker und schneller die Deformation, desto ausgeprägter war die Helligkeit. Die Funktion des Leuchtens lassen die Forscher offen. Möglicherweise diene es zum Abschrecken von Fressfeinden.
Bezaubernde Biolumineszenz
Als Biolumineszenz bezeichnen Fachleute die Fähigkeit von Organismen Licht zu erzeugen. Glühwürmchen beispielsweise leuchten, weil bei einer bestimmten chemischen Reaktion im Inneren der Tiere Energie in Form von Licht entsteht.
Biolumineszenz existiert weltweit bei über 3500 verschiedenen Spezies, ob Glühwürmchen auf heimischen Wiesen, biolumineszente Pilze im brasilianischen Regenwald oder leuchtende Tintenfische, Haie und Bakterien in der Tiefsee.
Biolumineszenz hat sich in der Evolution mehr als 50-mal unabhängig voneinander entwickelt. Die Leuchtfähigkeit wird je nach Tiergruppe zu ganz verschiedenen Zwecken genutzt, beispielsweise zur Tarnung, zur Jagd, zur Kommunikation und zur Paarung. So sitzt bei den Glühwürmchen (Lamprohiza splendidula) das paarungsbereite Weibchen leuchtend im Gras und lockt auf diese Weise das Männchen an.
Biochemische Prozesse
Die zugrunde liegende Chemie basiert bei vielen verschiedenen biolumineszenten Organismen allerdings nur auf einer kleinen Anzahl chemischer Moleküle. Dies ist ein bemerkenswertes Beispiel für konvergente (einer sich annähernden) Evolution.
Das heißt: Die Organismen sind nicht miteinander verwandt, nutzen aber ähnliche chemische Reaktionen und Moleküle, um Licht zu erzeugen. Die Moleküle sind äußerst effizient und tragen dazu bei, dass Lebewesen erfolgreich innerhalb der Evolution überleben und sich vermehren können.
Verwendung von Biolumineszenz in der Wissenschaft
Diese Eigenschaft nutzen Forscher bereits in der Medizin, vor allem im bioanalytischen und biomedizinischen Sektor. Da das Licht innerhalb einer chemischen Reaktion erzeugt wird, benötigt das Verfahren im Vergleich zu ähnlichen Technologien wie Fluoreszenz kein Anregungslicht.
In Verbindung mit modernen Detektoren können so analytische Nachweisgrenzen erreicht werden, die im Einzelmolekülbereich liegen. Solch eine Empfindlichkeit ist mit keiner anderen Technik möglich. Deshalb haben verschiedene Forschungsgruppen auf dieser Basis hochempfindliche Untersuchungsmethoden entwickelt, welche die frühzeitige Diagnose von Krankheiten wie HIV, Krebs aber auch Corona ermöglichen.
Hell erleuchtete Schneefläche auf dem Ozean
Seit Jahrhunderten gibt es zudem Berichte von Seefahrern über ein ungewöhnliches und seltenes nächtliches Leuchten im Meer, das der Oberfläche den Anschein einer hell erleuchteten Schneefläche verleiht. Solche Beobachtungen wurden gehäuft im Nordwestlichen Indischen Ozean sowie in einer Meeresregion Südostasiens zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean gemacht.
Auch dieses durchgehende und großflächige Leuchten wird von Bakterien erzeugt, die zur Biolumineszenz fähig sind, also zum Ausstoß von sichtbaren Licht, womöglich im Zusammenspiel mit Mikroalgen.
100.000 Quadratkilometer Meeresleuchten
Weil es so selten ist und nicht vorhersehbar auftritt, sind viele Fragen rund um das Phänomen bis heute offen. Messungen von Satelliten könnten nach Ansicht des Meeresbiologen Steve Miller von der University of California Miller Fortschritte ermöglichen: Die US-Wetter- und Ozeanografiebehörde (NOAA) betreibt Satelliten mit einem Instrument, das auch sehr schwaches Licht erfassen kann.
