In naher Zukunft bebt in in Istanbul die Erde

Mega-Beben: Experten warnen vor Hunderttausenden Toten in Europa

Istanbul sitzt auf einem geologischen Pulverfass. In naher Zukunft kann es in der Region um die türkische 16-Millionen-Metropole zu einem schweren Erdbeben kommen – mit katastrophalen Folgen – wie neue Analysen zeigen.

Erdbeben-Memorial in Istanbul: Ein Beben rund um die Stärke 7 ist der in der türkischen Metropole mit 16 Millionen Menschen längst überfällig.

© Imago/Dreamstime

Erdbeben-Memorial in Istanbul: Ein Beben rund um die Stärke 7 ist der in der türkischen Metropole mit 16 Millionen Menschen längst überfällig.

Von Markus Brauer

Zwei Jahre nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei ist das Land laut Experten weiterhin nicht auf bevorstehende Beben vorbereitet. In Istanbul seien 100.000 Gebäude stark einsturzgefährdet. „Es werden Hunderttausende umkommen“, warnt der Erdbebenforscher Naci Görür. Rein rechnerisch könne es auch in die Millionenhöhe gehen. Experten gehen davon aus, dass ein Beben rund um die Stärke 7 in der Metropole mit 16 Millionen Menschen überfällig ist.

„Maßnahmen der Städte sind nicht ausreichend“

Weder die lokale Regierung Istanbuls, noch die Zentralregierung oder das Volk seien sich der Gefahr wirklich bewusst, sagt Görür. „Maßnahmen zur Erdbebenresistenz der Städte in der Türkei sind nicht ausreichend.“

Viele Gebäude, die bei einem schweren Erdbeben einstürzen würden, seien bisher nicht aufgerüstet worden, mahnt auch Sükrü Ersoy, Geologieprofessor von der Yildiz Technischen Universität. „Angesichts der hohen Bevölkerungsdichte lassen sich Schäden auch bei entsprechender Planung nur schwer vermeiden.“

Der türkische Städtebauminister Murat Kurum betont, Istanbul werde einem Erdbeben nicht standhalten. Insgesamt würden 1,5 Millionen Wohnungen und Gewerbeeinheiten als erdbebengefährdet gelten.

Tektonische Plattengrenze im Marmarameer

Das Epizentrum des erwarteten Bebens liegt etwa 15 Kilometer vor der Stadt im Marmarameer, wo eine tektonische Plattengrenze verläuft. Die Erdbebenwarte Kandilli gibt die Wahrscheinlichkeit für ein Beben mit einer Stärke über 7 bis zum Jahr 2030 mit 60 Prozent an.

Istanbul liegt am Nordufer des Marmarameers in der Nähe der Nordanatolischen Verwerfung, die zu den aktivsten Erdbebenzonen der Erde gehört. 1999 waren bei einem Erdbeben der Stärke 7,6 am östlichen Stadtrand von Istanbul mehr 17 000 Menschen ums Leben gekommen. Seitdem hat sich die Einwohlzahl Istanbuls fast verdoppelt - auf 16 Millionen Menschen.

25 Mega-Citys in Risikogebieten

Diese schweren Beben zeigen einmal mehr, wie verwundbar selbst hoch industrialisierte Staaten sind. Mega-Metropolen wie Istanbul, Tokio, Los Angeles oder Mexiko-Stadt liegen in extrem gefährdeten Erdbebengebieten. Jederzeit kann über sie eine seismische Katastrophe hereinbrechen.

Nach Angaben des United States Geological Survey (USGS) und des GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam gibt es weltweit täglich rund 270 Beben mit einer Magnitude von mehr als 3,1. Im Schnitt kommt es zehnmal pro Jahr zu Beben der Stärke 7+.

Die Menschen blenden die Gefahren vielfach aus und beruhigen sich damit, dass schon nichts passieren wird. Ein lebensgefährlicher Irrtum. Nach UN-Angaben gibt es mittlerweile 25 Mega-Citys in Risikogebieten. Ungeachtet der Gefahren aus dem Untergrund, wachsen Metropolregionen mit zehn Millionen Einwohnern und mehr in einem Tempo, wie sonst keine anderen Städte auf der Erde.

Geologisch einer der gefährlichsten Orte

Die Region um die türkische Metropole Istanbul ist geologisch einer der gefährlichsten Orte auf diesem Planeten. Die 16 Millionen Einwohner sitzen buchstäblich auf einem seismischen Pulverfass. Der Grund: Direkt südlich liegt die Nordanatolische Verwerfung. An dieser aktiven Plattengrenze verschieben sich die anatolische und eurasische Erdplatte gegeneinander. Wenn sich die Platten ineinander verhaken, entlädt sich die aufgebaute Spannung in Erdbeben.

Das Zentrum der Verwerfung liegt südlich von Istanbul im östlichen Marmarameer – ein 150 Kilometer langer Abschnitt der Marmara-Hauptverwerfung. Zuletzt war er am 22. Mai 1766 gebrochen. Das Beben mit einer Magnitude von 7,1 Stärke forderte damals mehr als 4000 Todesopfer.

Wann könnte die Erde bei Istanbul beben?

