Neue Behandlungsstrategie

Mehr Diabetes-Typen als gedacht

Eine genauere Einordnung des Diabetes soll Medizinern helfen, den Krankheitsverlauf besser zu behandeln. Was es mit den neuen Diabetes-Typen auf sich hat und was sich in der medizinischen Betreuung ändern muss, klärt der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft Andreas Fritsche.

Eine ausgewogene Ernährung und natürlich viel Bewegung verhindern, dass sich der Verlauf der Diabetes-Erkrankung beschleunigt, sagen Experten.

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Eine ausgewogene Ernährung und natürlich viel Bewegung verhindern, dass sich der Verlauf der Diabetes-Erkrankung beschleunigt, sagen Experten.

Von Regine Warth

Um besser herauszufinden, welche Therapien bei welchen Diabetes-Patienten wirken und wer von Lebensstiländerungen profitiert, unterscheiden Experten heute nicht mehr nur in Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes, sondern teilen die Patienten in fünf Subtypen ein. Doch die Behandlungschancen haben Grenzen, mahnt Andreas Fritsche, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) anlässlich des Weltdiabetestages am 14. November. In den Kliniken sei die Versorgung besorgniserregend.

Herr Fritsche, was hat Diabetes zu einer Volkskrankheit gemacht?

Noch immer sind die wirklichen Krankheitsursachen nicht geklärt. Bekannt ist lediglich, welche Risikofaktoren einen Diabetes begünstigen können – allen voran ein höheres Alter sowie ein starkes Übergewicht. Aber es ist eben nicht so, dass jeder Mensch ab einem gewissen Alter oder ab einem bestimmten Gewicht einen Diabetes entwickelt. Es gibt auch Menschen, die schlank sind und daran erkranken. Eine noch genauere Einteilung des Diabetes soll uns daher helfen, die Stoffwechselstörung genauer zu charakterisieren, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen und zu behandeln.

Reicht die Unterscheidung zwischen Typ-1 und Typ-2 Diabetes nicht aus?

Nein. Das Krankheitsbild des Diabetes ist sehr heterogen. So gibt es Patienten mit dem häufigen Typ 2 Diabetes, bei denen die Zellen in der Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin produzieren. Es entsteht ein Insulin-Mangel. Andere Erkrankte produzieren genügend, wenn nicht gar zu viel Insulin, das aber nicht richtig wirkt – etwa in den Muskeln, in der Leber oder im Gehirn. Und dann gibt es noch Kombinationen dieser beider Formen. Dann gibt es Patienten, die häufiger Folgeerkrankungen des Diabetes bekommen als andere. Insgesamt können derzeit fünf Subtypen unterschieden werden.

Inwieweit beeinflusst diese Unterteilung die Therapie?

Sehr stark. Mit dieser Einteilung kann auf einen schweren oder milden Krankheitsverlauf geschlossen werden und auch das Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen besser beurteilt werden. Sie hilft uns, gegen den individuellen Krankheitsprozess gezielte Behandlungsstrategien zu entwickeln. Das ist für Diabetes-Patienten mit auffälligen Blutzuckerwerten von Vorteil, bei denen die bewährten Therapien nicht richtig anschlagen.

Wie hat sich die Diagnostik verändert?

Wichtig ist herauszufinden, wie hoch der Langzeitblutzucker und wie gut die Insulinausschüttung des Betroffenen ist. Man misst also die körpereigene Insulinproduktion, um den Diabetes-Typ herauszufinden. Ist diese gering, braucht der Patient zusätzliches Insulin. Ist diese wiederum hoch, braucht es andere Medikamente. Die Extremform des Insulinmangels ist ja der Typ-1-Diabetes, bei dem überhaupt kein Insulin mehr produziert wird. Gleichzeitig ist es wichtig, die Organe der Betroffenen umfassend zu untersuchen – etwa nach Herz-, Gefäß-, Leber- oder Nierenleiden, um Folgeerkrankungen rechtzeitig zu erkennen und behandeln.

Wie gut sind die Therapien?