Bei der Auswertung von Messdaten der vergangenen zehn Jahre fand ein Wissenschaftlerteam um Steve Miller unter anderem Hinweise auf ein Meeresleuchten zwischen Juli und September 2019 südlich der indonesischen Insel Java. Es umfasste eine Fläche von mehr als 100.000 Quadratkilometern – etwa so groß wie Island.
„Beim Aufwachen um 2200 war das Meer weiß“
Zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2019 durchfuhr eine private Yacht mit einer 7-köpfigen Crew das Meeresgebiet und bemerkte das nächtliche Leuchten. „Beim Aufwachen um 2200 war das Meer weiß. Es gibt keinen Mond, das Meer ist offenbar voller Plankton. Aber die Bugwelle ist schwarz. Es macht den Eindruck, als ob man auf Schnee segelt“, heißt es im Logbuch-Eintrag vom 2. August 2019.
Nachdem die Besatzung Medienberichte über die Satellitenmessungen des Milchigen Meeres gehörte hatte, berichtete sie den Forschern von den eigenen Erfahrungen. Sie hatten demnach in der Nacht einen Eimer Wasser an Bord gezogen und darin mehrere Punkte mit gleichmäßigem Leuchten ausgemacht. Die Entnahme des Wassers unterbrach das Leuchten im Meer nicht, beim Umrühren verdunkelte sich das Wasser.
Dem Eindruck des Kapitäns zufolge kam das Leuchten aus tieferen Wasserschichten, nicht von der Oberfläche. Das spreche gegen die Hypothese, dass das Phänomen im Zusammenhang mit einer organischen Schicht an der Wasseroberfläche entsteht, erklärt Steve Miller.
Wo tritt das Meeresleuchten häufig auf?
Holbox, Mexiko
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Von Juni bis September tritt das Meeresleuchten besonders häufig auf der mexikanischen Insel Holbox am Strand Punta Cocos auf. Die schmale Insel liegt vor der mexikanischen Halbinsel Yucatán zwischen dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer.
Krabi, Thailand
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Krabi ist eine Provinz an der südlichen Westküste Thailands und lockt mit weißen Traumstränden jedes Jahr Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt an. Von November bis Mai bietet sich dir hier aber auch die Chance, das blaue Meeresleuchten zu beobachten.
Jervis Bay, Australien
Rund 200 Kilometer südlich von Sydney liegt die Bucht Jervis Bay. Zwischen September und Februar hat man hier die Chance, das Meeresleuchten live zu beobachten.
Malediven
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Auf den Malediven kann man das Meeresleuchten auf den Inseln Mudhdhoo, Vaadhoo und Rangali besonders gut beobachten. Zwischen Juli und Februar sind die optimalen Bedingungen vorhanden, damit sich die Dinoflagellaten vor den Traumstränden sammeln.
Puerto Rico
Als die hellste biolumineszierende Bucht der Welt ging die Mosquito Bay auf der Insel Vieques 2006 in das Guinness-Buch der Rekorde ein. Deshalb wird die Bucht auch Bioluminescent Bay genannt. Das Gebiet rund um Mosquito Bay steht unter Naturschutz, weshalb die Lichtverschmutzung hier besonders gering ausfällt und das Leuchten des Meeres noch besser zur Geltung kommt.
Jamaika
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Die Luminous Lagoon auf Jamaika – Lichtbucht – macht ihrem Namen alle Ehre: Das ganze Jahr über lassen die Dinoflagellaten das Wasser leuchten. Ausgangspunkt für Bootstouren über die Lagune ist die Stadt Falmouth an der Nordküste Jamaikas.
Sylt
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Ganz selten taucht das Meeresleuchten vor der deutschen Küste auf, am ehesten vor der Küste der Nordseeinsel Sylt. Nach einer heißen, sonnigen Woche im Spätsommer, wenn sich das Meer gut aufgewärmt hat, stehen die Chancen am besten.