Geologen sind sich einig. Das nächste schwere Beben in Istanbul ist längst überfällig. Aktuelle seismische Analysen bestätigen, dass die Plattengrenze südlich von Istanbul blockiert ist. Dort sind die anatolische und eurasische Erdplatte komplett ineinander verhakt. Kommt es dort zum Bruch der Verwerfung kommt – nur das Wann, nicht das Ob ist noch offen –, wäre ein Beben von einer Stärke bis 7,4 auf der Richterskala sehr wahrscheinlich.

Wie blockiert die Verwerfung unter dem Marmarameer ist, haben Wissenschaftler vom Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam anhand neuer seismologischer Daten aus den letzten 15 Jahren analysiert. Ihre Ergebnisse haben sie in dem Fachmagazin „Geophysical Research Letters“ veröffentlicht.

EN | Kriechen und Verhaken vor #Istanbul: GFZ-Forschende zeichnen systematisches Bild der Plattengrenze im #Marmara-Meer. Das liefert einzigartige neue Einsichten in die #Erdbebengefahr und mögliche #Erdbeben Szenarien der Region.News-Story https://t.co/d0jzFsrhHEStudie pic.twitter.com/dH7xs0rYjD — GFZ (@GFZ_Potsdam) August 4, 2023

Warum sind die Erdplatten blockiert?

Mithilfe des computergestützten „Template Matching“ – einer speziellen Technik in der digitalen Bildverarbeitung zum Auffinden kleiner Teile eines Bildes – konnte das Team um den Geologen Dirk Becker belegen, dass sich die Platten im Westteil des Marmarameeres nur noch „ kriechend aneinander vorbeibewegen“. Südlich von Istanbul allerdings ist selbst diese kriechende Bewegung der Verwerfung komplett blockiert.

„Der Kriechanteil verringert sich ostwärts systematisch“, erklärt Becker. „Dort sind die Abschnitte der Marmara-Verwerfung („Main Marmara Fault“/MMF) )dann vollständig verhakt.“ Ebenfalls blockiert sei ein Stück der Ganos-Verwerfung, einem Abschnitt der Plattengrenze, der jenseits der Marmarameeres im Westen liegt.

Ist ein sehr starkes Beben wahrscheinlich?

Wenn die Nordanatolische Verwerfung brechen sollte, könnte dies ein Beben bis zu einer Stärke von 7,4 direkt bei Istanbul oder ein Beben an der Ganos-Verwerfung westlich des Marmarameeres mit noch höheren Magnitude zur Folge haben.

„Die Studie liefert ein differenziertes Bild der Dynamik der Plattenbewegung an einer kritisch gespannten Verwerfung in unmittelbarer Nähe zu einer Megacity“, erläutert GFZ-Mitautor Marco Bohnhoff. „Der systematische Übergang zwischen verhakten und kriechenden Segmenten ist in dieser Form weltweit einmalig.“

Es scheint also nur noch eine Frage der Zeit zu sein, so Bonhoff weiter, bis sich die geologische Spannung an der Marmara-Verwerfung entlädt.

Info: Messung von Erdbeben

Messung Bei der Messung von Erdbeben wird die Stärke der Bodenbewegung angegeben (Magnitude). Weltweit treten jährlich etwa 50 000 Beben der Stärke 3 bis 4 auf. Etwa 800 haben die Stärken 5 oder 6. Ein Großbeben hat den Wert 8.

Stärken Das heftigste bisher auf der Erde gemessene Beben hatte eine Magnitude von 9,5 und ereignete sich 1960 in Chile. Erdbeben können je nach Dauer, Bodenbeschaffenheit und Bauweise in der Region unterschiedliche Auswirkungen haben.

Magnitude Meist gilt: • Stärke 1-2: nur durch Instrumente nachzuweisen • Stärke 3: nur in der Nähe des Epizentrums zu spüren • Stärke 4-5: 30 Kilometer um das Zentrum spürbar, leichte Schäden • Stärke 6: mäßiges Beben, Tote und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen • Stärke 7: starkes Beben, oft katastrophale Folgen und Todesopfer • Stärke 8: Großbeben mit vielen Opfern und schweren Verwüstungen

Richterskala Früher wurde die Erdbebenstärke einheitlich nach der Richterskala bestimmt. Der amerikanische Geophysiker Charles Francis Richter hatte die Skala 1935 speziell für Kalifornien ausgearbeitet. Heute wird sie nur noch eingeschränkt eingesetzt, auch weil das Verfahren nur bei Erschütterungen in der Nähe der Messstationen zuverlässige Werte liefert (Lokalmagnitude).

Mess-Skalen Mittlerweile werden mehrere Skalen parallel verwendet. Derzeit gilt die sogenannte Momentmagnitude als bestes physikalisches Maß für die Stärke eines Bebens. Sie bestimmt das gesamte Spektrum der seismischen Wellen bei Erdstößen. Die meisten Skalen ergeben zumindest bei schwächeren Beben ähnliche Werte wie die Richterskala, erlauben aber eine genauere Differenzierung bei schweren Beben (mit dpa-Agenturmaterial).

Zum Artikel

Erstellt:
10. Februar 2025, 12:16 Uhr
Aktualisiert:
10. Februar 2025, 12:21 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen