Auf Streife mit der Kamera: 30.300 Bodycam-Einsätze

dpa/lsw Stuttgart. Mit einem Klick gegen Pöbler und Schläger - die Bodycam gehört mittlerweile zum Alltag der Polizisten im Land. Meist müssen die Beamten die Kamera aber gar nicht erst anschalten.

Ein Schild mit der Aufschrift "Polizei" hängt an einem Polizeipräsidium. Foto: Roland Weihrauch/dpa/Symbolbild

Ein Schild mit der Aufschrift "Polizei" hängt an einem Polizeipräsidium. Foto: Roland Weihrauch/dpa/Symbolbild

Immer häufiger werden Polizisten im Einsatz bedroht, bespuckt, geschlagen, getreten. In brenzligen Situationen können die Beamten im Südwesten seit geraumer Zeit auf den Knopf drücken. Dann läuft die kleine Kamera mit, die an ihrer Uniform hängt - die Bodycam. „Sie werden ab sofort gefilmt“, heißt es dann. Oft reicht schon die Aussicht auf eine Aufzeichnung, dass sich Stressmacher, Pöbler und Schläger beruhigen. Und falls es doch zum Angriff kommt, verfügt der Beamte über Beweismaterial an der Brust.

Seit der landesweiten Einführung von Schulterkameras im Jahr 2019 sind die sogenannten Bodycams mehr als 30.300 Mal von den Polizisten im Einsatz benutzt worden. Der Einsatz der Bodycam sei in der Lebenswirklichkeit angekommen, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU) nun der Deutschen Presse-Agentur. Polizistinnen und Polizisten setzten das Mittel mit Augenmaß ein - so genüge in mehr als 80 Prozent der Fälle „bereits der Hinweis auf das Auslösen der Videoaufzeichnung, um eine gefährliche Situation zu entschärfen“.

In den meisten Fällen werden die Kameras im sogenannten Pre-Recording-Modus genutzt - dabei werden kontinuierlich kurze Sequenzen aufgezeichnet und nach jeweils 45 Sekunden wieder überschrieben. Erst wenn der Beamte ein zweites Mal auf den Knopf drückt, wird die letzte Sequenz nicht gelöscht und auch die weitere Aufnahme dauerhaft gespeichert. Doch auch davon werden die meisten Mitschnitte zügig wieder gelöscht. Von den exakt 30 305 Aufzeichnungen waren Ende Mai noch rund 3100 gespeichert, um als Beweismittel in Strafverfahren oder bei Ermittlungen zu helfen.

Seit Juni 2019 sind alle Streifendienste der 146 Polizeireviere in Baden-Württemberg mit den Kameras ausgerüstet. Seitdem verbreitet sie sich immer weiter in der Fläche. Noch im Juli 2021 sollen etwa auch die Polizeihundeführerstaffeln der regionalen Polizeipräsidien über Bodycams verfügen.

Bodycams sollen vor allem Angriffe auf Beamte dokumentieren. Denn die Gewalt gegen Polizeibeamte im Südwesten nimmt zu. Im Jahr 2020 stieg sie im Vergleich zum Vorjahr um 3,2 Prozent auf 5151 Fälle - ein Rekordniveau. Die Zahl der dabei verletzten Polizisten wuchs sogar um 17,3 Prozent auf 2630 Verletzte - auch wenn 99 Prozent nach Angaben des Ministeriums nur leicht verletzt wurden. Die gefährlichen Körperverletzungen verdoppelten sich im vergangenen Jahr fast auf 199 Fälle, im Bereich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wurden 1888 Fälle verzeichnet - 137 mehr als noch 2019. Die Zahl der versuchten Mord- und Totschlagsdelikte stieg um 5 auf 11 Fälle an.

Mehr als jeder vierte Angriff ereignet sich nicht im öffentlichen Raum, sondern in Wohnungen, Büros, Läden oder Clubs. Im Jahr 2020 wurden rund 28 Prozent der Fälle von Gewalt gegen Polizisten sowie rund 32 Prozent der Fälle verletzter Einsatzkräfte in Wohn- und Geschäftsräumen erfasst. Die alte grün-schwarze Landesregierung hat den Einsatz der Kameras deshalb vergangenes Jahr per Gesetz ausgeweitet. Seit Januar 2021 können Bodycams in bestimmten Fällen auch in Wohnungen, Diskotheken oder anderen Betriebs- und Geschäftsräumen eingesetzt werden.

Bei sogenannten steuerungsfähigen Personen könne mit den Kameras eine Verminderung des Aggressionspotenzials bewirkt werden, berichtet das Innenministerium - auch mit Verweis auf eine Befragung von Beamten aus dem Jahr 2017. Bei der Kontrolle von Personengruppen könnten die Bodycams ebenfalls deeskalierend wirken. Die Beamten würden die Kameras erst aktivieren, wenn die Lage zu eskalieren droht, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. „Die steigen nicht aus dem Funkwagen und drücken auf den Knopf.“

„Die haben sich grundsätzlich sicher bewährt“, meint auch der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. Allerdings seien Regeln und Verfahren noch zu kompliziert und umständlich, etwa was Speicherung und Löschung der Daten angeht. „Ich kenne viele Kollegen, die keine anziehen.“ Kusterer fordert eine Ausweitung des Pre-Recording-Modus - nach seiner Vorstellung sollen die Kameras permanent mitlaufen. Sein Argument: Wenn die Lage eskaliere, könne ein Polizist nicht auch noch Kameras bedienen. „Wir stehen uns mit dem Datenschutz manchmal so im Weg, das können die Kollegen nicht verstehen.“

Dafür zeigt sich Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink, der zwischenzeitlich seine Bauchschmerzen hatte mit der Bodycam, bislang zufrieden. Allerdings werde man die neuen Einsatzmöglichkeiten in geschlossenen Räumen genau überprüfen. „Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist Grundrecht“, sagt Brink. „Da muss vielleicht noch mal nachgesteuert werden.“ Das müsse dann das Verfassungsgericht klären.

Aber auch die kleinen Kameras können nicht immer verhindern, dass es am Ende knallt. Vor allem wenn die Verdächtigen sehr betrunken sind oder unter Drogen stehen, stößt die abschreckende Wirkung nach Angaben des Ministeriums an ihre Grenzen. Und das kommt gar nicht so selten vor: Laut Kriminalstatistik 2019 waren fast zwei Drittel der Verdächtigen alkoholisiert und jeder Achte stand unter Drogen. Auch wer von vornherein auf Gewalt aus ist, lässt sich nicht unbedingt von einer Bodycam beeindrucken, berichteten befragte Polizisten.

Schließlich können Bodycam-Aufzeichnungen auch zum Beweismittel gegen Polizisten werden, was Gewerkschaftschef Kusterer nur richtig findet - und nennt ein Beispiel aus Bayern. So prüft die Staatsanwaltschaft München aktuell einen Einsatz der Bundespolizei in einer Münchner S-Bahn-Station vom Februar 2020. Anlass ist ein Video, das zeigt, wie ein Polizist auf Kopf- und Halsregion eines um Hilfe rufenden Mannes kniet. Gefilmt hat das Ganze - eine Polizisten-Bodycam.

© dpa-infocom, dpa:210711-99-337295/3

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Erstellt:
11. Juli 2021, 09:19 Uhr

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