Mehr Menschen sind auf die Backnanger Tafel angewiesen

BKZ-Leser helfen Der Backnanger Tafel fehlt es an haltbaren Lebensmitteln sowie an Geld, um die Kosten für den laufenden Betrieb zu stemmen. Dieser sei in normalen Zeiten schon defizitär, sagen die Verantwortlichen. Corona, der Krieg, die Inflation und die Energiekrise haben die Lage weiter zugespitzt.

Vormittags sei der Andrang in der Tafel immer besonders groß, berichten Daniela Kramm und Heinz Franke. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Vormittags sei der Andrang in der Tafel immer besonders groß, berichten Daniela Kramm und Heinz Franke. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. 40 Prozent mehr Kundinnen und Kunden als in den Vorjahren hat die Backnanger Tafel dieses Jahr verzeichnet. Die Gründe liegen auf der Hand: Zum einen sind viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Angriffskrieg Russlands aus ihrem Land geflohen sind, auf die vergünstigten Lebensmittel angewiesen. Zum anderen zeigen die Coronapandemie, die Inflation und die Energiekrise mittlerweile Folgen. „Viele stellen sich vor, dass ausschließlich Arbeitslose bei uns einkaufen“, sagt Tafelleiterin Daniela Kramm. „Aber so ist das nicht. Die Käufer und Käuferinnen kommen mittlerweile aus allen Schichten.“ Das sei in den Tafeln deutschlandweit ähnlich.

Wegen der gestiegenen Heiz- und Energiekosten seien beispielsweise viele Wohngeldberechtigte vom Angebot der Tafel abhängig, aber auch Arbeitnehmer aus dem Niedriglohnsektor sowie Alleinerziehende, die durch die Inflation ihre Kinder kaum mehr ernähren könnten. Auch die Anzahl der Altersrentnerinnen und Altersrentner habe massiv zugenommen, sagt Kramm. Daher freut die Tafelleiterin sich sehr, dass die Tafel zu den fünf Schwerpunktaktionen gehört, die im Rahmen der Weihnachtsspendenaktion unserer Zeitung „BKZ-Leser helfen“ bedacht werden.

Mehr Menschen sind auf die Backnanger Tafel angewiesen

Die Tafel sei schon in normalen Zeiten hochdefizitär, weiß Heinz Franke, Vorsitzender des Trägerverbands Kinder- und Jugendhilfe, der auch das Soziale Warenhaus Sowas im selben Gebäude betreibt. Die laufenden Kosten für das Personal (zwei Hauptamtliche und rund 25 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), die Abschreibungen für die Räumlichkeiten sowie die Betriebskosten (etwa für die zwei Dieselfahrzeuge und die Kühlelemente, die im Dauerbetrieb laufen) würden die Einnahmen aus den Lebensmittelverkäufen bei Weitem überschreiten, so Franke. Die Tafel sei finanziell autonom, „wir sind im Prinzip wie eine Firma“. Sie werde aus Eigenmitteln der Kinder- und Jugendhilfe quersubventioniert. „Wir sind kein Verein, der Gewinne erwirtschaftet“, betont er. Durch Corona sei die Tafel bereits finanziell an ihre Grenzen geraten, führt er aus. „Noch mal zwei Jahre wie 2020 und 2021 würden wir kaum mehr durchhalten.“ Tafelleiterin Daniela Kramm verdeutlicht: „In den insgesamt sechs Monaten Lockdown hatten wir null Einnahmen, aber 100 Prozent Betriebskosten.“ Der Möbelverkauf der Kinder- und Jugendhilfe musste 2021 nach 15 Jahren aus finanziellen Gründen bereits eingestellt werden.

Zwischen 90 und 110 Kundinnen und Kunden besuchen die Backnanger Tafel pro Tag. Weil dahinter viele Familienangehörige, vor allem Kinder, stehen, könne man aber mit 300 bis 400 Personen rechnen, die von der Tafel täglich von Montag bis Freitag mit Lebensmitteln versorgt werden, erklärt Franke. Insgesamt seien rund 500 Tafelausweise in Umlauf, mit denen durch die Backnanger Tafel etwa 1500 Personen erreicht würden. Früher sei der Besuch eines Tafelladens stigmatisiert gewesen, sagt Franke. „Eine alte Dame hat vor Jahren mal zu mir gesagt: ‚Lieber hungere ich, bevor ich zur Fürsorge gehe.‘“ Das sei heute anders. Die Tafeln hätten sich gesellschaftlich etabliert.

