Mehr Richter: Gerichte erhalten Hilfe wegen Dieselskandal
dpa/lsw Stuttgart. Massenklagen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal vor allem gegen die Autobauer Daimler und Volkswagen haben den Verfahrensbestand am Landgericht Stuttgart rapide steigen lassen. Damit der Papierberg abgebaut werden kann, bekommt die Justiz nun Verstärkung.
Der Dieselskandal in der Autobranche, Massenklagen und ausstehende höchstrichterliche Entscheidungen machen der baden-württembergischen Justiz seit Jahren mächtig zu schaffen. Um die explodierenden Verfahrensbestände abzuarbeiten, werden die Gerichte nun deutlich verstärkt. Nach den Plänen von Justizministerin Marion Gentges (CDU) werden landesweit 40 neue Stellen eingerichtet, davon 27 für Richterinnen und Richter sowie 14 weitere, die im Service-Bereich eigentlich weggefallen wären und nun verlängert werden.
„Die baden-württembergischen Zivilgerichte, insbesondere die in Stuttgart, sind von so genannten Diesel-Verfahren regelrecht überschwemmt worden“, sagte Gentges. „Und diese Welle ebbt nicht ab, sie trifft die Gerichte im Land nach wie vor mit hoher Intensität.“ Vom neuen Personal profitieren vor allem die Stuttgarter Gerichte. Das dortige Landgericht wird 17 neue Richterinnen und Richter erhalten, das benachbarte Oberlandesgericht 5. Der Landtag hatte
den Plänen mit der Verabschiedung des Haushaltsplans für das kommende Jahr am Mittwoch zugestimmt.
An den Zivilgerichten im Land sind nach Angaben des Ministeriums seit 2018 und bis zum dritten Quartal des laufenden Jahres fast 65 000 Verfahren zum Dieselskandal eingegangen. Auch die Landgerichte werden von der Welle schier überrollt: Seit 2018 geht es in etwa jedem vierten eingehenden Verfahren um eine Dieselklage. Oft sind aber gerade diese Verfahren sehr umfangreich und lassen sich nicht zuletzt wegen der geringen Zahl geeigneter Sachverständiger nur schwer aufklären. Weil die Quote der Berufungen bei den Verfahren überdurchschnittlich hoch ist, werden zudem auch die Oberlandesgerichte stark gefordert, teilte das Ministerium weiter mit.
Mit dem Begriff Dieselklagen werden vor allem die Fälle bezeichnet, in denen Autobesitzer unter anderem Daimler die Verwendung unzulässiger Abgastechnik vorwerfen und deswegen Schadenersatz verlangen. Hinzu kommen zahlreiche Klagen von Anlegern, die im Zusammenhang mit der Dieselaffäre ebenfalls Schadenersatz von einem Autobauer verlangen. Stuttgart ist dabei so stark wie bundesweit kein anderes Gericht belastet, weil die Daimler AG dort ihren Sitz hat. Obendrein reichen aber auch Tausende VW-Kunden ihre Klagen in Stuttgart ein, obwohl das Unternehmen aus Wolfsburg stammt.
„Wir sind vor allem wegen der Diesel-Verfahren, aber auch angesichts der umfangreichen Strafverfahren gegen Terror und organisierte Kriminalität dringend auf diese Stärkung und auf den Rückhalt durch den Haushaltsgesetzgeber angewiesen“, teilten die OLG-Präsidentin Cornelia Horz und Andreas Singer, der Präsident des Landgerichts, mit. Angesichts der Verfahrensflut sei es nicht mehr möglich gewesen, Fälle qualitativ hochwertig und auch zeitnah zu erledigen.
Das Ächzen des Stuttgarter Gerichts ist allerdings kein Einzelfall: Auch das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte im Sommer beklagt, es sei auf die eingehenden Massenverfahren nicht vorbereitet. Beim Bundesgerichtshof als nächster Instanz kümmert sich ein Hilfssenat um „Diesel-Sachen“.
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