Die Therapie eines Diabetes ist wesentlich besser als noch vor 20 Jahren. Die Lebenserwartung bei Patienten mit Typ-1-Diabetes ist heute bei guter Therapie nahezu normal. Wir kennen inzwischen viele Hochaltrige mit diesem Diabetes-Typ. Allerdings ist eine Heilung nach wie vor nicht möglich. Das gilt auch für Betroffene mit Typ-2-Diabetes, die eine Insulin-Resistenz entwickelt haben oder nur unzureichend Insulin produzieren können. Hier sprechen wir von einer sogenannten Remission des Diabetes: Je früher man diesen entdeckt und behandelt, umso schneller kann erreicht werden, dass dieser verschwindet und erst später wieder auftritt.

Welchen Einfluss haben dabei Lebensstilfaktoren?

Eine ausgewogene Ernährung und natürlich viel Bewegung verhindern, dass sich der Verlauf der Erkrankung beschleunigt. Das gilt insbesondere bei den milderen Formen wie dem moderaten Übergewichtsdiabetes und dem erst im Seniorenalter auftretenden Diabetes.

Wie ist die Versorgung der Diabetespatienten im Praxisalltag?

Im niedergelassenen Bereich sind wir meines Erachtens in Deutschland noch gut aufgestellt. Es gibt sogenannte Disease Management Programme, die es ermöglichen, dass der Patient regelmäßig mit seiner chronischen Erkrankung gesehen wird – vom Hausarzt oder vom Diabetologen. Betroffene werden auf diese Weise frühzeitig und ihrem Krankheitsverlauf angepasst therapiert. Das senkt auch das Risiko von Folgeerkrankungen.

Wie gut ist die Versorgung von Diabetes-Patienten in Krankenhäusern?

Diese ist aus meiner Sicht zunehmend problematisch. Jeder fünfte Patient, der im Krankenhaus behandelt wird, hat einen Diabetes – oft als Nebendiagnose. Das sind allein in Baden-Württemberg eine knappe halbe Million Behandlungen. Darauf wird im Klinikalltag noch viel zu wenig Rücksicht genommen. Dazu muss man wissen: Ob man Diabetes hat oder nicht, spielt bei allen anderen Erkrankungen immer mit. Patienten mit Diabetes haben eine längere Liegezeit im Krankenhaus, sie haben mehr Komplikationen und versterben auch häufiger im Krankenhaus. Es bräuchte daher in den Kliniken geschultes medizinisches Personal – also nicht nur Ärzte, sondern für Diabetes weitergebildete Pflegekräfte sowie Diätassistenten –, die diese Patienten mit Diabetes mitbetreuen. Bei kleineren Einrichtungen könnte eine Kooperation mit niedergelassenen Fachpraxen hilfreich sein, die diese Patienten in der Klinik mitbetreuen.

Sehen Sie diese Wünsche gesundheitspolitisch berücksichtigt?

Derzeit wird im Bundestag über das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz beraten. Darin geht es um eine bessere Spezialisierung und Zentralisierung der Kliniken. Aber die Bedürfnisse von Diabetespatienten sind kaum berücksichtigt. Was mir angesichts der großen Zahl an Betroffenen unerklärlich ist: Ich bekomme als Präsident der DDG Meldungen, dass Menschen mit Diabetes Angst haben, ins Krankenhaus zu gehen, weil sie befürchten, nicht ausreichend behandelt werden – weil es in der Klinik keine diabetologisch geschulten Fachkräfte gibt. Das darf nicht sein.

Ist die Einteilung der Diabetestypen im Praxisalltag schon gebräuchlich?

Die Subtypen werden wohl noch nicht im Einzelnen angewendet, aber zunehmend eben die unterschiedlichen Krankheitsprozesse mit den unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten beachtet. Dies erfolgt in den sogenannten Disease Management Programmen, die es ermöglichen, dass der Patient regelmäßig mit seiner chronischen Erkrankung vom Hausarzt oder vom Diabetologen gesehen wird.

Tübinger Experte für Diabetes

LehrstuhlProfessor Dr. Andreas Fritsche ist Inhaber des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin und Prävention im Bereich Diabetologie des Universitätsklinikums Tübingen. Er leitet außerdem die Abteilung „Prävention und Therapie des Typ 2 Diabetes“ am Paul Langerhans Institut Tübingen und ist stellvertretende Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz-Zentrums München.

FachgesellschaftIm Mai 2023 wurde Fritsche von der Mitgliederversammlung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zum neuen Präsidenten gewählt.

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Erstellt:
18. November 2024, 10:30 Uhr

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