Im Rems-Murr-Kreis war die Backnanger Tafel die erste ihrer Art

Die Backnanger Tafel wurde 1995 gegründet. Zusammen mit Stuttgart, Heilbronn und Filderstadt gehört sie zu den vier ersten Tafeln in Baden-Württemberg. „Im Rems-Murr-Kreis war sie mit Abstand die erste“, sagt Franke. Mittlerweile sei der Landkreis „relativ dick versorgt“ mit Tafeln, aber er rechnet damit, dass die Zahl der Kundinnen und Kunden durch die Energiekrise und durch die Inflation weiter steigen wird.

Der Zuwachs war bereits zu spüren: Als Tafeln in Winnenden und Ludwigsburg aus Kapazitätsgründen einen Aufnahmestopp verhängten, kamen noch mehr Menschen als sonst zum Einkaufen nach Backnang. „Gerade mit dem 9-Euro-Ticket haben wir das sehr stark gemerkt“, berichtet Kramm. Andere Tafeln, sagt sie, hätten zudem nur drei Stunden in der Woche offen.

Ein paar Dinge gibt es beim Spenden von Lebensmitteln zu beachten

Sehr dankbar sind Kramm und Franke für die Lebensmittelspenden der Backnanger Supermärkte, Discounter und Bäckereien. „Wir hatten befürchtet, dass wir infolge der Energiekrise weniger Lebensmittel von ihnen bekommen würden, aber das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet“, sagt Kramm. „Die Versorgung klappt hervorragend.“ Auch Vereine und Organisationen wie der Lions Club oder die Rotarier sowie die Kirchen und Privatpersonen würden die Tafel regelmäßig mit Lebensmitteln und finanziellen Spenden unterstützen. „Ohne ihre Hilfe würde es momentan überhaupt nicht gehen“, erklärt Franke. Was die Tafel dringend brauche, seien zusätzliche haltbare Lebensmittel wie Nudeln, Reis und Konserven, aber auch monetäre Zuwendungen, um die laufenden Betriebskosten zu decken.

Immer wieder kommen Menschen auch direkt zur Tafel, um Lebensmittel abzugeben. Darüber freut sich Daniela Kramm. Sie weist jedoch darauf hin, dass es dabei ein paar Dinge zu beachten gibt. Zum einen darf die Tafel keine selbst gemachten Lebensmittel wie Marmeladen annehmen, „auch wenn ich das gerne wollte. Vor dem Gesetz sind wir quasi ein Lebensmittelmarkt wie alle anderen auch. Das ist einfach eine Haftungsfrage. Wir als Tafel können da keine Risiken eingehen“, erklärt Kramm. Zudem darf die Tiefkühlkette nicht unterbrochen werden. Tiefkühlprodukte sind als Direktspende daher weniger gut geeignet. Auch das sei eine Frage der Vorschriften.

Bei Rückfragen kann man sich gerne an die Tafelleiterin wenden

Um Streit zu vermeiden, achtet Kramm darüber hinaus darauf, an jedem Tag von allen Lebensmitteln so viel dazuhaben, dass es theoretisch für alle Kundinnen und Kunden ausreicht. „Neulich hat eine Frau ein Glas Nutella vorbeigebracht“, erzählt sie. „Das freut mich natürlich. Aber wenn 30 Personen im Laden sind, die das kaufen möchten: Wem soll ich es geben?“ Sinnvoller sei es, die Geldmenge, die man spenden möchte, in ein und dasselbe Produkt zu stecken als in viele verschiedene. Und nicht zuletzt bittet Kramm darum, nur das abzugeben, was man auch selbst noch essen würde. Sie hat schon erlebt, dass Personen Lebensmittel spenden wollten, die zehn Jahre oder länger abgelaufen waren. Bei Rückfragen könne man sich jederzeit gerne an sie wenden (Kontakt siehe Infotext).

Ehrenamtliche dringend gesucht

Einsatzbereiche Die Backnanger Tafel sucht ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für zwei Bereiche. Zum einen für die Kasse. Die Einsatzzeiten dort sind fix. Die Vormittagsschicht dauert von 8 bis 13 Uhr, die am Nachmittag von 13 bis 17.30 Uhr. Zum anderen werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Tafellogistik gesucht. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Abholung und die Entsorgung von Lebensmitteln. Da das körperlich anspruchsvoll ist, würden sich die Verantwortlichen insbesondere über Männer in leistungsfähigem Alter freuen, die sich dieser Aufgabe annehmen.

Herausforderung Die ehrenamtliche Arbeit bei der Tafel könne auch emotional herausfordernd sein, sagen Tafelleiterin Daniela Kramm und der Vorsitzende des Trägervereins Heinz Franke. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass der Frust bei den Kundinnen und Kunden an manchen Tagen oder in manchen Situationen groß sei.

Kontakt Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, meldet sich bei Daniela Kramm, bevorzugt per E-Mail an sowas@kinderundjugendhilfe-bk.de oder unter der Telefonnummer 07191/3419148.

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Erstellt:
3. Dezember 2022, 16:00 Uhr

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